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Ein Desaster

Dieses Land könnte in Vielem besser werden, das hat die Corona-Krise gezeigt. Was Modernisierung und Innovation angeht, mag es in einigen technischen Feldern durchaus vorn liegen. Schaut man aber auf den Zustand der Gesellschaft, dann scheint es, dass sich Viele in diesem Lande auf dem Erreichten ausruhen und nicht ernsthaft daran denken, fortschrittlichen Gedanken und Parolen auch die entsprechenden Taten folgen zu lassen. Was heißt eigentlich fortschrittlich?

Seit wievielen Jahren wird die ungleiche Bezahlung von Frauen und Männern kritisiert, und was wird daran geändert? Seit wievielen Jahren wird kritisiert, dass vor allem in Pflegeberufen (Kranken- und Altenpflege) ebenso wichtige wie wertvolle Arbeit miserabel bezahlt wird? Was ist das für ein Land, in dem Krankenhäuser zu Geldmaschinen wurden und auf Teufelkommraus lukrative Operationen durchführen, die Kranken aber quasi noch „blutig“ schnellstens nach Hause entlassen, um Betten schneller neu zu belegen für neue „Kunden“, und mehr Kohle zu machen? Da wird weniger den Menschen geholfen, als vielmehr den Aktionären des Krankenhaus-Konzerns höhere Dividende erwirtschaftet.

Was leider in der „freien Wirtschaft“ um sich gegriffen hat, die neoliberale Denke (Profitsteigerung soweit möglich vor allem auf dem Rücken des Personals), wurde auf unverantwortliche Weise in Bereiche der Daseinsfürsoge übertragen. Der Mensch steht vielleicht noch in Werbesprüchen im Mittelpunkt, in Wirklichkeit tanzen die Verantwortlichen um das Goldene Kalb.

Die Folgen sind nicht mehr zu übersehen, die Corona-Krise zeigt das selbst dem Begriffsstutzigsten. Was besonders empört: „Die Politik“, genauer: die Entscheider in den Schlüsselpositionen, lassen sich jede Menge Zeit, daran etwas zu ändern. Als Beobachter rauft man sich die Haare! Speziell um Ostern, in der ersten Hälfte April 2021, brennt die Hütte, die Intensivstationen der Kliniken laufen voll, während die Bundesländer weder zu einheitlichen Maßnahmen finden noch einsehen, dass dieser Flickenteppich unterschiedlicher Maßnahmen ein Kommunikationsdesaster geworden ist. Denn die Bevölkerung versteht nicht mehr, was wo warum verfügt oder auch nicht verfügt wird.

Und zur Illustration des Ganzen wird dann nach Ostern der Vorschlag von Armin Laschet von fast allen Seiten kritisiert, teils sogar lächerlich gemacht: Er redete zuvor zwar selbst gern von Lockerungen, sah aber aktuell ein, dass man auf die Wissenschaft hören sollte, um die gegenwärtige „dritte Welle“ der Corona-Pandemie in Deutschland zu brechen. Laschet sah einen „harten Brücken-Lockdown“ von 2-3 Wochen als nötig an, während man die Impfungen forciert, bis deutlich mehr Menschen geschützt sind und damit die Ansteckungen zurückgehen.

Während noch Viele dabei waren, den „Brücken-Lockdown“ schlecht zu reden (vor dem Hintergrund übrigens, dass Laschet mit Söder um die Kanzlerkandidatur der Union konkurriert), stiegen die Infektionszahlen weiter, sodass die Kliniken Alarm schlugen. Das Personal arbeitet schon wieder am Limit. Pflegepersonal, chronisch überlastet und zugleich schlecht bezahlt (irgendwer muss ja den Profit erwirtschaften!), wird selbst krank und/oder schmeißt ganz hin. (In 2020 kündigten 6000 Pflegekräfte in Deutschland ihren Job – den sie eigentlich lieben.)

So rutschen wir sehenden Auges in ein Desaster, das vermeidbar wäre. Statt überlastetes Pflegepersonal und überarbeitetes medizinisches Personal nur mit warmen Worten zu loben, müsste dringend (schon vorgestern!!) das Gesundheitssystem verändert werden, und zwar an den Stellen, wo Geld verdient und wo Leistungen honoriert werden. Und es muss erlaubt sein, grundsätzliche Zweifel anzubringen an der privatwirtschaftlich-gewinnorientierten Ausrichtung vor allem der Kliniken. Denn hier sieht man deutlich, wohin die Parole „Privat vor Staat“ führen kann.

Neoliberales Profitdenken gehört nicht in die Bereiche der Daseinsvorsorge und -fürsorge. Das sollte, ja müsste sich längst herumgesprochen haben. Privatisierung ist kein Schritt zur effektiveren (und flächendeckenden!) Versorgung der Bevölkerung – im Gegenteil. Das wissen die meisten klugen Menschen längst. Doch sind die Entscheider offenbar zu fest im Griff der Lobbyverbände, um sich zu wirklichen Verbesserungen zu entschließen.

W. R.

P.S.: Wir reden hier hauptsächlich vom Gesundheitssystem, doch mögen die geneigten LeserInnen auch an andere Bereiche der Daseinsfürsorge denken. Die „öffentliche Hand“ hat seit den 1990er Jahren gern die Dienste von Unternehmensberatungen in Anspruch genommen, um in ihrer Verwaltung, an den öffentlichen Schulen, in der Polizei, in der Justiz „Sparpotential“ zu entdecken. Inzwischen beklagen wir (schon seit Jahren) akuten Personalmangel in diesen Bereichen. Während der Bedarf etwa an LehrerInnen wuchs, liefen die Einstellungen des Nachwuchses weiter auf Sparflamme. Schon seit Jahren weiß man nicht, woher man die dringend benötigten LehrerInnen so schnell nehmen soll. Die Fensterreden von PolitikerInnen, die ab 2001 (nach der ersten PISA-Studie) von „oberster Priorität auf der Bildung“ sprachen, sind längst folgenlos verhallt.

Wie hieß es doch schon in der Bibel: „An ihren Taten sollt Ihr sie erkennen.“ —

Nachtrag am späten Abend des 15.04.21: Man kann es sich kaum noch anhören! Da wird diskutiert, da wird taktiert, aber auf das nötige schnelle Handeln zur Eindämmung der Pandemie warten wir vergeblich. Müssen sich erst medizinische und Pflegekräfte reihenweise aus den Klinikfenstern stürzen – oder auf der Straße lauthals nach einer „Merkel-Diktatur“ rufen?

Auch am 18.04.21 ist wirkliche Besserung nicht in Sicht. In Diskussionsbeiträgen im Fernsehen das übliche Bild: Zu allem gibt es Zweifel und Kritik, egal was vorgeschlagen oder angeordnet wird. Und eine eingeblendete Grafik zeigt die Belegung von Intensivbetten in den Krankenhäusern, wo die Kurve wieder steil ansteigt, aber noch nicht so hoch wie auf dem Höhepunkt der letzten Welle. Alles nicht so dramatisch? Ist da noch Luft? Wenn man daneben eine Grafik des einsatzfähigen Klinikpersonals zeigen würde, dann sähe man sofort: Der Vergleich mit Vorher trügt, er hinkt, weil für die vorhandenen Betten immer weniger Personal zur Verfügung steht… !

Nachtrag am 22.04.21: Berliner Intensivpfleger an der Corona-Front: „Die Ärztin schläft nach der Schicht im Auto, weil sie den Heimweg nicht schafft“ – Gesellschaft – Tagesspiegel

Übrigens zeigt mir das wieder, wie gut es ist, sich von den social media fernzuhalten (So muss ich nicht öfter solche – sorry – Idioten-Posts lesen wie die in diesem Artikel zitierten).

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Geld, lange Yachten, und Bildung

Das Engagement vermögender Leute für Bildung und soziale Projekte lässt auf die Zukunft der Menschheit hoffen, die ansonsten düster aussähe… z.B. indem die zunehmend Superreichen, abgekoppelt vom Leben der weniger Betuchten und Armen, sich nach dem Privatjet noch eine weitere, diesmal 42m lange Yacht leisten, weil der Nachbar eine 38m lange am Anleger vertäut (und auch keine bessere Idee hat, wie er seine nicht benötigten zig Millionen ausgeben könnte). Aber lassen wir das schwere Leben der Superreichen beiseite und fragen uns, wie die öffentlichen Aufgaben der Daseinsvorsorge von meist verschuldeten Gemeinden, Städten, Ländern und dem Bund finanziert werden sollen, wo doch ständig Geld in Steueroasen abfließt und die o.g. weniger betuchten und armen Steuerzahler* nicht beliebig hoch belastet werden können.

Zur Daseinsvorsorge gehören das Gesundheitssystem, die Verkehrs-Infrastruktur, das Bildungswesen, die Trinkwasserversorgung, die Abwasserentsorgung und -klärung, und einiges mehr. Diese Dinge werden von Allen genutzt, aber nicht von Allen finanziert. (Wie das? Es gibt z.B. Firmen, die in Deutschland verdientes Geld nicht hier versteuern, aber gern die hier bereitstehende Infrastruktur nutzen.)

Es ist ja erklärtermaßen auch ein Anliegen der F.U.F., Bildung und das Interesse daran zu fördern und zu ermuntern. Darum wird auf fu-frechen.de Einiges an Information und Bildung  geboten — kostenlos (und werbefrei!). Aber auch Andere tun was: Es gibt Stiftungen wie den Kölner Gymnasial- und Stiftungsfond, die dort unterstützend wirken, wo finanzielle und soziale Hindernisse jungen Leuten sonst keine Chance ließen, ihren Begabungen gemäß Schule und Studium zu absolvieren.**
Wir erinnern uns, dass wir regelmäßig in offiziellen Berichten lesen, wie sehr besonders in Deutschland Bildung und berufliche Karriere oft mit sozialer Herkunft zusammenhängen, also Menschen aus schwierigeren sozialen Verhältnissen oder „bildungsfernen Schichten“ gegen Benachteiligungen und Vorurteile anzukämpfen haben und deutlich seltener „höhere“ Bildung und beruflichen Aufstieg erreichen.
Wo es in Elternhäusern (warum auch immer) an Anregung fehlt, müssen vermehrt Anreiz und Förderung von außen dazu beitragen, dass Neugier und Wissensdurst junger Menschen nicht nur geweckt, sondern in anhaltende Lernmotivation gelenkt und gezielt gefüttert werden. Dazu ist offenbar das aktuelle deutsche Bildungssystem nicht flächendeckend in der Lage. (Und das war es schon nicht, bevor vermehrt Flüchtlinge ihren Fuß auf deutschen Boden setzten.)
Kurzum, es tut nicht nur den Geförderten gut, sondern auf lange Sicht auch dem ganzen Land, wenn sich eine gebildete Schicht nicht nur ständig selbst reproduziert, sondern wenn Talente aus allen Schichten der Gesellschaft gefördert und ausgebildet werden, sodass sie auch anspruchsvolle Tätigkeiten mit der erforderlichen Qualifikation ausüben können.

Was wir unter „Bildung“ verstehen, sollte noch einmal klargestellt werden: Es geht nicht allein um Grundlagen- und Fachwissen, das bestimmte Institutionen der Wirtschaft von Schulabgängern und Hochschulabsolventen erwarten. Zur Bildung gehört auch Persönlichkeitsbildung, also auch nicht speziell berufs- und laufbahnbezogene Qualifikationen, die zur menschlichen Entwicklung und Reife beitragen und dem Blick in die Welt einen weiteren Horizont geben, als es eine schmalspurige Ausbildung ermöglicht.

Schließlich liegt es auch im Interesse des Staates, dass seine heranwachsenden BürgerInnen auch ein gewisses Maß an politischer Bildung mitbekommen, damit sie ihr Wahlrecht ausüben und sich ggf. sinnvoll politisch oder sozial engagieren können (späterer Ausbau dieser Bildung nicht ausgeschlossen).

Sinnvolles Engagement für die Gesellschaft/für die Allgemeinheit/für Alle ist sogar manchen der o.g. Superreichen Einiges wert: Sie spenden für soziale Organisationen, gründen selbst Stiftungen, oder finanzieren direkt Schulen in benachteiligten Regionen, oder ähnliche Projekte. Das sind die Menschen, die den höchsten Sinn des Lebens nicht im maßlosen Horten von Reichtümern sehen. Bei denen hat die früher erfahrene Persönlichkeitsbildung zu der Einsicht geführt, dass es befriedigender sein kann, in die glücklichen Augen einiger Menschen zu schauen, denen man helfen konnte, als dem uferlosen materiellen Egoismus zu frönen und eine kaum genutzte Hochseejacht am Kai dümpeln zu lassen. ***

W. R.

* „Wieso arme Steuerzahler?“ denkt jetzt vielleicht manch Eine/r und meint, arme und arbeitslose Leute ohne Einkommen zahlten doch gar keine Steuern. Denkste! Gerade die Ärmsten werden z.B. durch die Mehrwertsteuer stark belastet, die ja bei jedem Einkauf, jeder Handwerkerrechnung usw. fällig ist. Die 19% MWSt zahlt in Deutschland auch der Ärmste, wobei für bestimmte Waren der ermäßigte Steuersatz von 7% gilt. Sie wird auf jedem Kassenbon und jeder Rechnung gesondert ausgewiesen. Wer wenig im Portemonnaie hat und scharf rechnen muss, ist davon proportional härter getroffen als jemand, der gar nicht auf’s Geld schauen muss und immer Plus auf dem Konto hat. Denn anders als etwa die Einkommensteuer kennt die MWSt als Verbrauchssteuer keine Progression. Übrigens ist die Steuer- und Abgabenbelastung nach neuesten Berechnungen in Deutschland vergleichsweise hoch, und das trifft am meisten die niedrigen und mittleren Einkommen, insbesondere Alleinstehende des Mittelstandes (Das nur zur vollständigen Information).

** Kölner Stadt-Anzeiger, 22.02.2017, Ausgabe Köln S. 28: C. Schminke, „Per Stiftung zum  Studium“

*** Dazu als Nachtrag am 06.11.2017 ein Kommentar: Paradise Papers: Zur Hölle mit den Reichen – Kolumne – SPIEGEL ONLINE