An den 31.08., den Todestag von Lady Di, alias Princess Diana, wird in den Medien vorab schon eifrig erinnert. Es war vor 20 Jahren, 1997, als der plötzliche Tod von Princess Diana (36) die Welt schockte. Eine Woche später kam ich nach London und konnte live erleben, wie ständig Menschen mit Blumensträußen zu den verschiedenen Orten kamen, wo ihrer gedacht wurde: ihr letzter Wohnsitz Kensington Palace; das Kaufhaus Harrod’s (der Erbe Dodi Al-Fayed starb mit ihr im Unfallwagen); Westminster Abbey, wo der Trauergottesdienst stattfand und Elton John zum Abschied sang: „Good-bye England’s Rose“; Buckingham Palace; St. James‘ Palace… und ich weiß nicht wo noch.
Nachdem die Medien eine Weile über alles um den Tod und die Trauer berichtet hatten, ging immer noch die Welle der Trauer um Diana um die Welt. So etwas war seit Menschengedenken nicht passiert — und brachte so manchen Kommentator in den Medien aus der Fassung, der gewöhnlich mit scharfem Verstand das politische Tagesgeschehen analysierte und einordnete, der gewohnt war, als Journalist kritische Distanz nach möglichst allen Seiten zu wahren — ihm fehlte das Verständnis, die große Trauer von Menschen zu begreifen, die zumeist Diana gar nicht persönlich gekannt hatten, und er war nahe daran, diese überdreht oder gar hysterisch zu nennen.
Mir schien diese weltumspannende Anteilnahme nicht so unbegreiflich, sie schien mir ein Ausdruck echter Trauer um einen Menschen, der — obwohl in den Kreisen der Reichen, Mächtigen und Schönen verkehrend — nie auf kalte Distanz zu den Menschen „da unten“ gegangen war. Wo Diana auftrat, strahlte sie Menschlichkeit und Anteilnahme aus, zeigte Mitgefühl und spendete hautnah Trost. Das war schon sehr außergewöhnlich, und es kontrastierte besonders scharf zum kalten Hofzeremoniell und dem steifen Auftreten der Windsors. Denn Diana kommunizierte auch auf der emotionalen Ebene mit Menschen.
Mit Blick auf „die da unten“, auf „die Massen“, von denen ein Großteil echte Trauer empfand, könnte man von einem Phänomen sprechen, das religionsgeschichtlich und kunsthistorisch Assoziationen zur „Schutzmantelmadonna“ weckt, einer Darstellung der Maria, die im 13. Jahrhundert aufkam und Maria (oft als Himmelskönigin mit Krone) zeigte, die ihren weiten Mantel ausbreitete und Menschen darunter barg und unter ihren Schutz nahm. So beteten denn die Menschen zu dieser Madonna, wenn sie sich nach Schutz und Geborgenheit sehnten. Und Diana erschien als eine solche Madonna, wenn sie z.B. Minenopfer oder krebskranke Kinder besuchte und ihnen Zuwendung schenkte.
Das waren nicht bloß Gesten für die Kameras, Diana erreichte etwa mit ihrer wirksamen Unterstützung der Kampagne gegen Landminen in Angola und Bosnien, dass einige Monate nach ihrem Tod eine Charta zur Ächtung dieser Waffen geschrieben und von 122 Staaten unterzeichnet wurde.
Ein Jahrzehnt zuvor hatte sie ebenfalls etwas Besonderes erreicht. Sie besuchte ein Londoner Krankenhaus und wendete sich dort Aids-Kranken zu. Unbefangen und furchtlos gab sie ihnen die Hand, setzte sich zu ihnen und unterhielt sich mit ihnen. Das war zu jener Zeit eine Sensation! Wer das damals mitbekommen hat, weiß, wie die Leute über Aids sprachen, und dass sie einen großen Bogen um HIV-Infizierte machten wie um Aussätzige. Das Fernsehen war dabei (Diana nutzte gern auch die Medien für ihre Ziele) und sorgte dafür, dass Dianas Auftreten wahrgenommen wurde. So bewirkte sie, dass das Problem „Aids“ in der Folgezeit anders diskutiert, und dass von Medizinern verstärkt nach Therapien gesucht wurde.
Ihr Einsatz, das kann man sagen, ging über Worte und Gesten weit hinaus. Die weltweite Resonanz erklärt sich auch aus der Hoffnung vieler Menschen, die Reichen und Regierenden möchten aus Einsicht mehr für die Menschen dasein, sich menschlicher zeigen und und sich nicht nur um Machterhalt und noch mehr Reichtum sorgen. So betrachtet war die Welle der Trauer auch eine politische Demonstration: Seht, welch ein Verlust! Solche Menschlichkeit wünschten wir uns mehr bei denen da oben!
Natürlich war Diana kein Engel und keine Göttin, sondern ein Mensch. Ihre Beliebtheit resultierte z.T. auch aus ihrem öffentlich gemachten Leiden in den Ehejahren und an der Kälte des Königshofes. Ehemann Charles kam da schlecht weg, aber in meinen Augen nicht ganz zu Unrecht, wenn er z.B. nach seiner Liebe zu Diana gefragt wurde und in seiner Antwort eher auswich und etwas von „love, whatever that means“ brabbelte. Prince Charles war selbst nicht gerade mit viel Liebe und Zuneigung aufgewachsen und daher wohl nicht der einfachste Partner in einer Beziehung. Diana war anders und legte auch großen Wert darauf, ihren beiden Söhnen Liebe zu geben und sie diese emotionale Wärme spüren zu lassen.
An letzterem mangelt es ja oft: Manche Eltern behaupten, ihre Kinder zu lieben, vermitteln es aber nicht, weder mit Worten noch mit Gesten, Zuwendung und zärtlichen Berührungen. Bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts galt vielen noch als ideale Erziehung, ein Kind nicht zu verhätscheln, sondern auch Härte spüren zu lassen, und noch krasser: Wer sein Kind liebt, der züchtigt es, wurde behauptet. Besonders Väter waren dadurch furchteinflößende Tyrannen. Bei den Nazis, aber auch in englischen Eliteschulen galt die Leitlinie: Gut ist, was hart macht. Man vermittelte damit zugleich auch Verklemmtheit und Angst vor körperlicher Nähe. Diana dagegen steht für einen menschlichen, modernen Umgang mit Kindern. Und das ist gut so.
Ich sah nach dem Wochenende des Trauergottesdienstes: Die Schlagzeile oben hatte recht, überall, wo Blumen für Diana niedergelegt wurden, teils mit ihrem Foto und letzten Grüßen, kamen weiterhin Menschen, um ihre Trauer zu bekunden, und ließen das Blumenmeer weiter anwachsen. Den Skeptikern, die darüber den Kopf schüttelten, kann man mit einem Goethe-Zitat nur sagen: „Wenn ihr’s nicht fühlt, ihr werdet’s nicht erjagen.“
W. R.