Fortschritt auf Deutsch

Was läuft schief in Deutschland? Mein Eindruck: eine ganze Menge!
Wo soll ich anfangen, wo aufhören mit der Aufzählung? Ich kann nur ein paar Dinge herausgreifen, ehe ich atemlos pausieren muss.

1. Energiepolitik: Inzwischen ist es schon ein Gemeinplatz, dass unser Land viele Jahre lang sehenden Auges in die Abhängigkeit von russischen Gas gesteuert wurde. Die Leute am Steuer sind in der Bundesregierung seit Ende 2021 abgelöst. Das heißt aber nicht, dass jetzt eine große Kurskorrektur stattgefunden hätte, vielmehr sind die Widerstände enorm. Das zeigte sich jüngst (gegen Ende März ’23) bei der Krisensitzung der Ampel-Regierung: Retro-Anliegen wurden von FDP und SPD begünstigt, obwohl sich diese Koalition zu Beginn „Fortschritts-Koalition“ nannte. Die Grünen bekamen nicht mehr als ein Trostpflaster dafür. Ist das überhaupt eine Regierung, die dem Klimaschutz Priorität einräumt? Oder was will sie mit diesem Gewurschtel erreichen, vielleicht ein Weiter So und dabei fortschrittlich reden?
Und was ist mit der Opposition, welche Perspektiven bietet die CDU? Mir schrillen noch die Ohren von einer Aussage des sächsichen Ministerpräsidenten Kretschmer (CDU) in einer Talkshow vor wenigen Tagen, als er forderte, man müsse die Gas-Pipeline Nord Stream 1 als Option bestehen lassen — für evtl. zukünftige Geschäfte mit Russland. Wann denn? Nach Putin? Wer kann sagen, dass dann die Lage eine wesentlich andere wird? Der russische Staatshaushalt wird jedenfalls bisher hauptsächlich von Einnahmen aus dem Export fossiler Energieträger gespeist.
2. Schulpolitik: Da ist, ähnlich wie in der Energiepolitik, seit vielen Jahren trotz mancher Absichtserklärungen wenig unternommen worden, um die offensichtlichen Mängel zu beheben oder wenigstens zu reduzieren. Da Bildung bei uns Ländersache ist, haben wir ein zusätzliches Problem durch einen Flickenteppich schulpolitischer Maßnahmen. Ich erinnere nur an das Kind, das nach einem Umzug in ein anderes Bundesland meist neue Schulbücher braucht und z.T. andere Vorausssetzungen für den Schulabschluss erfüllen muss. Dann die Misere mit vielen maroden Schulgebäuden! Zuständig sind dafür die Schulträger, das sind meist Städte und Gemeinden. Da werden ganz verschiedene Prioritäten gesetzt, meist je nach Finanzlage. Unter dem Strich schaut man auf die Gesamtsituation und fragt sich: Wieviel sind uns unsere Kinder wirklich wert? In Deutschland liegen die Ausgaben für Bildung — man glaubt es kaum — unter dem Durchschnitt der EU-Länder. Was läuft da grundsätzlich schief? In Fensterreden wird dieses Land immer als eins der Techniker und Ingenieure, des technologischen Erfindergeistes etc. gelobt. Doch der Nachwuchs wird nicht in der Breite gefördert. Das hatten wir schon mal in den 1960er Jahren, als man erkannte, dass das bestehende Schulsystem die Begabungsreserven in der Bevölkerung nicht ausschöpfte und nur den Nachwuchs der eh schon Gebildeten oder Bessergestellten förderte. Mit anderen Worten: Unser Bildungssystem hemmt den Nachwuchs, benachteiligt Kinder aus bildungsfernen Milieus und lässt Deutschland international langfristig zurückfallen.
3. Verkehrspolitik: Seit wievielen Jahrzehnten ist die Eisenbahn Stiefkind der Politik, wird dem Auto und dem Straßenbau gegenüber der Schiene Priorität gegeben! Der Automobilwirtschaft zuliebe wurden — und werden — immer neue Autobahnen gebaut, die angeblich das Volk will. Das Volk will aber neben Mobilität auch eine intakte Natur und Wälder, keine Flut- und Dürrekatastrophen, und eine erträgliche Lebenswelt für Kinder und Enkel. Also, liebe PolitikerInnen, denkt nicht nur in Wahlperioden, bedient nicht nur eure StammwählerInnen, übernehmt Verantwortung für das ganze Land und seine Zukunft — nicht immer nur in Fensterreden, sondern in konkreten Maßnahmen mit sichtbaren Ergebnissen.
So, diese drei Bereiche müssen hier genügen, sonst werde ich depressiv. Zum Eigenschutz sehe ich mir schon kaum noch eine Talkshow mit Politikern im Fernsehen an. Ich kriege schon fast das Kotzen, wenn Einer von der FDP wieder einen Wortbrei von sich gibt, in dem die Zutaten „Freiheit“, „keine Verbote“, „Technologie-Offenheit“, „technischer Fortschritt“, „Vernunft“ u.a. nicht fehlen dürfen. Das ist Wortgeklingel, das sich gut anhören soll, aber die wahren Absichten verschleiert. (Mehr dazu auch im voraufgegangenen Beitrag „Keine Angst!(?)“ )

Ich kann den Satz „Wir sind ein reiches Land“ nicht mehr hören, wenn ich in unseren Städten immer mehr Obdachlose sehe, und wenn ich sehe, wie unser Land mit der Bildung und den Bildungschancen für Kinder umgeht. Eigentlich, dachte ich, stellt den Kanzler derzeit eine Partei, die das Soziale als ihren Markenkern bezeichnet. Müsste da nicht mehr passieren? Von der SPD hört man in Sachen Umwelt- und Klimaschutz auch nicht mehr viel. Gibt die FDP als kleinster Koalitionspartner hier die Richtung vor? Bleibt alle Sorge um Klimaschutz und sozialen Fortschritt bei den Grünen, die dann von FDP und SPD ausgebremst werden? Diesen Eindruck könnte man gewinnen. Ich hoffe sehr, dass sich dies nicht bestätigen wird!

(4.) Und lasst mich nicht noch ein weiteres Fass aufmachen und von der deutschen Bürokratie anfangen! Schon vor Jahren forderten einige Politiker in Wahlkämpfen gern „Bürokratie-Abbau.“ Man hört aber wenig davon, eher von Bürokratie, die die Wirtschaft hemmt oder in sturer Vorschriftenhuberei dafür sorgt, dass im Zweifel (aus formalen Gründen) die Falschen aus Deutschland abgeschoben werden (nämlich gut integrierte Fachkräfte, die unser Land dringend braucht).

Diese Eindrücke lassen mich bedrückt resümieren: Dieses Land steht sich mit alten Gewohnheiten z.T. selbst auf den Füßen.

(5.) Zu den alten Gewohnheiten zähle ich derzeit auch die für Viele scheinbar selbstverständlichen Denkweisen über Friedenspolitik und Militär, die aus einer Zeit stammen, in der man in Westdeutschland gefahrlos „Frieden schaffen ohne Waffen!“ fordern konnte, denn man durfte sich unter dem atomaren Schutzschirm der USA ausgeprägten Pazifismus leisten; den konnte man zusätzlich begründen mit militaristischen, unheilvollen Phasen der jüngeren deutschen Geschichte. Und die allgemeine Wehrpflicht schien im 21. Jahrhundert auch entbehrlich.

Seit Beginn des russischen Überfalls auf die Ukraine erleben wir, wie schwer sich viele Menschen tun, ihr Weltbild wie auch konkret ihre Sicht auf das Militärische der veränderten Realität anzupassen. Das ist auch nicht so einfach, es erfordert eine differenzierte Betrachtung von Fragen der Gewalt, der militärischen Rüstung, der internationalen Politik. Und Kanzler Scholz (SPD) scheint da sehr viel Rücksicht auf Friedensbewegte in seiner Partei zu nehmen. Das wäre ja nicht schlecht, wenn wir nicht den 24.2.2022 erlebt hätten und die brutalstmögliche Kriegführung durch Russland. Aber nun…!

W. R.

Nachtrag am 30.04.2023 zur Energiepolitik: Über die zahlreichen Versuche interessierter Leute, uns, die Bevölkerung (nicht nur in Sachen Atomkraft) dumm zu schwätzen, lässt sich ausführlich dieser Artikel aus: Klima-Verzögerungstaktik: Was Springer, Schäffler, Spahn und Wagenknecht gemeinsam haben – DER SPIEGEL

Man kann nach diesen Überlegungen verstehen, dass manche Menschen hierzulande von Lobbykratie statt Demokratie sprechen, wenn sie auf das parlamentarische System schauen. (Das heißt nicht, dass es anderswo nicht noch schlimmer ist, z.B. in Großbritannien).



Keine Angst! (?)

WÄHREND die meisten Menschen auf dem Globus ihrer Arbeit nachgehen — oder Arbeit suchen — oder auf der Suche nach genießbarem Trinkwasser lange Wege gehen — oder ihren Feierabend mit einem Bier vor dem Fernseher genießen — oder Hunger leiden — oder vor Krieg und Bandenkämpfen auf der Flucht sind — oder an einer Küste auf eine Chance warten, mit einem überladenen Schrott-Boot ein sicheres Land mit besseren Lebensbedingungen zu erreichen — beschäftigen einige Andere sich damit, Künstliche Intelligenz zu erschaffen und diese auf die Welt loszulassen.

Muss man vor Künstlicher Intelligenz alias KI Angst haben? Sollte man sich auf Chancen der Menschheitsbeglückung durch KI freuen?

Dazu gibt es bereits kluge Einlassungen und lange Artikel, die uns das Pro und Kontra vortragen. Einer kann hier als Beispiel angeklickt werden: Künstliche Intelligenz: Die Rückkehr des Wunderglaubens – Kolumne – DER SPIEGEL

Meine persönliche und einstweilige Meinung: Das ist ein selbstlernendes System, es kann sich schnell in eine nicht gewünschte Richtung entwickeln. Also muss man Kontrollsicherungen einbauen — inklusive die Möglichkeit, das System abzuschalten oder zu zerstören.

Der Film „2001 — Odyssee im Weltraum“ (1968) führte uns im Kino schon vor Jahrzehnten vor Augen, was passieren kann, wenn allzu große Technikgläubigkeit Dinge schafft, die dem Menschen die Kontrolle entwinden. In jenem Film ist es der umfassend befähigte Bordcomputer des Raumschiffs, der unerwartet Befehle verweigert und die Kontrolle über das Raumschiff übernimmt. Da wurde das Problem schon vorweggenommen, das uns mit der KI ins Haus stehen könnte (oder wird?).

Heutzutage ist ja fast alles vorstellbar, z.B. auch (angesichts der Begehrlichkeit von autoritären Regierungen, die totale Kontrolle über alles zu haben) die Aneignung einer KI-„Maschine“ durch eine Macht, die die globale Kontrolle anstrebt.

Schon lange vor dem o.g. Film gab es die Ballade vom Zauberlehrling, der „die Geister, die ich rief“, nicht mehr beherrschen konnte… Diese Warnung existierte also schon, als der zunehmende wissenschaftlich-technische Fortschritt die industrielle Revolution in Gang setzte*, und lange, bevor wir die digitale Revolution unserer Lebenswelt erlebten.

Die Frage ist, ob es interessierten Gruppen (das sind die, die darin Geld investieren und mehr Geld erwirtschaften wollen) gelingt, die öffentliche Meinung so zu beeinflussen, dass die Menschen falschen Erzählungen glauben und gegen ihre eigenen Interessen den profitorientierten Gruppen freie Hand lassen.

Gegenwärtig sehen wir z.B. den Einfluss von Lobby-Verbänden am Werk, die die Energiewende behindern, die das Aus für Atomkraft in Deutschland rückgängig machen wollen, die (besonders zur Freude Putins) den Abschied von fossilen Energieträgern (Öl, Gas) verzögern und möglichst vereiteln wollen. In den Medien wird ein Informationskrieg geführt, bei dem Leute von „Vernunft“ sprechen, die alles möglichst beim Alten lassen wollen. Diese Art von Vernunft verharmlost den Klimawandel und seine immer stärker sichtbaren Folgen, versucht die Gemüter zu sedieren, verschweigt dabei die Konzeptlosigkeit für die Zukunft, wirft aber ständig mit Worthülsen wie „Technologie-Offenheit“ um sich und verschleiert die Verantwortungslosigkeit gegenüber unseren Nachkommen.

Diese Sorglosigkeit der Konzernlenker (um noch ein paar Milliarden mehr zu scheffeln) und Diktatoren (Putin ist die Umwelt in Russland und anderswo völlig egal) kann Einem schon Angst machen. Gerade ist der Iran dabei, nach chinesischem Vorbild die Überwachung der Bevölkerung auszubauen (mit zahlreichen Kameras mit Gesichtserkennung). Wenn bald auch noch KI hinzukommt, um die Menschen noch viel effektiver zu täuschen und zu unterdrücken… **

Wir kannten die Egomanen mit Allmachtsfantasien und Streben nach Weltherrschaft bisher eher aus James-Bond-Filmen. Nun stellt sich heraus, dass ein paar Großmannssüchtige das tatsächlich versuchen. Putin will ein großrussisches Imperium erobern, China die Weltmacht Nr. 1 werden, und daneben strampeln noch ein paar Diktatoren der zweiten Liga danach, ihre Macht mit allen Mitteln zu sichern und auszubauen. Allen ist gemeinsam: Menschen sind bloß Nummern und austauschbar, einzigartig ist (nach seiner Selbst-Einschätzung) nur der Diktator.

Fazit: Die Entwicklung neuer Techniken und Technologien ist weder gut noch schlecht, es kommt wesentlich darauf an, wer sie in die Hände bekommt und mit welchen Absichten verwendet. Mir persönlich reicht schon der Hinweis auf die „social media“ des Internet, um mir ein flaues Gefühl im Magen zu machen. Wo bleibt da die Informationsfreiheit, wenn Google und Andere ihre Algorithmen nicht offenlegen? Und was sollen wir noch für wahr halten, wenn uns erst die KI alles Unmögliche als Wahrheit vorgaukeln kann?

W. R.

* Goethe schrieb die Ballade 1797, in einer Zeit, als die Industrielle Revolution in England einsetzte. Wer sie nachlesen möchte, klicke hier: Johann Wolfgang von Goethe – Das Gedicht ‚Der Zauberlehrling‘

** Dazu ein Update vom 02.05.23, das zeigt: Meine Bedenken sind nicht nur meine > Die Gefahren von KI: Warum Geoffrey Hinton Google verlässt – Wirtschaft – SZ.de

An ihren Taten…

DIE zunehmende globale Klimaveränderung wächst sich in einigen Regionen bereits zur Katastrophe aus, Jede und Jeder weiß es — bis auf ein paar hartnäckige Leugner, die stur-besserwisserisch die Erkenntnisse der Wissenschaft ignorieren und sich lieber in Verschwörungsfantasien verlieren… und dazu ein paar geistige Tiefflieger, die nur glauben, was sie zu sehen glauben, nämlich dass die Erde eine Scheibe sei und Sol mit dem Sonnenwagen tagsüber über den Himmel fährt.
So einen Sonnenwagen, befeuert mit E-Fuels, malt uns unser derzeitiger Verkehrsminister Wissing (FDP) an den Himmel und will uns das als Alternative zur Abschaffung der Verbrenner-Motoren in Autos verkaufen. Sein Motto: Was schert mich Europa, wenn ich ein parteipolitisches Süppchen kochen kann!
Ich habe besonnene und gut informierte Leute reden hören, wie sie im Gespräch fragten: Ist dieser Verkehrsminister noch bei Verstand? In einer Wahlkampfrede in Hessen bezeichnet er alle Kritik an seinen Plänen als „Klima-Blabla.“ Geht’s noch verbohrter? Ist dieser Minister überhaupt politikfähig, oder muss man gar noch schlimmere Defizite befürchten?
Und seine Partei, die FDP? Selbst den meisten Porsche- und SUV-Fahrern, so sie bei Verstand sind, muss dieser Mann langsam unheimlich werden. Ich verzichte auf ausführliche Begründung, es genügen die Stichworte Tempolimit, Autobahnausbau, DB. Wissings Markenzeichen ist das Geisterfahren gegen Klimaschutz, gegen Empfehlungen der Fachleute, und gegen EU-Beschlüsse.
Die FDP soll sich bloß nicht erdreisten, sich als gute Europäer darzustellen. Ich erinnere mich an einen Europa-Wahlkampf zur Zeit der rot-grünen Schröder-Regierung, in dem die FDP Plakate klebte mit dem Slogan: „Denkzettel für Berlin!“ Ich war entgeistert darüber, wie unverfroren da eine Wahl für das Europaparlament missbraucht wurde, um innerdeutsche Stimmung gegen die Bundesregierung zu machen: Das wollen aufrechte Demokraten sein? dachte ich. Die sind doch bloß populistisch unterwegs und nutzen mangelnde Kenntnisse in der Wählerschaft für egoistische Zwecke, anstatt sie über den Sinn dieser Wahl aufzuklären.
Das ist Schnee von gestern? Für mich nicht. An ihren Taten sollt ihr sie erkennen, danach beurteile ich PolitikerInnen und Parteien. Wissing hat sich soeben in Brüssel als Saboteur einer europäischen Einigung gezeigt, die schon ausgehandelt war (was in Europa oft mühsam genug ist).
Wer wundert sich angesichts solcher Politik darüber, dass die „Letzte Generation“ nicht aufhört, sich auf belebten Straßen festzukleben? Es würde aber treffsicherer wirken, wenn sie sich z.B. an die Dienstwagen von Wissing und Lindner klebten. Denn die bisherigen Aktionen mögen zwar mediale Aufmerksamkeit sichern, aber Einiges erscheint mir nicht so zielführend, wie es im Furor der Weltrettung beabsichtigt ist.
Leider hatten wir in letzter Zeit mehrere närrische Verkehrsminister, die das Ressort für egoistische Parteipolitik genutzt haben statt für das Gemeinwohl. Ist das der Preis für ein Demokratie-System, das auf Parteien setzt und im Zweifel auf Koalitionsregierungen, die durch Kompromisse zustande kommen? So scheint es, und in anderen Staaten mit einem demokratischen System läuft es nicht unbedingt besser.
Churchill sagte: „Demokratie ist die schlechteste Regierungsform…“ Und irgendwann fügte er hinzu: „Aber ich kenne keine bessere.“ Den Fans von autoritären Regierungen bzw. Diktaturen kann ich nur raten: Schaut Euch die Sache vom Ende her an. Ein Putin, der davon träumt, Russland zu alter historischer Größe zurückzuführen, führt Russland in den Niedergang. Ein Hitler, der größter Feldherr aller Zeiten sein wollte, ließ Deutschland verkleinert und in Trümmern zurück. Beide sorgen dafür, dass ihr Volk einen hohen Blutzoll zahlt — und für was?

Dabei haben wir, die Völker dieser Welt, doch ganz andere Probleme, die weder durch Krieg noch durch Wegsehen, sondern nur durch internationale Zusammenarbeit gelöst werden können. Aber solange die falschen Leute auf wichtigen Posten sitzen, muss man befürchten, dass wir viel zu langsam an Lösungen herangehen. Dem alles überschattenden Klimaproblem ist mit halbherzigen Maßnahmen nicht beizukommen. Wir sehen das doch fast täglich in den Nachrichten. Und das Problem wächst rasant, während manche Leute immer noch Volksverdummung spielen und wichtige Maßnahmen ausbremsen.

W. R.

In Sachen „Verbrenner“ und Energiepolitik lesen wir Deutliches in diesem Beitrag vom 19.02.2023: Konservative Energiepolitik: Mit Vollgas in die falsche Richtung – Kolumne – DER SPIEGEL

Was der Klimawandel für Europa bedeutet (das sich im Vergleich zu anderen Kontinenten besonders stark erwärmt), zeigt z.B. diese Meldung: Spanien hat Angst vor der Sonne – DER SPIEGEL

Einwurf am Tresen

Gestern in der Kneipe legte mal wieder einer der Stammgäste am Tresen los:
„Also, diese Putin-Versteher und Scheinpazifisten, die gegen die Waffenlieferungen an die Ukraine wettern — das sind für mich schlicht und einfach Landesverräter. Doch, ja, warum? Sie fallen der Regierung, der EU, der Nato in den Rücken, wo doch gerade jetzt Geschlossenheit gegen den Aggressor angesagt ist.
Außerdem begreife ich diese Leute nicht — oder kann ich mir einfach nur nicht vorstellen, dass man für Unmenschlichkeit, Brutalität und rücksichtslose Kriegführung sein kann? Wer diese Dinge, wer diesen russischen Angriffskrieg entschuldigt, der hat doch wirklich den Schuss nicht gehört! Was würden denn dieselben Leute sagen, wenn Putin sich morgen entschließt, Raketen auf deutsche Kraftwerke und andere wichtige Versorgungseinrichtungen zu schießen? Wenn von Russland gesteuerte Raketen und Drohnen ihre Wohnhäuser zerstörten? Fänden diese Leute dafür dann auch noch verständnisvolle Ausreden? Kann ich mir nicht vorstellen.
Aber so sind sie, die Leute, die bedenkenlos das Leben anderer Menschen zu opfern bereit sind, solange es sie selbst nicht trifft. Darunter sind Leute mit faschistischer Weltanschauung, die das aber nicht hören wollen und sich gegen die „Nazi-Keule“ wehren. Das sind Leute, die nicht einmal hören wollen, was man unter „Faschismus“ versteht — könnte ja sein, dass sich herausstellt, wie nahe sie dem selber stehen.
Jupp, machste mir noch ’n Kölsch?
Nä, wat is dat unappetitlich. Und dann zeigt mir da heute Einer auf dem Handy in den „social media“ so einen Post, da weiß ich nicht, ob ich weinen oder lachen soll. Da hat Einer eine ganze Reihe Zitate von Vertretern der Grünen-Partei zusammengestellt, die nur empörend sind und in denen sich diese Leute als Deutschenhasser und Ausländerfreunde zeigen. Im ersten Moment stutzt man und meint: Empörend! Und dann leitet man das spontan, wie der Absender wünscht, an weitere Leute weiter, damit die sich auch empören.
Nä, echt, erstmal noch ’nen Schluck. Ja, Jupp, noch eins.
Also, genau so funktionieren diese social media. Das Blödste und Empörendste wird vom Algorithmus ganz nach vorn gestellt, damit möglichst Viele das spontan anklicken und weiterleiten. Damit wird es im Netz weiter verbreitet, selbst wenn dann festgestellt wird, dass es Blödsinn ist, selbst wenn es nach einer Zeit gelöscht wird (oder auch nicht).
Ach ja, noch zu dem Post: Ich habe mir den mal genauer angeschaut. Aber hallo: Der ist ein Lehrbeispiel für den Unterschied zwischen seriösen Medien und Gesabbel in social media. Nämlich 1. sind hier Zitate — angeblich belegbare! — aufgeführt, aber weder Datum noch Quelle des Zitats werden genannt — womit schon mal nicht überprüfbar ist, ob es sich überhaupt um echte Zitate handelt. 2. Falls es wirklich unverändert wiedergegebene Zitate sind, fehlt der Zusammenhang, um sie einordnen zu können. 3. Da hat angeblich eine Grüne Verständnis gefordert für einen Asylbewerber, der eine junge Frau vergewaltigt und umgebracht hat.
Und jetzt überlegt mal kurz: Könnt Ihr Euch eine Frau vorstellen, die für sowas Verständnis aufbringt? Nicht? Da hat sich doch glasklar der Urheber dieses Fake selbst ein Bein gestellt und ist weit übers Ziel hinaus geschossen. Da überschlägt er sich in seinem Hass auf Grüne und wohl auch auf Frauen.
Also, liebe Leute, ein klein wenig Grips, ein wenig Nachdenken kann verhindern, dass Ihr auf solche Fakes hereinfallt und sie ohne Einschalten des Gehirns, nur mit dem Bauch, bestätigt und weiterleitet.
So, darauf trinken wir noch einen.
Übrigens, ich krieg das Grausen, wenn ich mir vorstelle, wieviele Menschen sowas auf’m Handy lesen und gedankenlos weiterleiten.
Aber mach was dran! Man müsste schon das Internet abschalten, um diesen Unfug einzudämmen. Das passiert ja in einigen Diktaturen, aber nicht wegen Fake News, sondern um unerwünschte Kritik zum Schweigen zu bringen.
Un‘ ich sach noch: Augen auf und Gehirn einschalten auch im Internet! Da meint es längst nich‘ jeder ehrlich — wie im richtigen Leben auch.
Jupp, ein Wasser, ich muss klar bleiben im Kopf. —
(aufgezeichnet von W. R.)

Nachbemerkung von W. R.:
Die Sache mit der (offensichtlich erfundenen) verständnisvollen Grünen-Frau verrät, aus welcher Ecke dieser Post stammt. Muss ich das noch erläutern? Ihr wisst sicher selbst, dass solche Fantasien am ehesten im Milieu von Rechtsradikalen, Verquerdenkern, Putin-Freunden etc. zu finden sind, eine Mischpoke, die sich gern auf prorussischen Demos zusammenfindet …

Nachtrag am 31.01.23: Der oben zerpflückte Post zeigt 1. dass sich der Urheber nicht in Frauen hineindenken kann oder will, die Mühe macht er sich gar nicht, und schon deshalb kommt Stuss dabei heraus; 2. dass der ganze Anti-Grünen-Post voll auf der AfD- und Maaßen-Linie liegt. Ihr habt doch gehört, was H. G. Maaßen vor wenigen Tagen von sich gegeben hat, oder?. Wenn Einer von einer „rot-grünen Rassenlehre“ faselt, dann schießt er sich selbst ins Abseits.* Das kann man nicht ernst nehmen, zugleich aber auch nicht tolerieren Zu Recht hat der Parteivorsitzende der CDU daraufhin Maaßen aufgefordert, die Partei zu verlassen. Und die sogenannte Werte-Union hat sich mit der Wahl dieses Vorsitzenden auch in AfD-Nähe positioniert.

* Wer überhaupt ernsthaft von Rassenlehre spricht, benutzt eindeutig Nazi-Vokabular. Das muss gerade ein Maaßen als ehemaliger Präsident des Verfassungsschutzes wissen. Daher war das kein Versehen, sondern bewusste Ansprache eines rechtsgerichteten Milieus.

Nicht zu vergessen: Man sollte immer darauf hinweisen, dass der Begriff „Rasse“ falsch ist, wenn es um Menschen geht. Das kann Euch jeder Biologe und jede Medizinerin erklären, sofern sie nicht von rechten Gift-Parolen infiziert sind. Es gibt auch im Hinblick auf die Genforschung keine „Rassen“-Unterschiede zwischen Menschen verschiedener Kontinente oder Hautfarbe etc. Aber wie beim Klimawandel versuchen immer ein paar Leute, die Ergebnisse der Wissenschaft zu ignorieren oder scheinbar zu „widerlegen“. Sowas wie „Rassenlehre“ ist nichts weiter als der vergebliche Versuch, Diskriminierung und Ausgrenzung, Kolonialismus und Sklaverei irgendwie sachlich zu begründen. Und einige Unbelehrbare klammern sich weiter verzweifelt an die liebgewonnene Vorstellung, sie gehörten einer „überlegenen weißen Rasse“ an. Diese Selbsterhöhung auf Kosten Anderer ist ein moralischer Defekt, wenn nicht bei Manchen sogar ein psychischer.


Zu Themen des Tages,16.01.2023

Unüblich in diesem Blog, äußere ich mich hier mal zu tagespolitischen Dingen:
1. Lützerath: Nach gefühlt 2 Wochen ständiger „Kriegsberichterstattung“ aus dem ehemaligen Dorf Lützerath im Braunkohlerevier ist erstmal Ruhe eingekehrt. Jetzt werden Details geklärt zum Polizeieinsatz und zu Gewaltszenen. Die Klima-Aktivisten hatten ihre maximale Aufmerksamkeit in den Medien. So, und was weiter? Wird nun eine Diskussion eröffnet über Gewaltlosigkeit und Legalität? Wollen die Aktivisten noch eins drauflegen? Ehrlich: Mir wurde bei einigen Äußerungen von Aktivisten klar, warum ich nicht Aktivist geworden bin.
2. Die Grünen werden von mehreren Seiten angegangen, teils angefeindet. Was haben sie getan? Wer in politischer Verantwortung steht, von dem erwarte ich jedenfalls mehr als nur Klientelpolitik. PolitikerInnen im Amt müssen Verantwortung für das Land und seine Bevölkerung wahrnehmen. Das haben in meinen Augen Vertreter der Grünen im Bund (Ampel-Regierung) und auch in NRW getan — was man nicht von allen Anderen so sagen kann. Ich sehe bei verschiedenen Gelegenheiten eher Leute damit beschäftigt, sich für Partei-Interessen einzusetzen, ihre Wähler populistisch zu mobilisieren und auf Umfragen zu schielen. Darum: Wenn es je Gründe gab, die Grünen zu unterstützen, dann jetzt, siehe oben.
3. Wann endlich bekommt die Ukraine in ausreichendem Umfang die militärischen Geräte, die sie schon längst hätte haben müssen, um die russische Armee aus dem Land zu werfen? Wie lange wollen einige Leute warten — vielleicht, bis wir die halbe Bevölkerung der Ukraine als Kriegsflüchtlinge aufgenommen haben? Bis Putin alle Städte plattgemacht hat? Bis Putin zwei Drittel des Landes vermint oder in Trümmer gelegt hat? Was, bitte, stellt Ihr Euch vor, die Ihr den Eiertanz um „schwere Waffen“ veranstaltet? Was bringt es, weiterhin alles Militärische – pfui, bah – zu verteufeln und Diplomatie und Verhandlungen herbeizuwünschen bzw. zu fordern, die es ziemlich sicher erst nach schwerwiegenden militärischen Entscheidungen geben kann? Hallo da draußen, wir leben nicht mehr in der Welt der frühen 1980er Jahre („Frieden schaffen ohne Waffen“). Ja, ich hätte mir auch gewünscht, Putin hätte weniger Lust auf Kriegführung und menschenverachtende Brutalität, aber da will ein skrupelloser Machtmensch ein Großrussland erzwingen, egal auf wessen Kosten. Wie wollt Ihr den denn stoppen? Oder wollt Ihr ihn belohnen, nur damit Ihr Euren Frieden habt? Andere Diktatoren schauen genau hin!

Soweit für heute.

W. R.

Zu Punkt 3 ein aktueller Nachtrag: Zwei prominente und politisch aktive Frauen haben einen Offenen Brief an Bundeskanzler Scholz geschickt und Verhandlungen statt Waffenlieferungen gefordert. Ts, ts, ts… Im Kölner Stadt-Anzeiger vom 14.02.23 schreibt dazu Heribert Münkler eine Kritik, die diesen Brief und seine Argumentation auf sachkundiger Basis in Grund und Boden stampft. Und kurz darauf meldet sich auch noch eine bekannte Theologin zu Wort und fordert auch ein Ende der Waffenlieferungen plus sofortige Verhandlungen.

Jo, mei! Darauf schrieb ich am 19.02. einen Leserbrief:

„Alle diese pazifistischen Wortmeldungen entspringen sicherlich ehrenwerten Gefühlen, doch geben sie keine rationalen Antworten auf realpolitische Fragen. So der ansonsten von mir sehr geschätzte Herr Precht nach dem Beginn des russischen Angriffskrieges, oder später andere hochintelligente Menschen bis hin zu Wagenknecht und Schwarzer… Es wird zwar von der „hohen Kunst der Diplomatie“ gesprochen, auf die statt auf Militär gesetzt werden sollte, doch an diplomatischen Bemühungen hat es vor dem Krieg nicht gefehlt. Ich habe die Bilder noch vor Augen: Macron und Scholz mussten an einem gefühlt kilometerlangen Tisch Putin auf Rufweite gegenübersitzen. Das erinnert an die diplomatischen Aktivitäten 1938, als Politiker sich bemühten, Hitler vom Einfall in die Tschechoslowakei abzuhalten. Bekanntlich konnte damals der Friede nicht bewahrt werden, weil ein Hauptakteur nicht wollte. Und jetzt? Der Hauptakteur hat sich selbst in eine Lage manövriert, aus der er nur mit extremer Gewaltanwendung hinauskommen könnte — sofern die Ukraine an Unterstützung verliert. Übrigens: Wer von der Geschichte lernen möchte, mag sich das Schicksal der Tschechoslowakei 1938/39 anschauen. Wer bitte möchte der Ukraine Ähnliches zumuten — nur „um des lieben Friedens“ willen, der auch für die Ukraine Unterwerfung und Gewaltherrschaft bedeuten würde?“


Das geht in die Geschichte ein

DAS Jahr 2022 neigt sich dem Ende zu, und wir sind sicher, dass man sagen kann: Dieses Jahr wird in die Geschichte eingehen.

Wir machen hier jetzt keinen Jahresrückblick, aber zumindest das Datum 24. Februar fällt uns sofort ein. Das war der Tag, an dem Möchtegern-Eroberer-Zar Wladimir Putin einen unnötigen und ungerechtfertigten Krieg begann, indem er in das Nachbarland Ukraine einmarschierte und glaubte, mit Propagandalügen und vielen russischsprachigen Sympathisanten im angegriffenen Land einen schnellen Sieg einfahren zu können.

Doch es kam anders, denn die „ruhmreiche Rote Armee“ war offenbar längst Vergangenheit. Putin selbst lebt ja in seiner Gedankenwelt in einer Vergangenheit, die längst vorbei ist, ihm aber als Orientierungshorizont dient. Deshalb hat er im Jahr 2021 und schon davor in öffentlichen Verlautbarungen sehr stark auf Geschichte zurückgegriffen. In seiner Sicht war die Annexion der Krim (2014) eine „Wiedervereinigung“, und die beabsichtigte Eroberung der Ukraine die Zerschlagung eines Un-Staates, den es in seiner Sicht nicht geben durfte (erst recht nicht nach der politischen Wende hin zu mehr Demokratie). Die Ukraine, hieß es, sei immer Teil Russlands gewesen. Doch tatsächlich ist diese Interpretation historischer Verhältnisse umstritten, denn aus den Macht- und Abhängigkeitsverhältnissen im Mittelalter (Kiewer Rus) lassen sich nicht so einfach ethnische oder territoriale Zugehörigkeiten für die heutige Welt ableiten.

Wie auch immer, man kann ja in Allem immer etwas Anderes sehen und einen Vorgang der Geschichte anders interpretieren, als er nach allgemeingültigen Kriterien beurteilt wird. Welche „historische Wahrheit“ sich durchsetzt und allgemein anerkannt wird, ist manchmal eine Machtfrage.

Aber Macht allein kann auf Dauer nicht garantieren, dass krasse Verleugnung und Verfälschung von Geschichte nicht doch erkannt und publik gemacht wird.

Als nach Stalins Tod (1953) Nikita Chruschtschow eine Teil-Entstalinisierung begann und von Stalins Verbrechen sprach (1956), da brach für stalintreue Kommunisten nicht nur in der Sowjetunion eine Welt zusammen. Stalin wurde erstmals als der gesehen, der er war: Ein Massenmörder, der über Berge von Leichen hinwegging. Und doch wollten ihn Viele weiterhin als das verehrte „Väterchen Stalin“ sehen und weiter dem Personenkult huldigen, der Stalin so lange erstrahlen ließ.

Unter Putin wurde die Aufarbeitung der Vergangenheit unter Stalin nach Kräften zurückgedreht: Die Arbeit einer Organisation namens „Memorial“, die Verbrechen der Stalin-Ära untersucht, wurde zunehmend behindert, schließlich ganz verboten. Warum? Das könnt Ihr Euch selbst denken.*

Und was hat Putin in diesem Jahr erreicht? Zwei Dinge: 1. Er hat in einer Fehleinschätzung der Realität sein Militär vor den Augen der Welt in eine Blamage geführt, die den Nimbus einer „siegreichen Sowjetarmee“ vergessen lässt. 2. Er hat die Ukraine, eine angeblich nicht-existierende Nation, zu patriotischen Widerstand gedrängt und sie in kurzer Zeit zu einer wirklichen Nation zusammenwachsen lassen.

Zum konstituierenden Mythos der ukrainischen Nation wird in Zukunft gehören, dass sie dem übermächtigen Nachbarn die Stirn geboten hat, der sie vernichten wollte. Damit hat Putin moralisch verloren.** Und dabei haben wir noch nicht einmal von Putins moralfreier, unmenschlicher Kriegführung gesprochen.

Zu letztem Punkt muss ich darauf aufmerksam machen: Die Welt, oder die Weltgemeinschaft, darf nicht zulassen, dass Putins Verhalten der neue globale Standard bei Konflikten wird. Sie darf nicht hinnehmen, dass ein Machthaber willkürlich einen Krieg vom Zaun bricht und, mehr noch, diesen Krieg mit zahllosen Kriegsverbrechen führt. Wenn die Gründung der UN damals Lehren aus dem Zweiten Weltkrieg zog, dann ist es dringend nötig, Lehren aus den Kriegen Putins zu ziehen und eine Weltordnung zu etablieren, die als Konsequenz nicht nur Putins Regime verurteilt, sondern auch den Angriffskrieg als solchen erneut ächtet – wie das schon in den Nürnberger Prozessen gegen das Nazi-Regime geschah.

Moralisch ist das keine Frage, politisch muss es durchsetzbar sein und auch durchgesetzt werden. Und wenn es nicht anders geht, dann muss Putins Russland eben eine Niederlage einstecken und zum Frieden genötigt werden. Wie sonst, bitte schön, soll denn diese Welt ein Stück friedlicher werden? Wir haben außerdem noch andere Probleme zu lösen, von denen leider Putins Zaren-Nostalgie die Welt ablenkt. Das kommt noch zusätzlich auf sein Konto: Statt zum Fortschritt im Sinne der Menschheit beizutragen, verursacht er Chaos und Rückschritt. Damit ist seine Rolle in der Geschichte auf jeden Fall schon negativ vorgemerkt.

S. R.

P.S. Die Verbrechen Stalins betrafen die Ukraine unmittelbar: Er ließ große Mengen Getreide beschlagnahmen und ins Ausland verkaufen, um Devisen für den geplanten Aufbau der Schwerindustrie einzunehmen. Als Folge verhungerten mehrere Millionen Menschen nicht nur in der Ukraine, wo dieses Verbrechen „Holodomor“ genannt wird. Ein Denkmal in Mariupol, das seit 2004 daran erinnerte, ließen die russischen Besatzer im Oktober abreißen — auch hier zeigt sich wieder der Kampf um die Deutung der Geschichte… Schon in der Sowjetunion wurde das Gedenken an den Holodomor unterdrückt.

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*mehr zu Memorial: Memorial (Menschenrechtsorganisation) – Wikipedia

** Hätte Putin sich nicht nur mit dem historischen Großrussland, sondern auch näher mit dem Zweiten Weltkrieg in Westeuropa befasst, dann wüsste er, wie Hitlers Bombenkrieg gegen England dort zum Mythos (The Blitz) des Widerstands- und Überlebenswillen erkoren wurde, die Nation stolz machte und so zum Durchhalten animierte.

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Nachtrag am 12.12.2022: Kaum war der obige Blog-Beitrag online gegangen, da sagte Putin seine übliche große Pressekonferenz zum Jahresende ab, die heute stattfinden sollte. Man könnte da einen Zusammenhang sehen, muss man aber nicht. So verhält es sich auch mit der einen oder anderen „historischen Wahrheit“, die vielleicht nur eine kühne Hypothese ohne Belege ist, aber trotzdem Gläubige findet — weil manche Leute eben einfach glauben wollen, was ihnen so schön ins Bild zu passen scheint. Ein Beispiel, das wir alle kennen: Donald Trumps Lüge von der „gestohlenen Wahl“, die noch immer bei vielen US-Bürgern verfängt.

Dieser Tage gab es eine große Polizei-Aktion gegen sogenannte Reichsbürger. Das sind Leute, die daran glauben wollen, dass dieser Staat keine Legitimation habe und das Deutsche Reich seit 1945 de jure weiter bestehe. Diese verrückt erscheinende Vorstellung könnte man als witzige Kabarett-Nummer verstehen, und so verstand ich sie, als ich in den Nuller-Jahren zum ersten Mal davon hörte. Inzwischen ist bekannt, dass viele Leute Gefallen an dieser Vorstellung gefunden haben und — das ist der Knackpunkt — ernsthaft glauben, mit dieser gedanklichen Konstruktion real Politik machen zu können.

Inzwischen haben diese Leute gemerkt, dass sie damit in der realen Politik keinen Blumentopf gewinnen können. Einige von ihnen wollen trotzdem nicht davon lassen und verlegen sich auf verschwörerische Umtriebe gegen diesen Staat, den sie mit oder ohne „Reichsbürgertum“ pauschal ablehnen. Konkret: Einige gehen so weit, dass sie reale Verschwörungen zum Sturz der Regierung und des demokratischen Systems planen, Waffen horten, „Feindeslisten“ schreiben, Einsatzpläne für den „Tag X“ ausarbeiten und sich in eine Machtübernahme nicht nur hineinträumen, sondern sie mit gewaltbereiten Leuten real in Szene setzen wollen.

Spätestens da muss auch ein demokratischer und im Prinzip toleranter Staat eingreifen. Wäre unser Staat ein autoritäres System, dann wären diese Möchtegern-Putschisten schon lange im Vorfeld verhaftet worden. In einem Staat wie z.B. dem gegenwärtigen Russland wären sie längst im Arbeitslager inhaftiert.

Wer unser demokratisches System erst gar nicht verstanden hat, der weiß auch wenig von den Grundwerten der Demokratie und läuft daher z.B. in einer Demo der Pegida oder der Verquerdenker mit. Da entblödeten sich fehlinformierte Menschen nicht, Schilder hochzuhalten, die von einer „Merkel-Diktatur“ kündeten. Auch das wäre allenfalls als Kabarett-Witz zu gebrauchen, wenn es diese Leute nicht tatsächlich ernst meinten.

Da werden Leute, die argumentieren wollen, von solchen Demonstranten niedergebrüllt — denn „man weiß“ ja längst, dass die alle bezahlte Marionetten des Systems sind und dass die Medien gleichgeschaltet und aus dem Kanzleramt gesteuert sind.

Das wiederum fand ich ausgesprochen lustig: Diese Leute, die sich von „Russia Today“ und anderen, von der Putin-Regierung finanzierten Kanälen bestens „informiert“ fühlten, beschrieben ein Bild, das eher auf Russland passte, aber von Putin als Bild hiesiger Verhältnisse in die Köpfe unserer Bevölkerung gesetzt werden sollte. Man will die Leute hier verunsichern, indem man frech die Tatsachen auf den Kopf stellt.

Dieses Propaganda-Schema findet man heute auch in den russischen Verlautbarungen über den Krieg gegen die Ukraine. Aber in einem Krieg wundert das nicht. Und, messerscharf geschlossen: Putin sah sich anscheinend schon vor 2022 im Krieg mit den westlichen Demokratien. Warum sonst finanzierte er soviel propagandistische Unterwanderung, warum finanzierte er schon lange viele rechtsradikale Parteien und Gruppierungen im Westen?

Wer verstehen will, wie Russland sich selbst sieht, und welche Erzählung über die Geschichte dieses Selbstbild begründet, der lese, was Orlando Figes in seinem Buch Eine russische Geschichte dazu schreibt. Seit Zar Iwan IV. dem Schrecklichen wird ein Mythos von der heiligen russischen Nation und dem „Sammeln russischer Erde“ gepflegt und Großrussland beschworen, Moskau als „Drittes Rom“ und Haupt der russisch-orthodoxen Kirche etabliert und in den Köpfen verankert.

Kein Wunder also, dass Putin den Schulterschluss mit der orthodoxen Kirche vollzogen hat (Wir erinnern uns z.B. an die Protestaktion von Pussy Riot in einer Moskauer Kirche 2012, für die die Teilnehmerinnen zu mehrjährigen Haftstrafen im Arbeitslager verurteilt wurden), kein Wunder auch, dass Patriarch Kyrill Putins Krieg gegen die Ukraine (auch aus kirchenpolitischen Gründen) unterstützt.

Und das Gros der Bevölkerung Russlands folgt der mythisch überhöhten Geschichtserzählung, die den Traum eines wiederhergestellten Großrusslands als historische Sendung preist — und dabei natürlich vom Selbstbestimmungsrecht der Völker oder gar von Demokratie nichts wissen will.

Wen überrascht da noch, dass andere Autokraten ebenfalls nostalgische Großreich-Träume wieder aufwärmen, z.B. Erdogan (Osmanisches Reich) oder Orban (ungarische Minderheiten in Nachbarstaaten „heim ins Reich“ holen). Wen überrascht, dass solche Autokraten auf Machtpolitik und Drohgebärden setzen und machomäßig Stärke zeigen — anstatt den Menschen diesseits und jenseits der Grenzen Ruhe, Frieden, Handel und Verbesserung ihres Lebensstandards zu ermöglichen durch friedlichen Austausch und Verständigung.

Die rückwärts orientierten Machthaber-Träume von Grenzverschiebungen und Annexionen schüren Konflikte, führen zu Unfrieden, betonen Trennendes zwischen den Menschen statt das Gemeinsame. Grenzen auf politischen Landkarten sind — so gesehen — etwas Gestriges, Antiquiertes, und sollten in unserer Zeit keine so große Rolle mehr spielen. Denn tatsächlich wird unsere Welt mit 8 Milliarden Menschen immer mehr zum „globalen Dorf“, in dem niemand mehr so tun kann, als ginge ihn/sie die anderen Menschen nichts an.

Das Gespenst der Freiheit

Halloween? Wer bitte braucht denn sowas? Allein die Nachrichten über Russlands Krieg gegen die Ukraine reichen völlig aus, uns das Gruseln zu lehren, da kommt kein Horror-Film mehr mit: barbarische Kriegführung wie im Mittelalter, enthemmte russische Soldateska plündert, foltert, mordet… Dazu kommen, wenn man mal hinhört, die abstrusen Propaganda-Behauptungen aus Russland, die völlige Verdrehung der Tatsachen, die entmenschlichende Darstellung des ukrainischen „Feindes“ in den Staatsmedien — das sind alles keine originellen Neuheiten, Viele historisch Informierte kennen das sattsam aus Kriegen der Vergangenheit.

Aber Putin lebt ja in den Vorstellungen der Vergangenheit, er will die Zeit zurückdrehen, will sich als neuer Zar in die Geschichtsbücher einschreiben. Außerdem kennt er keine menschlichen Rücksichten (wie einige Zaren und Stalin vor ihm), weder Rücksicht auf die eigenen Soldaten noch auf die Zivilbevölkerung im angegriffenen Land. Auf Petersburger Hinterhöfen hat er als Jugendlicher gelernt, dass nur Stärke, Brutalität und Täuschung das Überleben sichern. Dann hat er in seiner Karriere im KGB gelernt, dass zum Nutzen des eigenen Machtsystems alles erlaubt ist, und mit welchen Mitteln man Menschen gefügig machen kann. Im Übrigen zählen für ihn nur Männerfreundschaften und Seilschaften (bevorzugt mit alten Kumpeln vom KGB).

Wer so gestrickt ist wie Putin, ist nicht nur Macho, er verachtet auch Demokratie und ihre Kompromisse, die viele Menschen einbinden. Und er verabscheut die freie westliche Lebensweise, weil er die Menschen lenken, bevormunden, für seine Zwecke benutzen will.

Putin denkt beim Stichwort „Halloween“ an das Gespenst der Freiheit, das seine Herrschaft in Frage stellen könnte. Dieses Schreckgespenst fürchtet er genauso wie viele andere autokratische Machthaber, wo auch immer sie in ihren Machtzentralen sitzen und Krieg gegen die Freiheit führen, sei es in China, Myanmar, Iran, Saudi-Arabien, Ägypten, Syrien, um nur einige zu nennen (Ihr könnt die Liste erweitern).

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Es ist immer entlastend, mit dem Finger auf schlimme Dinge zu zeigen, die Andere verbrochen und zu verantworten haben. Wenn ich mal im eigenen Land bleibe, dann gruselt es mich auch vor manchen (vor allem braun gefärbten) Gespenstern. Aber gruseln kann man sich nicht nur mit Blick auf die Politik.

Beispiel: eine Meldung aus der Massentierhaltung. Da werden Masthühner gezüchtet, die soviel Fleisch ansetzen, dass sie fast wie eine Kugel anwachsen und sich kaum noch fortbewegen können. Der Begriff „Qualzucht“ ist da völlig zutreffend. Ansonsten bleiben Einem die Worte im Halse stecken. Es sind nicht nur die tierquälerischen Nerz-Farmen, die verboten gehören…

Wenn Alle immer sehen könnten, was Tieren aus Gewinnsucht angetan wird, würde der Fleischkonsum sicher drastisch sinken. Gar kein Fleisch mehr essen? So weit muss man nicht gehen. Den Tieren würde es schon bedeutend besser gehen, wenn statt täglich Billigfleisch nur noch 1-2mal pro Woche gutes bzw. Bio-Fleisch auf den Tisch käme. Fleisch von Tieren, die z.B. nicht mit Antibiotika vollgepumpt wurden. Aber das habt Ihr hoffentlich schon gehört. Dann zieht daraus die Konsequenz — auch für Eure eigene Gesundheit!

W. R.

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Nachtrag am 22.11.2022: Das Gespenst der Freiheit gibt es in anderer Form auch in unserem Land, hier allerdings als Übertreibung und egoistische Auslegung des Begriffs „Freiheit“. Viele Menschen scheinen in der Pubertät stehengeblieben zu sein und handeln nach dem Motto „Hauptsache: Dagegen!“ sowie „Ich zuerst!“ und „Mir schreibt keiner was vor!“ Was dabei völlig übersehen wird: Regeln und Vorschriften wurden hierzulande in der Regel nicht willkürlich erlassen, sie dienen auch nicht dem Ziel, Freiheiten einzuschränken und Leute zu ärgern.

Einfaches Beispiel: Bauvorschriften sehen Geländer an Treppen vor, die eine gewisse Zahl von wenigen Stufen überschreiten. Wozu das? Wer auf den Stufen fehltritt oder ausrutscht, zumal im Dunkeln, der findet im Zweifel Halt am Geländer und stürzt nicht (was vor allem bei älteren Menschen oft Knochenbrüche nach sich zieht). Diese Bauvorschrift dient also der Sicherheit und Gesundheit der Menschen. Wenn nun Einer daherkommt und sagt: Interessiert mich nicht, ich lasse mir keine Vorschriften machen, ich spare das Geländer ein — wie bewerten Sie ein solches Verhalten? Kann man das Ignorieren von Regeln und Verboten entschuldigen, weil Einer zu blöde ist, den Sinn zu erkennen?

Mir scheint, dass heutzutage eine Menge Menschen das Ignorieren und Brechen von Regeln total schick finden, dass sie im Stolz auf ihren Eigensinn sogar ihr Leben im Straßenverkehr riskieren und alle Anderen für Duckmäuser halten, die noch Regeln beachten. Mehr noch, manche jubeln sich selbst zu Widerstandskämpfern hoch, die sich „vom Staat“ nichts diktieren lassen und daher gegen alles opponieren, was irgendwie vom Staat kommt. Manche sind — mit Verlaub — so bekloppt, dass sie jede Uniform als Feindbild sehen und sich selbst ermächtigen, Polizisten und sogar Rettungssanitäter oder Feuerwehrleute anzugreifen.

Tut mir leid, aber solches Verhalten verstehe ich als „neben der Kappe“, dafür gibt es keine vernünftigen Begründungen. Und was die Totalopposition gegen „den Staat“ betrifft, dazu habe ich schon ausführlich Klartext geschrieben, siehe Blog-Beitrag „Machtpolitik“ vom 11.02.2022, Fußnote „Der Staat an sich“.

Iran, Afghanistan, Pakistan… besonders in diesen Ländern unterdrücken Machthaber und ihre Gehilfen die Frauen, angeblich im Namen der Religion, angeblich im Namen religiöser Prinzipien. Dabei folgen diese Islamisten nicht dem Beispiel des Propheten (mehr dazu siehe >Höheres), sie verwechseln Männerherrschaft mit Gottes Willen. Religion wird zum Machtinstrument, der Iran zeigt es deutlich. Wie alle autoritären Machthaber machen sie ausländische Mächte für die Proteste verantwortlich und kriminalisieren die Kritik an ihrem Regime. Dabei mischen ihre Trolls im Internet mit und verbreiten Diffamierungen und Fake News gegen ihre Kritiker, auch wenn sie ins Ausland geflohen sind.

Was können Beiträge wie dieser hier, oder beispielsweise demonstrative Auftritte prominenter Frauen, die sich Haar abschneiden, bewirken? Direkte Wirkungen auf das Regime haben sie nicht, aber sie halten das Thema bei uns in der öffentlichen Diskussion und stärken moralisch die Protestierenden im Iran. —

Nachtrag am 22.10.2022 Die zentrale Frage ist doch: In was für einer Welt wollen wir leben? Wollen wir in dieser Welt, in der real 8 Milliarden Menschen leben (und überleben wollen), immer weiter mit Urgroßvaters Rezepten aus der Steinzeit wirtschaften und ständig gegeneinander um Nahrung, Gebiete, Besitz kämpfen, immer mal wieder auf gut klingende Parolen hereinfallen und Führern blind hinterherlaufen, an Waffen und Gewalt als geeignete Mittel der Durchsetzung glauben, uns egoistisch gegen andere Menschen abschotten, und uns in die Tasche lügen, dass das eben nicht anders ginge? Wollen wir weiter die Verlogenheit mittragen, die behauptet, dass wir in Europa christliche Werte vertreten, dass wir die Menschenrechte ganz hoch achten, dass wir für den Frieden in der Welt eintreten, dass wir Vorreiter von Klima- und Umweltschutz sind?

Wir leben in einem Land, das mit Waffenexporten Geld verdient, das seinen Plastikmüll zum großen Teil in andere Lander transportiert, das … ach, Ihr wisst schon, wieviel Mist vor und hinter den Kulissen läuft. Ihr wisst auch, wieviel über die Regierung gemeckert wird. Die Regierung kann aber nicht besser sein als die, die sie wählen. Wenn z.B. die gegenwärtige Bundesregierung mehr Moral in die Außenpolitik und in die Energiepolitik zu bringen versucht, hat sie automatisch mit starkem Gegenwind zu rechnen — nein, nicht so sehr aus der Bevölkerung, sondern mehr von den Lobbyisten der Wirtschaft und diversen anderen Verbänden, die weiter wie bisher auf Teufel-komm-raus Geld verdienen oder einfach nur störrisch ihre Pfründe verteidigen wollen.

Ich persönlich halte manchmal den Dauer-Meckerern entgegen: Mit den Politikern in Verantwortung möchte ich derzeit nicht tauschen. Die haben kein leichtes Leben, die müssen ständig von irgendwoher Kritik einstecken, in diesen Zeiten auch die Drohungen von diversen Knallköpfen. Dabei kritisiere ich auch Vieles, versuche aber, sachlich zu bleiben und meine Meinung mit Sachargumenten zu begründen.

In was für einer Welt wollen wir denn leben? Wo Einer dem Anderen an die Gurgel geht, wenn ihm dessen Meinung nicht passt? Wo Einer der Anderen Gewalt antut und sie erniedrigt, um vermeintlich seine Männlichkeit zu beweisen? Kann man auf so ein Verhalten stolz sein? Für wie blöde halten uns manche Dummschwätzer? Entweder habe ich Verstand und respektiere die Mitmenschen gleich welchen Geschlechts, gleich welcher Herkunft und gleich welcher Hautfarbe als prinzipiell gleichberechtigt, oder ich habe kein Recht, mich selbst auf verfassungsmäßige Rechte zu berufen oder von Menschenrechten zu faseln.

Und was da gerade im Iran vor sich geht, zeigt: Man kann mit Gewalt die Menschen eine Zeitlang knechten und unterdrücken, aber man kann sie nicht auf Dauer für blöde verkaufen.

Übrigens: Letzteres sage ich auch im Hinblick auf die populistischen Rechtaußen, die in manchen Ländern an die Macht gelangen, nachdem sie den Leuten fremdenfeindliche Parolen und falsche Träume verkauft – oder sich an die Macht geputscht haben.

W. R.

Des Menschen Kampf gegen die Natur – und sich selbst

MIT dem Beitrag „Grundsätzlich“ vom 16./17.08.2022 wäre im Grunde alles Wichtige gesagt — oder davon abzuleiten, denn ich gehe davon aus, dass BesucherInnen dieser Website und dieses Blogs die Bereitschaft mitbringen, selbst zu denken. Also muss ich ihnen nicht jede Schlussfolgerung bis ins Kleinste vorkauen bzw. vordenken.

Nachdem also das Allerwichtigste zum weiteren Vorgehen geklärt ist, kann ich ruhig noch einmal ins Detail gehen und mich einem Unterthema widmen, das sowohl unser Verhältnis zur Natur und Umwelt betrifft als auch unser Selbstbild als Gattung Homo Sapiens.

Der Homo Sapiens der Gegenwart glaubt es meist nicht, doch unterscheidet er sich biologisch nicht nennenswert von den Menschen, die vor 50tausend, ja vor 100tausend Jahren auf diesem Planeten herumliefen. Fakt ist: „Der Mensch“ ändert sich nicht dadurch, dass er in Sneakers läuft, ein Mobiltelefon benutzt oder Fischstäbchen und Fast Food verzehrt. Der Mensch glaubt, sich durch „Zivilisation“ immer weiter von der Natur zu entfernen, bleibt in Wahrheit aber selbst immer Teil der Natur.

Beweis: die Corona-Pandemie. Woher kam dieses Virus, das Covid 19 genannt wurde? Die wahrscheinlichste Annahme ist, dass es irgendwo, vermutlich auf einem Tiermarkt in China, vom Tier auf den Menschen übersprang. Von dort breitete es sich aus, weil Menschen nicht auf dieses Virus vorbereitet waren und daher keine Antikörper zur Abwehr besaßen.

Wenn Leute glauben wollen, Corona gäbe es gar nicht — geschenkt! Es gibt jede Menge anderer Viren, Bakterien, und sonstiger natürlicher Wesen, die uns krank machen können. Gegen manche haben wir Mittel gefunden oder entwickelt, die dagegen wirken und heilen. Andere setzen uns weiter zu, wenn wir das Pech haben, uns so eine Krankheit einzufangen. Will sagen: Der Natur entkommen wir nicht, weil wir selbst auch Natur sind und natürlich funktionieren wie andere Tiere auch.

Wer sich sträubt, Menschen in einem Atemzug mit Tieren zu nennen, ist noch befangen in der hochmütigen Vorstellung, dass der Mensch „Krone der Schöpfung“ sei und daher eher Gottes Ebenbild denn ein Verwandter der Tiere. Diese Einbildung mag religiös geprägt sein, widerspricht aber längst anerkannten wissenschaftlichen Feststellungen.

Der Mensch ist — allen biblischen Behauptungen zum Trotz — ein Säugetier, das erst entstand, als andere Tierarten schon hunderte von Millionen Jahren existierten. Der biblische Schöpfungsbericht schnurrt die Entstehung unseres Planeten und die Evolution des Lebens zu sieben Tagen zusammen. Das ist vom Zeitbegriff her natürlich symbolisch gemeint. Wer hätte denn zur Zeit, als diese biblische Erzählung entstand, eine Vorstellung von den wahren Zeiträumen haben können? Einen realistisch geschilderten Schöpfungsvorgang hätte doch niemand verstanden.

Ich will hier kein Seminar über die Historie biblischer Texte und die Mentalitäts- und Philosophiegeschichte der europäischen Zivilisation eröffnen. Behalten wir aber im Blick, wie abgehoben und unrealistisch wir Menschen uns oft sehen, von der Natur getrennt, in einer eigenen, höheren Sphäre. Unsinn! Nicht nur Krankheiten holen uns auf den Boden der Tatsachen zurück. Auch wenn wir menschliches Verhalten studieren, sehen wir jede Menge Parallelen zum Verhalten von Säugetieren, insbesondere von nahen Artverwandten, die wir Menschenaffen nennen.

Eine Folge dieser abgehobenen Denkweise, die in der Bibel in dem missverständlichen Satz „Macht Euch die Erde untertan“ gipfelt, sehen wir im Umgang der Menschen mit „der Natur“ (= der uns fremd gegenüberstehenden Welt). Menschen wüten geradezu gegen „die Natur“, holzen Wald in Quadratkilometern ab, fischen Meere leer, vermüllen die Ozeane, jagen Tiere bis zur Ausrottung, scheren sich einen Dreck um die zunehmende Verschmutzung des Planeten mit Abgasen, Plastik, nächtlicher Beleuchtung, Atommüll…

Daran ändert sich auch nichts, solange es als clever gilt, sich auf Kosten der Umwelt und wehrloser Menschen zu bereichern. Wenn globale Geldgier vor nichts halt macht und nur die Macht des Geldes respektiert wird, geht die Menschheit ihrem Untergang entgegen. Das ist ganz klar. Ebenso klar: Wenn die Warnungen vor der drohenden Klimakatastrophe zuwenig ernst genommen werden, kann die Menschheit langfristig nicht überleben.

I HR braucht nicht erst nach Brasilien zu schauen, wo ein Präsident namens Jair Bolsonaro den Krieg gegen die Natur für Ausbeutung und Mammon auf die Spitze treibt. Schaut Euch mal in Eurer Nähe um. Da wird es manch Einem und Einer ungemütlich: Viele Mitmenschen haben kein Problem damit, ihre Umgebung zu vermüllen. Sie haben kein Problem damit, die Verantwortung von sich zu schieben und darauf zu warten, dass „irgendwer“, der dafür zuständig sein muss, ihnen ihren Müll von der Liegewiese räumt — damit sie sich da wieder niederlassen und erneut ihren Müll hinterlassen können.

Irre: Das nennen sie dann FREIHEIT und glauben, das habe mit Verantwortung rein gar nichts zu tun. Das ist aber keine Freiheit, sondern Rücksichtslosigkeit auf Kosten Anderer und auf Kosten der Lebewesen, die außer uns Menschen auch in unserer Umwelt existieren. Welche Lebewesen (gemeint sind damit auch Pflanzen) freuen sich denn über Plastikmüll, Zigarettenkippen, Kronkorken, Glasscherben, etc. ? Das sind Fragen, die die Verantwortungsscheuen gar nicht an sich heranlassen. Denn es geht allein um die eigene Bequemlichkeit.

Ich wette, dass viele RaucherInnen gar nicht wissen, was für Schadstoffbomben ihre Kippen sind, die sie unter sich fallen lassen. Und manche kümmert selbst das nicht. Sehe ich das zu negativ? Nee, dafür habe ich schon zuviel menschliches Verhalten (und Fehlverhalten) gesehen. Muss das so sein?

Als wir Kinder waren und mit den Eltern auch mal raus „in die Natur“ wanderten und dort unser mitgebrachtes Essen verzehrten, ließen wir da zum Schluss alles liegen? Nein. Unsere Mutter leitete uns an: Was sich natürlich zersetzt, z.B. Obstschalen, das verschwand in einer Grube, die wir dafür buddelten. Und die nicht verrottbaren Abfälle kamen in eine Tüte, die wir mitnahmen, um sie in den nächsten Abfalleimer oder zu Hause in den Mülleimer zu entsorgen.

Wer jetzt hämisch meint, das sei so ein Öko-Gutmenschen-Gehabe, der nehme zur Kenntnis: Unsere Mutter war einfach nur sehr naturverbunden, sie mochte intakte Natur und wollte den Tieren und Pflanzen nicht schaden. Außerdem wollte sie die Landschaft genießen und sie nicht von Müll verunstaltet sehen. Das war kein „Gehabe“, das war ihr ein Bedürfnis, daher nur logisch und vernünftig. Und daher hatten wir Kinder auch kein Problem damit, diese Haltung unserer Mutter zu übernehmen — und als Erwachsene beizubehalten.

Wenn sich viele Leute anders verhalten und Krieg gegen die Natur immer noch angesagt finden (und sei es auch nur aus Bequemlichkeit), dann muss ich dafür kein Verständnis haben — oder? Schließlich schaden sich diese Rücksichtslosen auch selbst. Jedoch: Mancher denkfaule Plattkopf braucht Nachhilfe, um das zu erkennen. Solche Menschen brauchen Verbote und Kontrollen, die Verstöße ahnden und „Denkzettel“ verteilen. Anders lernen Manche es nie.

Manche leiden auch an einer gelernten Anspruchshaltung: Sie selbst dürfen alles, unverschämt sind immer nur die Anderen. Das sind Leute, die für Umweltschutz sind, aber sich selbst nicht einbeziehen — schon gar nicht, wenn es um eigene Bequemlichkeit geht. Und im Zweifel regen sie sich sogar über freilebende Tiere auf, die in den Parks und Grünanlagen natürliche Ausscheidungen hinterlassen. Ist das schlimmer als die Plastikverpackung, die das Kind fallen lässt, während Mutter oder Vater bewusst weg- und lieber zu den Gänsen schauen, die angeblich den Park verdrecken?*

Ja, da kommt bei Manchen hinzu, dass Erziehung der eigenen Kinder (und Vorbild sein) ihnen zuviel Mühe macht. Lieber zeigt man auf Andere…

W. R.

* Fakt ist: Im Gegensatz etwa zu Zigarettenkippen enthält Gänsekot keine Schadstoffe, und er baut sich zudem bald ab und düngt den Boden. — Zum Thema „Plastik in unserem Alltag“ lesen Sie mehr hier: (1) Plastikmüll: Verraten und verpackt – Meinung – Tagesspiegel

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