Meckern ist hierzulande anscheinend Volkssport. Den Eindruck kann zumindest bekommen, wer sich in die Echokammer der Medien – egal welche – begibt.
Und wieder, wie schon Ende August 2015, habe ich den Eindruck, die „Stimmung in der Bevölkerung“ wird herbeigeredet, bevor überhaupt eine solche klar zu erkennen ist. Damals hieß es, Willkommenskultur schön und gut, aaaaber „die Stimmung könnte kippen.“ Das wurde über Tage ständig in Nachrichten und Kommentaren wiederholt, bis… ja, die AfD Aufwind bekam und damit Wahlerfolge erzielen konnte. (Die Parteiführung bezeichnete das Thema „Flüchtlinge“ als „Geschenk“, denn sie stand bis zum Sommer 2015 nicht gut da, konnte aber die aufgeputschte Stimmung dankbar nutzen und weiter befeuern.)
Derzeit (Febr./März 2021) habe ich wieder den Eindruck, dass eine Stimmung herbeigeredet wird: Die Leute hätten „die Schnauze voll“, sie wollten endlich Lockerungen und Öffnungen – ungeachtet der keineswegs entspannten Lage in der Corona-Krise (denn das ist diese Pandemie auf jeden Fall).
Dann wird auf die Bundesregierung eingeschlagen, als machte sie nur noch Fehler. Jeder denkende Mensch weiß: Das kann so nicht stimmen. Egal, die Medien (ganz besonders die „sozialen Netzwerke“) setzen heutzutage immer mehr auf Emotionen. Das geht natürlich leicht… zu Lasten des nüchternen Abwägens.
Statt emotional draufzuhauen und das Regierungshandeln in Bausch und Bogen schlechtzureden, sollte frau/man besonnen draufschauen und genau hinsehen. „Im Ausland machen sie es besser“, wird gesagt. Die Wahrheit ist differenzierter: Kommt darauf an, wo frau/man hinschaut.
Und die lauten Kritiker und die sehr lauten Verweigerer und Corona-Leugner sollten mal auf Australien oder auf Portugal schauen. Da haben sich die allermeisten Leute an die verordneten Regeln gehalten, die paar unbelehrbaren Leugner drangen nicht durch und traten daher auch nicht in großen Demos auf, wie bei uns. Australien und Portugal hatten sehr hohe Infektionszahlen – und sind davon vergleichsweise schnell, ja fast sensationell, heruntergekommen. Da kann guten Gewissens wieder gelockert und geöffnet werden.
Und bei uns schreien die am lautesten, die sich nicht an Regeln halten, aber auch auf nichts verzichten wollen. Ja, so geht’s halt nicht.
Über Portugal hörte ich: Das ist eine Frage der Mentalität. Was ist bei uns anders? Na, ein Anspruchsdenken an den Staat, gekoppelt mit Individualismus (Mir sagt keiner, was ich zu tun habe) und Egoismus (Die Anderen sind mir egal, Hauptsache, ich komme gut durch). Sogar im Straßenverkehr sehe ich Viele, die die Verkehrsregeln als Option und Vorschlag verstehen, aber den Sinn von Regeln offenbar nicht kapieren. Dass viele Regeln und Konventionen das Miteinander ermöglichen und erleichtern, das sehen sie nicht, weil sie egozentrisch orientiert sind. Dass Regeln auf der Straße zur Vermeidung von Konflikten und Unfällen taugen, das haben Viele nicht auf dem Schirm (Ach, mir ist doch noch nie was passiert!).
Kein Wunder also, dass wir noch lange unter Lockdown etc. werden leiden müssen.
W. R.
P.S.: Jetzt richtet sich massive Kritik gegen den aktuellen Stopp der Impfungen mit AstraZeneca. Für den Stopp wie für das einstweilige Weiterimpfen gibt es Gründe. Ich möchte da nicht mit den verantwortlichen PolitikerInnen tauschen: Wie sie auch entscheiden, es gibt immer Kritik. Hätte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn verkündet, dass trotz Empfehlung des Paul-Ehrlich-Instituts weiter mit AstraZeneca geimpft wird, hätte er sofort zu hören bekommen: Sie spielen mit dem Leben der Menschen! Da er das Impfen gestoppt hat, wird ihm vorgeworfen, durch Weiterimpfen hätten Leben gerettet werden können.
Ein undankbarer Job – in dieser Situation, da die „dritte Welle“ mit teils aggressiveren Virus-Mutationen anrollt, trotzdem viele Leute Lockerungen, Öffnungen, Auslandsreisen wollen und wir oberdrein (ünglücklicherweise) ein „Super-Wahljahr“ haben. Gerade Letzteres wird einige PolitikerInnen erst recht dazu verleiten, den Leuten nach dem Munde zu reden. Und diejenigen, die klaren Kopf behalten und das Richtige tun wollen, können nicht in einem Handbuch der Corona-Politik nachschlagen (Das gibt es nicht, weil so eine Pandemie noch keiner erlebt hat).
Unglücklich ist auch, dass die Bundesländer z.T. aus Vereinbarungen ausscheren und gemeinsam beschlossene Empfehlungen oder Regeln nicht umsetzen. Da wurde eine Inzidenzzahl 100 als Grenze ausgerufen, dennoch verbietet die Landesregierung NRW z.B. der Stadt Duisburg, bei höheren Inzidenzwerten die Schulen (Präsenzunterricht) wieder zu schließen. Das ist, sage ich als selbsternannter Kommunikationsberater, ein Desaster.
Gern würde ich diesen Blog-Beitrag mit einem positiven Schluss beenden. Dass am 18.03.21 AstraZeneca wieder „freigesprochen“ wird und nun mit Hochdruck weitergeimpft werden soll, habe ich erwartet. Aber auch dieses Hin und Her, ungeachtet der Frage der Verantwortlichkeit, war ein Kommunikationsdesaster, weil es Verunsicherung ausgelöst hat. Da brauchen gewisse ausländische Dienste nicht mehr viel Verunsicherung ins Internet und seine „sozialen Netzwerke“ zu streuen – wir machen die Verwirrung schon selbst. —
Daran anschließend, ein Nachtrag vom 09.04.2021: Am frühen Abend des 08.04. höre ich die Nachrichten und kann es kaum glauben. Statt ernsthaft auf die Mahnungen der WissenschaftlerInnen zu hören und – wie vor Tagen Armin Laschet – einen „harten Lockdown“ zum Brechen der dritten Pandemiewelle in Betracht zu ziehen, reden einige PolitikerInnen in den Bundesländern weiterhin über mögliche Lockerungen und „Modellversuche“ mit Lockerungen. Mit den Kitas und Schulen verfährt auch jedes Bundesland nach eigenem Konzept. Um dem die Krone aufzusetzen, preschen Bayern und Meckpomm vor und bestellen schon mal den russischen Impfstoff Sputnik, der in der EU noch gar nicht zugelassen ist (und, wie man hört, in absehbarer Zeit auch nicht soweit kommen wird).
Statt mehr Einheitlichkeit und Klarheit gibt es noch mehr Regelwirrwarr, und jedes Bundesland und z.T. jede Region hat andere Regeln und Maßgaben. Die Kanzlerin hat schon vorige Woche in einem Interview deutlich kritisiert, dass sich MinisterpräsidentInnen einiger Bundesländer nicht an die gemeinsamen Absprachen zur Pandemiebekämpfung halten. Dem Virus gefällt das. Und ich als selbsternannter Kommunikationsberater schlage die Hände über dem Kopf zusammen: Wie will man „die Bevölkerung mitnehmen“ und motivieren, sich weiter an die Regeln zu halten, wenn man so ein chaotisches Bild abgibt?
Hätten wir die „Merkel-Diktatur“, von der ein paar Verwirrte faseln, dann gäbe es dieses Chaos wohl nicht. Die Kanzlerin war immer auf Seiten derer, die vor zu schnellen Lockerungen gewarnt haben.
Jetzt (am Abend des 09.04.) kann man nur hoffen, dass sich das Vorhaben durchsetzt, auf Bundesebene das Infektionsschutzgesetz anzupassen und im beschleunigten Verfahren von Bundestag und Bundesrat verabschieden zu lassen. Die Zeit drängt, noch gefährlichere Virus-Mutationen werden wahrscheinlich auftreten. Und für die nächste Pandemie müssen wir auf jeden Fall besser vorbereitet sein. —