Die Stadt Köln hat, wie schon in den Köln-Notizen #3 angesprochen, ein Raumproblem. Vielleicht steckt dahinter aber auch ein aus der Geschichte herrührender Komplex: Köln hatte im Mittelalter und in der Neuzeit kein Territorium außerhalb seiner Mauern, anders als etwa die Freie Reichsstadt Nürnberg.
Wenn im Buch DIE BEATUS-CHRONIK von Köln und Frechen die Rede ist und der Kölner Macht- und Einflussbereich im Mittelalter angesprochen wird, wenn Kölns Bannmeile und auch der Burgbann in einer Karte zu sehen sind (S. 163), dann verschwimmt den meisten LeserInnen das Bild von den tatsächlichen Grenzen Kölner Machtbefugnisse außerhalb seinen Mauern. Aber der Autor wollte die LeserInnen nicht mit dieser schwierigen Materie belasten, zumal ihre differenzierte Betrachtung nicht notwendig zum Kernthema jenes Buches gehört.
Um das für Interessierte aber doch einmal abzuklären, halten wir zunächst fest: Köln war, wie gesagt, eine Stadt ohne eigenes externes Territorium. Köln war umgeben von fremdem Territorium, das zum großen Teil zum Erzstift alias Kurköln gehörte (siehe Karte unten). Und dort regierte als weltlicher Fürst der Erzbischof von Köln, der auf die Stadt Köln nicht gut zu sprechen war. Grund für das seit dem Hochmittelalter meist schlechte Verhältnis waren die Querelen und Konflikte um Kompetenzen in Fragen der Rechtsprechung, der Besteuerung oder der Zölle. Es ging um die Macht, die der formale Herr der Stadt real über Köln ausüben wollte, die ihm aber die Stadtregierung zunehmend streitig machte.
In einem mehrere Jahrhunderte auf und ab schwankenden Maß hatten die Kölner dem Erzbischof das eine oder andere Recht (Privileg) abgerungen, abgeschwatzt oder als Dank für treue Dienste erhalten, so das für die Handelsstadt enorm wichtige Stapelrecht (1259). Allmählich hatte sich die Stadt ein Stück weit aus der Herrschaft und Bevormundung des Erzbischofs gelöst. Auch andere Städte versuchten im Mittelalter, sich vom Stadtherrn zu emanzipieren und politisch von ihm unabhängig zu werden. Das gelang einigen auch, sie wurden reichsunmittelbar; das bedeutete, dass sie nur den Kaiser bzw. König als Herren anerkannten.
Als der Kölner Erzbischof wieder einmal verärgert über die Kölner war, strafte er die Stadt mit neuen Zöllen, die in Zollburgen am Rhein und anderswo erhoben wurden. Er brauchte ohnehin Geld, während die Kölner auf Handel angewiesen waren, den sie aber nicht durch neue Zölle verteuert sehen wollten. Mit der Aussicht auf Zerstörung von Zollburgen waren die Kölner von den Feinden des Erzbischofs gelockt worden, ihm vor der Schlacht von Worringen (1288, mehr >Mittelalter Magazin, ~) in den Rücken zu fallen und zur Gegenseite überzulaufen.
Danach war das Verhältnis verständlicherweise nicht verbessert. Es kam zwar zu keinen großen militärischen Konfrontationen mehr, aber der Erzbischof sah sich weiter als rechtmäßigen Herrn der Stadt, und die Kölner versuchten ohne Erfolg, ihren eng begrenzten Machtbereich vor der mittelalterlichen Stadtmauer zu erweitern. Jedesmal, wenn sie Fakten schaffen wollten, schickte der Erzbischof Soldaten, z.B. als sie im Gelände vor den Toren ein Schützenfest abhielten: Die Soldaten ritten heran und lösten die Veranstaltung auf. Der Erzbischof achtete genau darauf, dass die Kölner nicht auf sein Territorium übergriffen (Becker, S. 78f.).
Wie die Karte hier eher ungenau zeigt, hatte Köln im Mittelalter und danach bis Ende des 18. Jahrhunderts zwei verschiedene Bezirke um sich her: 1. den Burgbann, einen Rechtsbezirk, der ein Stück weit vor den Mauern endete, 2. die Bannmeile, die im Halbkreis um Köln mit etwa 5 km Abstand von der Mauer verlief und im Westen bis in Frechener Gebiet (Herrlichkeit Frechen) reichte.
Wie man bei Becker* ausführlich nachlesen kann, hatte der Rat der Stadt Köln aber in diesen Bereichen vor seinen Toren keine rechtlichen Befugnisse und keine politische Macht. Köln versuchte zwar immer wieder, seine Kompetenzen über das unmittelbare Vorfeld seiner Mauern hinaus auszuweiten, der Erzbischof wachte aber mit Argusaugen über die Einhaltung der Grenzen (s.o.). Dasselbe gilt für den Rhein, an dessen Ufer Köln stieß, während das gegenüberliegende Ufer mit Deutz Territorium des Erzstiftes war. Köln konnte seinen Anspruch auf den Fluss, oder wenigstens die Flussmitte als Grenze, nicht durchsetzen.
Man kann Kölns Interesse ebenso verstehen wie das des Erzbischofs: Letzterer hatte ein am Rhein langgestrecktes und gerade auf der Höhe Kölns ziemlich schmales Territorium, durch Jülichs Vogtei über die Herrlichkeit Frechen von Westen eingeschnürt (vgl. Karte oben). Da wollte er keinen Fußbreit der Stadt Köln überlassen. Er sah sich ohnehin bis zuletzt, bis zur Annexion des Linksrheinischen durch Frankreich (1802), als rechtmäßigen Oberherrn der Stadt Köln, und hatte trotz der verlorenen Schlacht bei Worringen diesen Anspruch nie aufgegeben. Köln war zwar offiziell Freie Reichsstadt geworden (vom Kaiser bestätigt 1475), hatte aber dennoch nicht die volle Souveränität, da vor allem die Burgvogtei über Köln, verbunden mit dem Hochgericht, seit 1279 wieder in der Hand des Erzbischofs war.
Auch die Gerichtshoheit in der Bannmeile ließ sich nicht durchsetzen, sie lag in den Händen Kurkölns, bzw. im Süden das Gericht Rodenkirchen in Händen Bergs, wie auch im Norden die Herrschaft Riehl, im Südwesten stand Efferen und im Westen Frechen unter der Gerichtshoheit Jülichs. Und diese starken Nachbarn ließen keine Eingriffe in ihre Rechte zu. Köln war und blieb auf sein Stadtgebiet beschränkt. Es gab auch keine kleineren Gebiete im näheren Umkreis, die Köln als territorialen Zuwachs hätte erwerben können.
Erst im 19. Jahrhundert, unter ganz anderen Voraussetzungen und ohne territoriale Umklammerung durch den Gegner Kurköln, konnte Köln sein Stadtgebiet ausdehnen und erste Dörfer im Umkreis eingemeinden. Aber da war das Mittelalter längst Geschichte, ebenso das Heilige Römische Reich mit seiner Kleinstaaterei, mit den geistlichen Fürstentümern wie Kurköln, und mit den Freien Reichsstädten. Köln war nun eine Großstadt in Preußen, und die Industrialisierung ließ seine Bevölkerung stark anwachsen. Köln machte seine mittelalterliche Stadtmauer weitgehend platt und wuchs darüber hinaus – in mehreren Schritten während des 20. Jahrhunderts bis zu einer Ausdehnung, von der man bis zum Ende des 18. Jahrhunderts nicht einmal träumen konnte.
Derzeit liegt Kölns Stadtgebiet in den Grenzen von 1975/76, das scheint aber auf lange Sicht nicht das Ende Kölner Begehrlichkeit zu sein (vgl. W. Reinert, DIE BEATUS-CHRONIK, S. 115 u. 164). –
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* Wer sich damit ausführlicher beschäftigen will, sei auf dieses fundierte Buch verwiesen: Hans-Michael Becker, „Köln contra Köln: Von den wechselvollen Beziehungen der Stadt zu ihren Erzbischöfen und Kurfürsten.“ Köln: J.P.Bachem Verlag, 1992.
W. R.