Mittelalter, Frühes, Hoch-, Spät- … Wann, und wie lange, und was tat sich da? Viele von uns wissen viel, aber sie wissen nicht immer, wie sie es einordnen und in einen zeitlichen Zusammenhang oder eine Abfolge bringen sollen. Diese Unsicherheit kann hier beseitigt und Klarheit geschaffen werden! Also zur Sache:
MITTELALTER ist ein Begriff, den das Mittelalter selbst nicht kannte. Erst einige Zeit nach dieser Epoche, die man gemeinhin um 1500 enden lässt, kamen Gelehrte auf die Idee, die ganze, jahrhundertelange Zeit vor ca. 1500 unter einen Begriff zu fassen. Sie glaubten, ihre Zeit der Wiedergeburt antiker Kultur (Renaissance und Humanismus) sei besonders hochstehend, während die Zeit davor, zwischen griechisch-römischer Antike und ihrer Gegenwart, nur eine eher dunkle Zwischenepoche gewesen sei, kulurell geringwertiger. Die humanistischen Gelehrten sahen fortan diese Epocheneinteilung als sinnvoll an:
Antike bis ca. 500 n. Chr.
Mittelalter ca. 500 bis ca. 1500 n. Chr.
Neuzeit ab ca. 1500 n. Chr.
Diese Epocheneinteilung ist das bis heute für die europäische Geschichte meist verwendete Schema, aber die Gelehrten waren sich lange Zeit uneins über die Epochengrenzen, vor allem über den Übergang von der Antike zum Mittelalter. Manche wollten das Mittelalter erst mit der Kaiserkrönung Karls des Großen (800) beginnen lassen, andere viel früher, schon mit Beginn der germanischen Völkerwanderung (um 375), und manche sahen sogar schon in dem Jahr des Toleranzedikts Kaiser Konstantins (312) eine Epochenwende zu einem „christlichen Mittelalter“. Man hat sich inzwischen weitgehend darauf geeinigt, dass ein Markstein der Epochenwende die Abdankung des letzten weströmischen Kaisers im Jahre 476 sei.
Wo auch immer man die Grenzen festlegt, das Mittelalter als Epoche entzieht sich einfachen Charakteristika und ist keineswegs eine in sich geschlossene Epoche, weder kulturell noch politisch: Nicht nur an den Epochengrenzen, sondern auch innerhalb dieser 1000 Jahre verändert sich Europa. Und nur auf Europa lässt sich dieses Epochenschema anwenden; in der Weltgeschichte haben sich die Kontinente und Regionen unterschiedlich entwickelt und müssen daher für sich betrachtet werden.
Bezogen auf Europa taugt eine solche Epocheneinteilung dazu, Ereignisse und Entwicklungen zeitlich ein- oder einander zuzuordnen. Man sagt „Mittelalter“ und weiß, dass man nicht über eine Zeit um 1600 oder um 300 redet. Aber zur genaueren Periodisierung der Geschichte des Mittelalters fand man weitere Unterteilungen sinnvoll. So hat man Teilepochen benannt:
Frühes Mittelalter ca. 500 bis ca. 1000
Hochmittelalter ca. 1000 bis 1250
Spätes Mittelalter 1250 bis ca. 1500
Auch hier finden sich nicht alle Historiker auf einer Linie, was den Übergang vom frühen zum Hochmittelalter betrifft. Diese Divergenzen rühren aus der Betrachtung einzelner Fachrichtungen her: Je nach Teilbereich, den ein Historiker untersucht, erscheinen ihm evtl. bestimmte Dinge oder Erscheinungen bezeichnender für eine Epoche oder Teilepoche als andere. Aber in der Fachliteratur wird heute meist auf das oben gezeigte Schema Bezug genommen.
Dass man überhaupt ein solches Epochenschema entwickelte, ist schon bemerkenswert: Hier zeigt sich ein fundamentaler Wandel im Weltbild der Gelehrten. Denn wie teilte man zuvor die Zeitläufte ein? Es galt ein von der Religion, von Angaben in der Bibel bestimmtes Welt- und Geschichtsbild. Und in diesem war „Geschichte“ kein abgeschlossenes Wissensgebiet und keine selbständige Wissenschaft. Geschichte nach unserem heutigen Verständnis gab es gar nicht, weil es nur die in der Bibel vorgezeichnete Heilsgeschichte der Welt gab.
Das christliche Weltbild kannte drei Epochen der Heilsgeschichte: 1. die Zeit des Alten Testaments, 2. die Zeit des Neuen Testaments, und 3. die Zeit danach bis zum Jüngsten Gericht, bei dem Christus wiederkehren und auf seinem Richterstuhl Platz nehmen werde, um die Seelen der Menschen zu richten. Endzweck der Welt- bzw. Heilsgeschichte war also der Übertritt der Mernschen je nach persönlicher Lebensführung auf Erden ins Ewige Leben, als Seliger im Himmel oder Verdammter in der Hölle. (Wir lassen Feinheiten wie das Fegefeuer hier beiseite.)
Dieser Heilsgeschichte war der Gedanke einer Entwicklung in der Geschichte fremd. Man sah gar keinen Sinn in der Betrachtung langfristiger historischer Entwicklungen, denn wichtig war nur das Seelenheil, das der Einzelne auf der irdischen Pilgerreise anstrebte. Der mittelalterliche Mensch lebte also, wie noch Martin Luther es ausdrückte, im „irdischen Jammertal“ und hoffte auf Erlösung und Auferstehung im Himmel. Luther quälte sich lange mit der für ihn existentiellen Frage: „Wie finde ich einen gnädigen Gott?“ Für die aufständischen Bauern hatte er kein Verständnis.
Dennoch ist das Jahr 1517, der Beginn der Reformation mit Luthers Thesenveröffentlichung zur Kirchenreform, ein Epochenjahr an der Wende vom Mittelalter zur Neuzeit. In der Kirchen- und Mentalitätsgeschichte Europas vollzieht sich in der Folge ein Wandel mit weitreichenden Folgen auch für die Politik.
Wer sich schwerpunktmäßig mit Sozialgeschichte befasst, der muss jedoch feststellen: Für die übergroße Mehrheit der Bevölkerung, die auf dem Lande lebte, änderte sich mit dem Übergang in die Neuzeit so gut wie nichts. Mit dem Scheitern der Bauernaufstände 1525 verfestigten sich in Deutschland eher noch die Abhängigkeiten der Bauern von den feudalen Grundherren. Erst mit der Wende vom 18. ins 19. Jahrhundert, als in Teilen Europas im Gefolge der Französischen Revolution feudale Herrschaftsverhältnisse und mittelalterliche Abhängigkeiten aufgelöst wurden, gab es für das Gros der Bevölkerung spürbare Veränderungen und ein tatsächliches Ende des Mittelalters.
W. R.