Jahresrückblicke 2016 gab es ja schon seit Anfang Dezember in verschiedenen Medien, anscheinend wollte da jeder der erste sein — so wie der Handel teils schon im September die Schokoladen-Nikoläuse und -Weihnachtsmänner anbietet. Mir persönlich gefiel der Rückblick von Dieter Nuhr ganz gut — obwohl auch er auf den billigen Gag mit dem nuschelnden Til Schweiger nicht verzichtete. Urban Priol verweilte etwas länger darauf und zog auch noch Veronika Ferres durch den Kakao, wofür mir allerdings kein Anlass erkennbar wurde.
Ist es vielleicht so, dass manche Kabarettisten glauben, auf ein paar platte Kalauer nicht verzichten zu können, damit im Fernseh-Publikum auch die geistig weniger Aktiven was zu lachen haben? Dann bieten sich als sichere Bank eben die geläufigen Bashing-Objekte an. Wenn über Trumps Frisur schon eine Menge Witze gemacht wurden, dann bitte wenigstens etwas origineller, z.B. wenn Nuhr von einem „auf dem Kopf implantierten Eichhörnchen“ spricht.
Apropos geistige Aktivität: Gern wird die Ferres in einem Atemzug mit ihrem Ehemann Carsten Maschmeyer an den Pranger gestellt. Ich habe zwar nicht verfolgt, was genau ihm derzeit juristisch vorgeworfen wird, bin aber soweit informiert, dass er wie viele Andere eine Gesetzeslücke genutzt hat oder haben soll, die über trickreiche Umwege dazu führte, dass der deutsche Staat ihnen Steuer-Rückerstattungen doppelt auszahlte (sogen. „Cum-Ex-Geschäfte“).
Moralisch sehe ich das in derselben Kategorie wie Hauptwohnsitz-Verlegung in ausländische Steueroasen: zwar legal, aber… Wer moralisch wertet, fragt auch: Warum hat Schäubles Finanzministerium diese Lücke, die jahrelang bekannt war, nicht umgehend gestopft? Warum wurde weiterhin jahrelang sehenden Auges Geld anderer Steuerzahler zum Fenster hinaus geworfen?
Und da komme ich zur Frage der geistigen Aktivität: Laut Bericht eines TV-Magazins war diese Materie so kompliziert, dass es selbst im Ministerium an Sachverstand fehlte, um Durchblick zu bekommen und Abhilfe zu schaffen. Der Sachverstand scheint aber bei Finanzfachleuten in der Wirtschaft vorhanden gewesen zu sein, als sie ihren Kunden die Lücke nutzbar machten. Warum nicht im Ministerium? Man könnte sarkastisch anmerken: Da hatten wohl die externen Fachleute wieder an einem Gesetzesentwurf mitgeschrieben und auf kurzem Dienstweg erfolgreich Lobbyarbeit betrieben. Ihr Text, den im Ministerium keiner richtig verstand, wurde dann Gesetzesvorlage und vom (ebenso wenig durchblickenden) Parlament abgesegnet.
[Zwischenfrage: Kann es sein, dass unsere besten Leute eher in gut bezahlte Positionen in der Wirtschaft einrücken, statt weniger gut bezahlte politische Ämter und Funktionen zu übernehmen?]
Wer will da die Schuld einseitig verteilen? Natürlich ist so etwas dem breiteren Publikum nicht zu vermitteln. Das schreit ja heute ohnehin immer lauter nach einfachen Lösungen, gern auch „postfaktischen“: Verschont uns mit komplizierten Sachverhalten — wir wollen Schwarz oder Weiß, Schuldig oder Unschuldig hören, und zwar schnell! Schäuble kann also schmunzeln, wenn Comedians und Satiriker auf Maschmeyer und Andere draufhauen und von anderen Mitwirkenden ablenken. Deshalb meine Bedenken: Oft artet selbst satirische Unterhaltung in den Medien in Ablenkung von wirklichen Problemen aus.
Wir haben aber schon mehr als genug Ablenkung durch Informationsüberflutung und Zerstreuung, unsere Aufmerksamkeit wird ständig auf etwas Neues oder Anderes gezogen, sodass kaum jemand mehr Pause macht und die Dinge ordnet, einordnet und überdenkt. Statt wohldurchdachte Fragen zu entwickeln und Zusammenhänge zu verstehen (ach, wie mühsam!), fallen die Leute lieber auf allerlei gut klingende „Informationen“ und sensationelle Verschwörungstheorien herein. Am liebsten konsumieren sie zur Nachricht gleich die vorgegebene Meinung und deftige Emotionen mit (nach bekanntem VorBILD).
Entschleunigung im Bereich Information und Medien täte oft gut, statt immer der nächsten Sau nachzurennen, die gerade wieder durch’s Dorf getrieben wird… als ginge es nur darum, kein Spektakel zu verpassen. Überspitzt formuliert: Die wollen uns nicht mehr informieren, die wollen nur noch Quote und Werbeeinnahmen steigern — im TV wie im Internet. Ich möchte nicht wissen, wieviele interessante Meldungen im Mediengeschäft untergehen, weil sie nicht unterhaltsam genug sind bzw. weil nicht die richtigen Bilder dazu gezeigt werden können (obwohl schon viele Leute Handy-Videos von schlimmen Unfällen etc. an die Medien liefern).**
Also: Was diese Website fu-frechen.de anzuregen versucht, wird hoffentlich aus den obigen Ausführungen deutlich. Ansonsten schaue man ins Impressum sowie in die Startseite, oder in die Unterseite Clio oder andere.
In diesem Sinne: Ein gutes, ein an Fakten und klugen Einsichten interessiertes und orientiertes Neues Jahr 2017 allen BesucherInnen dieser Website!
S. R.
* mehr dazu >Finanzrichter zum Dividendenstripping: Drohen Steuernachzahlungen im großen Stil?
** Wohltuend hebt sich davon Vieles ab, was man sich z.B. im Radio auf WDR 5 anhören kann — vorausgesetzt, man gehört zu den Menschen, die noch mit Konzentration und Geduld längeren Wortbeiträgen folgen wollen und können und zu Vielem mehr als nur eine Kurzmeldung wissen wollen. Schade, dass ein Sendekanal, der oft ausführlicher als jede Nachrichtensendung Hintergründe und Zusammenhänge beleuchtet, de facto ein Minderheitenprogramm sendet. Es soll ja auch eine Menge Leute geben, die nicht in der Lage sind, den Sinn längerer Sätze oder eines längeren Textes zu erfassen. Von denen gehen aber auch viele wählen: eine leichte Beute für Stimmvieh-Fänger (ja, die mit den einfachen Weltbildern und einfachen Lösungen für Probleme, die in ihrer Komplexität von Vielen nicht einmal ansatzweise begriffen werden). Genau: Darum kleben sie in Wahlkämpfen diese unsäglichen Plakate mit den simplen Slogans (die im Zweifel nichts aussagen)!