Gottes Wille?

WENN Frauen zu Nutztieren herabgestuft und fast schon in Käfigen gehalten werden, dann werden die Fantasien der Taliban in Afghanistan Wirklichkeit. Und wir fragen uns: Sind das Verrückte, die da an die Macht gekommen sind und lebensfeindliche Wahnvorstellungen in die Tat umsetzen wollen?
Aber ähnlich Verrückte mit extrem frauenfeindlichen Vorstellungen finden wir auch anderswo. Im Iran will das Regime Frauen ähnlich unterdrücken und außerdem jeglichen Widerspruch mit allen Mitteln abwürgen.
Sind Frauen in deren Augen überhaupt Menschen? Der Mann als selbsternannter Herrenmensch steht über ihnen — aber nicht aufgrund irgendwelcher Verdienste oder Menschenfreundlichkeit, sondern allein aus der Einbildung des Machos heraus.
Neiiin, das ist Gotteslästerung! empören sich nun die Machos mit Islamisten-Gesinnung. Der Mann ist nach Gottes Willen über die Frau gesetzt! Jou, mach mal halblang, Junge, das behaupteten die alten weißen Männer der christlichen Kirchen schon sehr lange. Und trotzdem (Manche würden sagen: gerade deshalb) sind da Fragezeichen zu setzen.
Bei Euch, im vorderasiatischen Raum, gab es Machismo schon lange vor der Entstehung des Islam; Mohammed hat sogar die härtesten Auswüchse abgeschwächt. Wer sich also als frauenhassender Moslem auf Mohammed berufen will, der sollte sich vorsehen und sich erst einmal richtig informieren, statt nur auf Hassprediger zu hören. Denn extreme Unterdrückung der Frauen ist eher ein Kennzeichen der Dschahiliya, der „Zeit der Unwissenheit“ vor dem Auftreten des Propheten.
Mir scheint also, dass die Männer des iranischen Gottesstaates und die Taliban in Afghanistan Beispiele dafür sind, wie eine Religion einseitig ausgelegt wird, um sie als Machtmittel zu benutzen und die Menschen gefügig zu machen.
Wenn Einer daherkommt und sagt: Ich kenne Gottes Willen, er will die Unterjochung der Frauen und die Vernichtung aller Menschen, die meiner Ideologie nicht zustimmen — dann muss man hellhörig werden und auf kritische Distanz gehen. Wenn er darüber hinaus den Menschen alle Lebensfreude vermiesen will und Musik und Tanz untersagt, dann fragt sich doch jeder Mensch bei Verstand, welcher Dämon diesen Prediger reitet, der behauptet, Gottes Willen zu kennen.
Wir haben in der Geschichte immer mal wieder solche Figuren gesehen, die menschenfeindlichen Unfug predigten und kraft einer gewissen Ausstrahlung Anhänger um sich scharen konnten. Aber die meisten von ihnen sind (gottlob) auch wieder von der Bildfläche verschwunden, ohne größeren Schaden anzurichten.

Leute, lasst Euch nicht Euren Verstand abschwatzen, haltet Distanz zu Fanatikern, entzieht Euch jeder Gehirnwäsche! Wozu hat Euch Euer Schöpfer denn Hirn gegeben? Dank der Gnade Gottes dürft Ihr dieses auch benutzen. Also blamiert Euch nicht, indem Ihr ohne Nachdenken irgendwelchen Führern hinterherlauft, die Euch vom Denken abhalten wollen und bedingungslosen Glauben fordern. Das gilt in religiösen Fragen genauso wie in politischen.

Wer Euch zum Hass aufputschen will, den findet verdächtig und fragt Euch, was er wirklich im Schilde führt! Denn Hass macht blind und trübt den Verstand. Gott will aber, dass Ihr seine Gabe nutzt, also schärft Euren Verstand, und seid neugierig auf die Welt und auf mehr Wissen. Soviel kann man auf jeden Fall über Gottes Willen sagen.

Noch ein Hinweis für Fortgeschrittene: Wer sich viel im Internet umschaut und besonders viel in den social media herumsurft und -wischt, der sei auf der Hut vor unbemerkter Manipulation. Wir sollten es nicht nur wissen, wir sollten es auch im Hinterkopf präsent haben, während wir da unterwegs sind: Was uns präsentiert wird, bestimmt ein ausgefeilter Algorithmus, und der kennt unsere Vorlieben und auch unsere Sensationslust genau… Wir glauben, wir bestimmten selbst die Auswahl der gezeigten Inhalte und Seiten, aber das ist ein Glaube ohne reale Grundlage. Die meisten von uns sind sowieso viel zu schnell beim Klicken und Wischen, um auch mal kritisch innezuhalten und zu überlegen, was da abgeht, und was sie da eigentlich tun (und wieviel Zeit das kostet). Nein, keine Zeit zum Überlegen, da warten schon die nächsten Sensationen und witzigen Tiervideos, die der Algorithmus geschickt anbietet.

Wer nicht daran gewöhnt ist, Dinge oder Vorgänge auch mal kritisch zu hinterfragen und zu prüfen, der hat es schwer, Manipulation überhaupt zu bemerken. Also bitte, seid vorsichtig und schaltet Euer Hirn nicht auf doof, wenn Ihr im Internet unterwegs seid! *

S. R.

Hier noch eine Klarstellung zum Thema „Islamismus“ in Deutschland: Mordanschlag in Solingen: Diesmal könnte sich tatsächlich etwas ändern – Kolumne – DER SPIEGEL

* Dazu ein aktuelles Beispiel >»Doppelgänger«: Prorussische Propagandakampagne verlinkt auf gefälschte Nachrichtenseiten – DER SPIEGEL Putins Leute schrecken vor keiner Fälschung zurück, und der Superreiche Elon Musk nimmt sich ebenso das Recht heraus, seine Macht zu missbrauchen — nach dem Motto: Ich kann es, also mache ich’s. Moralische Bedenken? Fehlanzeige.

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Ist Armut strafbar?

KINDERGRUNDSICHERUNG sollte von der Ampel-Regierung eigentlich beschlossen werden, wird aber von Seiten der FDP torpediert. Was haben die FDP-Leute und andere gegen Kinder?
Diese Frage zu stellen, ist kein populistischer Angriff im tagespolitischen Gezänk, wie Manche jetzt spontan denken mögen. Denn Kinderarmut ist in Deutschland schon seit vielen Jahren ein Thema, allerdings eines, das in den höheren Etagen der Politik eher vernachlässigt wurde. Jedes siebte Kind in Deutschland von Armut bedroht | tagesschau.de
Das Problem dabei scheint mir der grundsätzliche Blick auf Armut und Reichtum zu sein. Reiche und Wohlhabende sehen ihre Knete nicht nur als wohlverdient an, sondern auch als Ergebnis vermehrter Anstrengung und Leistung. Daraus folgt im Umkehrschluss: Wer nicht wohlhabend oder gar arm ist, der hat sich nicht genug angestrengt, der ist womöglich zu faul, um auf einen grünen Zweig zu kommen. Oder er ist zu blöd oder nicht clever genug, um die Chancen zu nutzen, die (theoretisch) jeder hat.
Dagegen erarbeiten sich Andere bescheidenen oder größeren Wohlstand, sind clever genug, Steuervorteile und -schlupflöcher zu nutzen und ihre Steuerlast zu minimieren (mit Hilfe gut bezahlter Fachleute). Wer (wie Fettaugen auf der Suppe) obenauf schwimmt, neigt leicht dazu, das nicht nur als Lohn für eigene Leistung zu verstehen, sondern mehr noch, sich als etwas Besseres zu fühlen, als die Creme der Gesellschaft. So schleicht sich in die Wertschätzung der eigenen, gehobenen Stellung leicht eine Geringschätzung derer ein, die nicht zur Creme zählen, die es schwerer haben, die auf keinen grünen Zweig kommen, oder gar arm sind.
In Deutschland zahlst du im Grunde (im Verhältnis) weniger Steuern, wenn du sehr viel Knete hast und die sowohl clever investierst als auch irgendwo auf der Welt in Steueroasen parkst. Die meisten Steuern zahlen aber die hart arbeitenden „Kleinen Leute“ und Mittelständler.
Neben Kinderarmut haben wir auch noch Altersarmut, die häufiger Frauen als Männer betrifft. Doch eine Ursache, das Ehegattensplitting, wollen interessierte Männer nicht abschaffen. Dabei ist diese Steuer-Regelung längst aus der Zeit gefallen. Aber die Verteidiger dieser Regelung führen trotzdem bei anderen Themen gern das Wort „Fortschritt“ im Mund.
Ein Land wie Deutschland, das in der Welt als reich gilt, leistet sich trotzdem einen hohen Anteil an Kinderarmut, dazu eine krasse Bildungsmisere mit geringer Chancengleichheit (wie PISA-Studien belegen), und immer noch steigende Mieten sowie steigende Zahlen an Obdachlosen.
Wie kann es sein, dass ein großer Teil der Bevölkerung das hinnimmt und dennoch Parteien wählt, die sozialer Not im Lande relativ gleichgültig gegenüberstehen?
Wie, frage ich mich, ist diese verbreitete Gleichgültigkeit zu erklären? Ich fühle mich erinnert an Zustände im Mittelalter, als Armut nicht nur als Schande galt, sondern auch bestraft wurde: Konnte jemand seine Schulden nicht bezahlen, landete er im Schuldturm, bis er ausgelöst wurde. Wir Deutschen im 21. Jahrhundert haben uns scheinbar daran gewöhnt, Armut als eher selbstverschuldet oder gar gottgegeben zu betrachten. Hauptsache, wir Bessergestellten können noch konsumieren und uns mit teurem Smartphone und fettem SUV von der „Masse“ absetzen. Wenn nicht, verstecken wir die „Schande“, dass wir uns sowas nicht leisten können. Im Zweifel schleichen wir zur Tafel, weil uns die Ernährung teils schon zu teuer geworden ist.

Empörend finde ich populistischen Dummschwätz beim Thema Bürgergeld: Einige Politiker wollen uns weismachen, dass ein paar Bürgergeld-Empfänger, die angebotene Jobs nicht annehmen, ein Riesenproblem seien. Fragt man nach den realen Zahlen, dann sind das bei 1,7 Millionen Empfängern nur 16 Tausend, also eigentlich nur ein Häuflein Leute. Daneben hören wir, dass weit mehr Menschen gern arbeiten würden, aber von bürokratischen Barrieren ausgebremst werden. Und überhaupt, hat es sich doch längst herumgesprochen, dass niemand wirklich in Arbeitslosigkeit glücklich ist, denn grundsätzlich hebt es das Selbstwertgefühl, wenn man nicht von Unterstützung abhängig ist, sondern seinen Lebensunterhalt selbst bestreitet. Und der Kontakt zu ArbeitskollegInnen und anderen Menschen im Berufsleben gibt ein Gefühl von Teilhabe an der Gesellschaft, man fühlt sich wahrgenommen… erst recht dann, wenn man noch ein paar Kröten übrig hat, um nach Feierabend mit Anderen ein Bier zu trinken.

Ist Deutschland so sozial, wie es Viele sehen oder behaupten?

Ich glaube eher, dass man in Deutschland leicht ins Elend rutschen kann, sobald man auf Hilfe angewiesen ist. Zumindest wird man dann schief angesehen: Du liegst dem Staat auf der Tasche, die anständig Arbeitenden finanzieren Dich mit ihren Steuern. Dagegen wird nicht schief angesehen, wer nahezu gar keine Steuern zahlt und eine 40m lange Jacht in Marbella liegen hat. Da heißt es nur: Respekt, der hat es geschafft! Kaum jemand fragt, ob oder wieweit dieser Reichtum rechtmäßig erwirtschaftet wurde.

Der Staat lässt sich dabei einen Batzen Steuereinnahmen entgehen, indem er seine Behörden, insbesondere Steuerfahnder, sehr knapp ausstattet, ja sogar manchmal erfolgreiche Steuerfahnder bremst, die den großen Steuersündern zu dicht auf den Fersen sind.

Ich lasse mir nicht einreden, dass reiche Menschen moralisch bessere sein sollen als arme. Ich sehe systemische Gründe, die manchen Menschen das Leben schwerer machen als anderen. Und Korrekturen im System sind der Knackpunkt, da kann der Sozialstaat noch besser werden. Da sollte nachgesteuert werden, statt die Leute dumm zu schwätzen und die Schieflage noch zu verstärken. —

Nein, kommt mir jetzt nicht mit dem Vorwurf „Neiddebatte“! Das liegt mir fern. Ich beurteile Menschen nicht nach dem, was sie besitzen oder nicht besitzen, und sehe reich begüterte Menschen weder als per se bessere noch schlechtere an. Man muss schon differenzierter hinsehen. Und ja, es gibt reiche Menschen, die ein Gefühl für soziale Schieflagen haben und einen Teil ihres Vermögens für soziale Zwecke einsetzen, z.B. in Form von Spenden oder Stiftungen — und einige fordern darüber hinaus, dass große Vermögen angemessener besteuert werden. Superreiche: Mehr als 100 Millionäre sprechen sich für Vermögenssteuer aus | ZEIT ONLINE

W. R.

P.S.: Lasst Euch nicht irreführen und ablenken: Seit Jahrzehnten versuchen Leute aus AfD-Kreisen und einige Andere, von Putins Trolls unterstützt, im Lande Stimmung gegen Migranten und Geflüchtete zu machen und unsere Gesellschaft zu spalten. Schon vor mehr als 20 Jahren, als es nur wenige Geflüchtete und Asylsuchende hier gab, hörte ich ein Gerede in der Art: „Die kommen hierher und kriegen alles vom Staat bewilligt, während wir Deutschen in die Röhre gucken.“ Mir war schon damals klar, dass es da gar nicht um Fakten, sondern um Gemaule und Stimmungsmache ging. Dahinter steckt, wie wir längst wissen, eine gezielte politische Kampagne, um Teile der Bevölkerung gegen andere aufzuwiegeln und Unruhe zu provozieren.

Darum: Lasst Euch nicht an der Nase herumführen und von den echten Problemen auf Scheindebatten ablenken. Nicht Armut ist eine Schande, sondern der Dummschwätz, der von den Ursachen ablenken will. Zu wenige Chancen für Benachteiligte, zu viele Arme in einem reichen Land, das ist die wahre Schande im Staate D.

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Putin verstehen

ES gibt eine neue Herausforderung für Putin-Versteher und Friedens-Idealisten: Putin lässt einen Tag vor einem Nato-Gipfeltreffen mitten in Kiew das größte Kinder-Krankenhaus der Ukraine aus der Luft angreifen und z.T. zerstören. Jetzt, bitte, erklärt mal, warum Ihr für Putin seid und gegen Waffen- (und Luftabwehr-) Lieferungen an die Ukraine. Wo ist Eure moralische Basis, wo Euer Verstand angesichts dieser Fratze des russischen Regimes?
Und kommt mir bloß nicht mit irgendwelchen Ausflüchten, die der Nato oder sonstwem die Schuld an dieser bestialischen Kriegführung zuschieben wollen. Putin hat schon in Syrien vor vielen Jahren gezielt Kankenhäuser, Schulen etc. in „Rebellengebieten“ bombardieren lassen. Das hatte nichts mit Verteidigung irgendwelcher Interessen an Russlands Grenzen zu tun, wie ein Blick auf die Landkarte zeigt. Putin ging es nur darum, den blutigen Diktator Assad in Syrien an der Macht zu halten — um russischen Einfluss auf die Region nicht zu verlieren. Moral spielte auch da absolut keine Rolle. Zum Machterhalt ist eben alles erlaubt, wirklich alles, so glauben diese Diktatoren.
Bei Putin braucht es keine Enthüllungen von Verfehlungen oder Kriegsverbrechen durch Wikileaks oder andere, denn er legt selbst Wert darauf, dass man seine brutale Fratze sieht und ihm alles zutraut. So will er unter seinen Kritikern, Gegnern und Feinden maximalen Schrecken verbreiten. Deswegen treibt er auch seine Soldaten in der Ukraine zu brutaler Behandlung von Gefangenen wie Zivilbevölkerung an. Das Entsetzen soll als zusätzliche Waffe wirken. Niemand soll hoffen. dass moralische Fragen bei Putin eine Rolle spielten.

Also, Ihr seht: Ich bin ein wahrer Putin-Versteher.

W. R.

Übrigens: Auch ein paar andere Regime haben hässliche Fratzen zu bieten. Welche? Schaut mal, wer in den Nachrichten bei persönlichen Treffen Putin besonders freundschaftlich die Hand drückt… (und ihm dann Waffen und Munition liefert).

Nachtrag am 10.08.2024: Angesichts der derzeitigen Weltlage (und damit meine ich wirklich die globalen politischen, wirtschaftlichen und Klimaverhältnisse) find ich es unverantwortlich, wenn hierzulande PolitikerInnen und Andere öffentlich fordern, die Hilfe für die Ukraine zu kürzen oder ganz einzustellen. Das und auch die prinzipiell russlandfreundliche Haltung Vieler sehe ich äußerst kritisch, um nicht zu sagen: Diese Einstellung grenzt schon an Landesverrat — angesichts der Weltlage, wohlgemerkt. Landesverrat heißt: sich gegen die Interessen des eigenen Landes stellen und bewusst dem eigenen Land Schaden zufügen, indem man mit einer fremden Macht gegen das eigene Land paktiert.

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Nachtrag am 14.09.2024: Russische Staatsmedien diskutieren derzeit herauf und herunter größenwahnsinnige Weltreichsfantasien, z.B. unter dem Motto: „Unsere Grenze sollte der Atlantik sein.“ Tja, wenn AfD und BSW kräftig mithelfen, kann das vielleicht was geben…: Deutschland als Vasall Russlands. Aus der Hölle lässt Josef Dschugaschwili, genannt Stalin grüßen und klatscht sich vor lauter Freude auf die Schenkel.

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Ergänzung am 19.09.2024: Putin verstehen, das heißt ganz naheliegend auch: Dieser Mann kam durch den Geheimdienst nach oben. Das bedeutet, dass er weiterhin wie ein Geheimdienstmann denkt, dass er bevorzugt die ihm lange bekannten Mittel einsetzt, und die ihm lange bekannten Männer, nämlich Ex-Kollegen. Das bedeutet ferner: Putin hat keinerlei Bedenken, unsere Politik über die social media zu beeinflussen und im Sinne des Vorgehens gegen den geringsten Widerstand die in Deutschland verbreitete, altgewohnte Sympathie für Russland auszunutzen. Er möchte uns weismachen, dass wir nicht trennen sollten zwischen Sympathie mit den russischen Menschen und Sympathie für den Paten und Kriegsverbrecher Putin. Und wer macht da kräftig mit? AfD und BSW. Mehr zu Putins verdeckter Manipulation > Russlands hybride Kriegsführung: »Der Kreml stuft Deutschland als leichte Beute ein« – DER SPIEGEL

Offen rassistisch

NUN ist wissenschaftlich festgestellt: Rechtspopulisten reden die Welt schlecht, insbesondere die Lage im eigenen Land, und verbreiten miese Stimmung — mit der Folge, dass ihre WählerInnen die Lage düsterer beurteilen, als sie objektiv ist, und auch ihre persönliche Situation negativer sehen, als es vernünftig zu begründen wäre.
Das kann man gut bei den Trump-WählerInnen beobachten, aber auch bei denen der AfD. Missmutig blicken sie in die Welt und lassen sich mental herunterziehen. Da geht es gar nicht mehr um sachliche Kritik, da wird in Bausch und Bogen alles schlecht geredet und abgelehnt. Da wird alles verteufelt, was von der Regierung kommt, von „denen da oben“, die vom Volk gewählt wurden, aber angeblich alle nur an sich denken.
Das kann man weiter fortsetzen, aber es zeigt schon: Die Populisten fördern eine kindliche Naivität, die glaubt, man könne eine schöngeredete Vergangenheit wieder herstellen; die glaubt, ein autoritärer Übervater würde einem die Sorgen abnehmen und alles in (strenge) Ordnung bringen, und dann wäre alles gut.

Zur strengen Ordnungsvorstellung gehört auch, Menschen zu sortieren — nach Hautfarbe, nach „der gehört zu uns“ und „der nicht“. Da soll eine lebendige Lebenswirklichkeit zerstört werden, indem man grob sortiert wie die Bauklötzchen in einem Holzkasten.

Und während die Fußball-Europameisterschaft der Männer im eigenen Land stattfindet und viele Menschen bewegt, kommen ein paar AfD-Köpfe daher, machen uns die eigene Nationalmannschaft mies und fordern de facto zu einem Boykott der „Regenbogenmannschaft“ auf!

Braucht es einen deutlicheren Beweis dafür, dass Rechtspopulisten, wie oben gesagt, miese Stimmung verbreiten, und dass sie sogar offen rassistisch gegen angeblich nicht zu Deutschland gehörende Menschen hetzen?

W. R.

P.S. Wer meint, Pessimismus sei die einzig angesagte Stimmungslage für die Zukunft, der halte einmal inne und denke an positive Fortschritte, an Menschlichkeit und soziale Taten, die sich auch auf dem Konto des Homo Sapiens finden lassen. Es ist nicht alles mies und schlecht und hoffnungslos, sondern… Dazu gibt es nachdenkliche Beiträge wie diesen: >Pessimismus: Warum wir trotzdem an das Gute glauben sollten – Kolumne – DER SPIEGEL

P.P.S., 01.07.2024 Sieht so aus, als könnte Trump noch einmal zum US-Präsidenten gewählt werden. Wenn Trump die Galeonsfigur der „white supremacy“ sein sollte, dann kann man nur feststellen: Die Wahl eines inkompetenten und zugleich großmäuligen Dödels blamiert die selbsternannte „Herrenrasse“ und offenbart einmal mehr den Schwachsinn aller rassistischen Vorstellungen. Aber da es vielen Menschen offenbar gefällt, sich grundlos für etwas Besseres zu halten, ist Rassismus immer noch verbreitet.

Mehr als nur ein bisschen Frieden

Viele Menschen bewegt die Frage: Was ist in der Welt los, wenn gewaltaffine Machthaber zunehmend die Weltpolitik beeinflussen, wenn ihre Kritiker und Gegner gefangen gehalten, gefoltert, umgebracht werden, wenn Machthaber in Wahnvorstellungen von einer Großmachtstellung oder Weltherrschaft Kriege anzetteln und Nachbarländer überfallen… ?
Seht Euch das Gebaren dieser Machtpolitiker an: Vor Kameras spielen sie den „Starken Mann“, der alles (und noch mehr) im Griff hat und jeden Widerstand platt macht. Diese autoritären Herrscher und Diktatoren haben sich mit Hilfe des Militärs an die Macht geputscht oder nach einer Karriere im Geheimdienst mit allen dort erlernten Mitteln und Tricks sowie Seilschaften alter Kollegen an die Macht gedrängt.
Damit ist nicht hinreichend erklärt, warum es viele solcher Typen gibt und warum Viele ihnen nacheifern und Macht über Menschlichkeit stellen, ja sogar letztere ganz aus den Augen verlieren. Diese Typen glauben, es sei gerade die Rücksichtslosigkeit, die sie nach oben bringe. Und sie bilden sich ein, dafür besondere Bewunderung zu verdienen, weil sie auf ihre speichelleckende Entourage hören. Es wäre besser für unsere Gesellschaft und für die Welt überhaupt, wenn sich viel mehr Leute einig wären, solches Verhalten zu ächten und nicht nur moralisch fragwürdig zu finden.

Wer, um seine Macht zu vergrößern, keine Skrupel kennt und auch nicht danach fragt, was es den betroffenen Menschen bringen soll, an einer Front verheizt zu werden in einem Krieg, der den meisten Menschen im Land der Angreifer rein gar keinen Vorteil bringt, der gehört geächtet und vor ein Gericht gestellt. Und das Land der Angegriffenen sollte jede Unterstützung bekommen, den Angreifer zurückzuschlagen, um den Schaden zu begrenzen und weitere Schäden zu verhindern.

Was bringt es denn dem einzelnen Staatsbürger, sich für aggressive Politik einspannen zu lassen? In Deutschland gibt es wahrlich genug historische Beispiele vom Dreißigjährigen Krieg bis zum Zweiten Weltkrieg, die uns klar machen: Krieg ist Mist. Und in der Regel brechen Kriege nicht aus, sondern werden mit Absicht riskiert oder sogar angezettelt. Manchmal aus männlicher Ehrenpusselei, mal als Ausflucht vor Kritik im Inneren, mal aus plattem Kalkül der Machtgier und der Aussicht auf reiche Beute, etc.

Krieg ist aber auch für die Mächtigen riskant, die sich daraus Vorteile versprechen. Wie die Geschichte zeigt, werden selten die Vorstellungen erfüllt, die sich Angreifer ausgerechnet oder erhofft haben. Schon Herodot, der erste Historiker der Griechen, berichtet von einem König, der ein Nachbarland angreifen wollte und vorher ein Orakel über seine Erfolgsaussichten befragte. Die Antwort: „Wenn du diesen Krieg beginnst, wirst du ein großes Reich zerstören.“ Das nahm er erfreut als Verheißung auf und griff an. Doch das Resultat war: Er wurde geschlagen, das Reich, das er zerstörte, war sein eigenes.

Denken Sie selbst an Beispiele, Sie finden sicher welche von Kriegen, die für die Angreifer im Desaster endeten. Historische Studien haben festgestellt: Krieg verläuft nie nach Plan.

Auch aktuell sehen wir, dass Putins Plan für seinen Eroberungskrieg gegen die Ukraine nicht aufging. Alle Welt hat gesehen, dass sein „Blitzkrieg“-Vorstoß auf Kiew im Desaster und mit Rückzug endete. Und dass ab März 2022 der Krieg anders verlief, als russische Militärs sich das gedacht hatten. Was den weiteren Kriegsverlauf betrifft, so treten in unseren Medien immer wieder Militärexperten und auch selbsternannte Experten auf, die wissen wollen, was für die Zukunft zu erwarten sei.

Darunter sind Stimmen, die verkünden, dass Russland diesen Krieg gar nicht verlieren könne, weil es ein so großes Land sei. Das klingt in meinen Ohren oberflächlich, wenn nicht naiv. Wer keine Ahnung von militärischen und kriegslogistischen Dingen hat, neigt vielleicht dazu, so etwas für überzeugend zu halten. In diesem Krieg sind aber bisher schon einige Dinge passiert, die manche Pessimisten nicht für möglich hielten, weil sie die Ukraine von vorneherein für hoffnunslos unterlegen hielten.

Manchmal beschleicht mich das Gefühl, die Unterstützung aus westlichen Ländern für die Ukraine kam (aus was für Gründen auch immer) nicht zügig und konsequent, man debattierte (vor allem bei uns) über Waffengattungen und ihre Wirkungsweise, man äußerte Furcht vor Eskalation, man wollte Putin nicht reizen…. Dabei war es doch Putin, der keine Rücksicht auf irgendwen nahm und diesen Krieg vom Zaun brach. Und Putin drohte und droht immer wieder mit Eskalation durch Einsatz von Nuklearwaffen. Warum wohl?

Immer noch fordern Friedensbewegte, unsere Regierungen sollten mehr „die hohe Kunst der Diplomatie“ nutzen und weniger von Waffenlieferungen reden. Dazu fällt mir zuerst immer das Foto aus dem Kreml ein, wo im Februar 2022, einige Tage vor dem russischen Angriff, Kanzler Scholz zum Gespräch mit Putin an einem Tisch sitzt, und Putin hat ihn sich an einem absurd langen Tisch gegenüber gesetzt. Das war schon die symbolische, bildliche Verhöhnung aller diplomatischen Bemühungen. Putin ließ sich nicht vom Krieg abhalten. Putin, der Machtmensch, zeigt gern in Bildern, was für ein machtvoller, starker Kerl er sei.

Unsere Friedenbewegten im Lande greifen ständig unsere Regierung und „den Westen“ wegen „zuwenig diplomatischer Benühungen“ an, reden aber fast gar nicht von der Gegenseite am Verhandlungtisch. Und da kommen wir wieder an den Anfang, an den nicht vorhersehbaren Verlauf von Kriegen. Gegen die historische Erfahrung wird behauptet, die Fortsetzung der Unterstützung für die Ukraine sei sinnlos, man müsse sofort über Waffenstillstand verhandeln. „Jeder Krieg endet am Verhandlungstisch“, riefen sie. Ja, aber soweit sind wir doch noch nicht. Die Frage lautet zuerst: Was muss entscheidend passieren, damit überhaupt verhandelt wird?

Solange Putin sich von der Fortsetzung des Krieges mehr verspricht als von einem Waffenstillstand, wird er nicht ernsthaft in Verhandlungen eintreten wollen. Das liegt auf der Hand. Leider war aber die Unterstützung der Ukraine nicht so konsequent, wie sie hätte sein müssen, damit Putin größere militärische Niederlagen erlitten hätte. Nur das hätte ihn umstimmen können.

Darüber hinaus muss man sich klarmachen: Der Charakter Putins und seines Herrschaftsapparates ändert sich nicht, wenn er irgendwelche Vereinbarungen über Waffenstillstand oder Frieden unterschreibt. Das ist ja nach wie vor Fakt: Putin hat gezeigt, dass er Vereinbarungen und Verträge ignoriert, wenn es ihm Vorteile bringt. Darum ist mit seiner Unterschrift noch nicht viel gewonnen. Einen Frieden bekommen wir erst, wenn er effektiv eingebunden wird in ein Sicherheitssystem, das in Europa wieder stabile Grenzen und deren Respektierung schafft.

Ich halte es für eine Illusion zu glauben, dass Russland seine imperialen Ziele aufgeben wird, nachdem Putin schon die Geschichtsbücher für die Jugend umschreiben ließ und ständig Propaganda für seine Vorstellung der „russischen Welt“ macht. Wenn einer schon Stalin (!) als Vorbild wiederbelebt und seine Soldaten Gräueltaten unter Zivilisten begehen lässt (Die Militär-Einheit, die in Butscha viele zivile Tote auf den Straßen zurückließ, wurde von Putin persönlich vor Fernsehkameras mit Orden belohnt), was soll man da für die Zukunft erwarten?

Zu erwarten ist, dass die Saat des imperialistischen Denkens in Russland auch auf lange Sicht aufgehen wird, dass Putins Werteprinzip der rücksichtslosen Gewalt die russische Gesellschaft nachhaltig prägen wird, dass also Russland nicht als friedensstiftender Faktor in Europa wirken wird (egal, wie der aktuelle Krieg in der Ukraine beendet wird).

Wer jetzt der Ukraine die Unterstützung entziehen will, ist entweder politisch naiv oder von Putins Propaganda eingenommen. Beides läuft auf eine Unterwerfung unter die Herrschaft von Putin hinaus. Dies sollten alle bedenken, die glauben, ein schneller Waffenstillstand und Frieden mit Putin um jeden Preis sei das Gebot der Stunde.

Im Übrigen finde ich es unverschämt, wenn „Friedenstauben“ der Ukraine nahelegen, auf Gebiete zu verzichten, damit Ruhe einkehre. Ruhe für wen? Ihr könnt nicht Putin Gebiete schenken, die Euch gar nicht gehören! Putin hat sich schon widerrechtlich Teile der Ukraine angeeignet und dort „Russifizierung“ mit all ihren hässlichen Konsequenzen begonnen. Das wollt Ihr ihm durchgehen lassen und ihm auch noch eine Belohnung geben? Für ein bisschen (vorläufigen) Frieden? Glaubt Ihr denn, danach könntet Ihr ruhiger schlafen? Das ist in meinen Augen Traumtänzerei.

Offensichtlich geht es um viel mehr als nur um die Frage, wie man den aktuellen Krieg in der Ukraine beendet. Es geht nicht um ein bisschen Frieden, um eine Atempause zu haben, während Putin weitere Ziele auf dem Kartentisch absteckt. Es geht um eine stabile Friedensordnung, in der wirklich Friede in Europa einkehrt — und bleibt.

W. R.

P.S. Mehr zur aktuellen Debatte um Pazifismus und Waffen siehe Essay „Und den Menschen ein Wohlgefallen?“, zu finden in der Unterseite Clio, 6.

Zusatz am 11.08.24: Der Vorstoß ukrainischer Truppen in den Bezirk Kursk beweist, dass die ukrainische Armee bisher daran gehindert wurde, ihre Operationen so zu planen, wie es die russische Seite kann. Der Westen hat stets seine Waffenlieferungen an Bedingungen gebunden — zum Vorteil der russischen Seite: Im Gegensatz zur Ukraine konnte das angreifende Russland vor effektiven Angriffen auf sein Gebiet relativ sicher sein. Putins Propaganda bezeichnet den berechtigten Angriff der Ukraine auf russisches Staatsgebiet denn auch als „Provokation“; wenn er „Provokation“ sagt, versucht er wieder einmal, besonders den Deutschen Angst zu machen. Bei den Ukrainern kann er seinen Terror sowieso nicht mehr steigern. Putin versucht an der mentalen Front, deutsche Friedenstauben weich zu kochen, weil er die deutsche Hilfe für das angegriffene Land sehr gern ausschalten würde. Und weil er mit seinen Trollfabriken die Möglichkeit hat und nutzt, die Tiktok-Generation zu beeinflussen und AfD und BSW weiter Schützenhilfe zu geben. —

Blick nach vorn

AM 23. Mai 2024 wurde offiziell gefeiert, dass unsere Verfassung, das Grundgesetz, vor 75 Jahren verkündet wurde und in Kraft trat. 1949 hatte man Lehren aus der Zeit der Weimarer Republik, der Nazi-Zeit und dem Zweiten Weltkrieg gezogen und diese in die Verfassung eingearbeitet — auf der Grundlage der Menschenrechte. Damit bekam (damals nur West-) Deutschland eine Verfassung, die man in historischer Perspektive als die beste, d.h. freiheitlichste sehen muss, die je auf deutschem Boden in Kraft trat.

Es gibt aber auch Menschen, die den Blick zurück wenden und mit soviel Freiheit offenbar überfordert sind. Sie möchten lieber gegängelt werden, sie wollen Entscheidungen lieber mächtigen Autoritäten überlassen, sie wollen einen „starken Mann“ an der Spitze des Staates bewundern und im Gleichschritt hinter ihm hermarschieren, egal wohin. Bloß nicht viel denken und mitentscheiden müssen! Da wird höchstens mal hinter vorgehaltener Hand gemeckert, sich aber prinzipiell geduckt. Wie soll mit so gestrickten Gemütern eine Demokratie funktionieren, die diesen Namen verdient?

Putin setzte in Russland vor etlichen Jahren den Begriff „gelenkte Demokratie“ in Umlauf, um seinen Weg in die Diktatur zu vernebeln (Unser G. Schröder hatte Putin geholfen, indem er ihn in einem Interview als „lupenreinen Demokraten“ bezeichnete). Allen musste klar sein: Putins Worthülse sollte für Verwirrung sorgen, denn eine echte Demokratie wird nicht von irgendwo gelenkt. Darüber hinaus ist eine Demokratie nicht bloß durch Wahlen definiert, sondern z.B. auch durch Meinungsfreiheit und Gewaltenteilung, Minderheitenschutz, etc. Ihr wisst schon (hoffe ich stark!). Dennoch benutzen Autokraten und Diktatoren gern das Instrument von Wahlen, wenn sie zuvor dafür gesorgt haben, dass keine Opposition eine Chance hat. Seit Hitler legt jedes autoritäre Regime Wert auf zumindest den Anschein, dass die große Mehrheit der Bevölkerung seiner Herrschaft zustimmt.

Hierzulande gibt es, wie gesagt, Menschen, die sich für so ein Modell Putin erwärmen und auch Chinas Diktatur nicht schlimm finden. Dabei wäre die Frage, ob das auch so bliebe, wenn sie morgen in einem solchen System leben müssten, wo sie nicht mitentscheiden dürfen, was von oben befohlen, erwünscht, erlaubt und verboten ist. Aber wenn dem Esel zu wohl wird, geht er auf’s Eis — sagt ein altes Sprichwort. Und Einigen geht es in unserem Staat anscheinend zu gut, sie nehmen das als selbstverständlich.

Aber reden wir nicht länger von Leuten, die von der übrigen Welt wenig wissen, oder sich in eine schöngefärbte Vergangenheit zurücksehnen, die es so nicht gab und die es auch nicht geben wird. Wenden wir den Blick nach vorn!

Was brauchen wir denn in einer Welt, die schon zwei Jahrzehnte des 21. Jahrhunderts erlebt hat und vor Problemen steht, von denen man eins sicher sagen kann: Sie werden nicht mit Mitteln und Methoden aus Opas Mottenkiste gelöst. Das hat z.B. ein Putin schon zu spüren bekommen: Mit seinem „schnellen“ Eroberungskrieg in der Ukraine ist er auf den Bauch gefallen. Und was Hitler nicht geschafft hat, wird auch Putin nicht schaffen: Sie konnten die Welt nicht davon überzeugen, dass das „Recht des Stärkeren“ alles Recht in den internationalen Beziehungen schlägt… zumal beide sich verrechnet haben, was die Gegenwehr angeht. Auch Putin wird die Puste ausgehen, schon jetzt hat er sein (erträumtes) „Großrussland“ politisch von China abhängig gemacht. Wirtschaftlich ist er auf dem Holzweg, wenn er glaubt, die meisten Länder würden in Zukunft von seinen Rohstofflieferungen (Öl, Gas, Uran-Brennstäbe) abhängig sein. Das Verbrennen fossiler Energieträger ist ein Auslaufmodell, die russische Wirtschaft muss sich baldigst umorientieren. Da sehen wir übrigens einen Grund für die verbreitete Propaganda gegen Klimawandel, der geleugnet wird, und gegen die Energiewende.

Aber auch Deutschland kann sich nicht auf Lorbeeren der Vergangenheit ausruhen. Der ehemalige „Exportweltmeister“ muss sich auch veränderten Bedingungen anpassen, z.B. was die Elektromobilität betrifft. Aber dieses Thema wollen wir an dieser Stelle nicht vertiefen. Wichtig ist, dass wir erkennen: Man muss mit der Zeit gehen, nichts bleibt auf ewig, wie es ist.

Und da wir eingangs über das Jubiläum „75 Jahre Grundgesetz“ sprachen, fragen wir uns auch, ob dieses Grundgesetz in allen Teilen so bestehen kann, wie es konzipiert wurde. Müssen wir nicht von Zeit zu Zeit überlegen, ob diese Verfassung veränderten Bedingungen und neuen Herausforderungen angepasst werden muss? Das geschieht ja auch manchmal, es gibt Änderungen, und es gibt Ergänzungen, die im Laufe der Jahrzehnte vom Bundestag mit der nötigen Zweidrittel-Mehrheit beschlossen wurden. Denn es ist klar, dass die Mütter und Väter des Grundgesetzes 1948/49 nicht alles vorhersehen konnten, was in Zukunft zu klären und zu regeln sein würde.

Wenn wir den Blick nach vorn richten, können wir uns natürlich auch Gedanken darüber machen, ob und wie unser Grundgesetz auf neue Entwicklungen und Herausforderungen eingestellt werden soll. Darüber hat sich auch Renan Demirkan zum Jubiläum ihre Gedanken gemacht und in einem Artikel formuliert. Dieser ist auf jeden Fall lesenswert, wenn man Denkanstöße schätzt und sich mit Vorschlägen auseinandersetzen möchte, die den Blick nach vorn richten. > Kölner Stadt-Anzeiger e-paper

W. R.

Bemerkung am 3. Oktober 2024: Wollen wir nicht mal darüber diskutieren, ob eine Partei wie die AfD verboten gehört? Und wollen wir nicht mal darüber nachdenken, ob die Hauptforderung des BSW nicht verkappter Landesverrat ist, um uns zu Vasallen von Putins Russland zu machen?

AfD und BSW verbreiten die Erzählung, wir würden von den USA beherrscht. Was sollte denn besser werden, wenn uns statt den USA demnächst Russland beherrschte? Schaut Euch doch mal an, wie es den Russen unter Putin geht! Die große Mehrheit wäre froh, wenn sie dort leben könnten wie die Mehrheit der Deutschen hier. Und die wären auch schon froh, wenn Putin nicht ihre Söhne an der Front zu tausenden rücksichtslos verheizen würde, und wenn das viele Geld für die Hochrüstung wenigstens teilweise für soziale Zwecke im Land ausgegeben würde. Also, wer es gut mit den Menschen in Russland meint, der kann nur hoffen, dass Putin keinen Krieg gewinnt und keinen weiteren anfängt, und dass er bald abtritt oder seine Politik ändert.

Wer glaubt, die Einstellung der Hilfe für die Ukraine würde Frieden bringen, der muss sich erst einmal fragen lassen: Frieden für wen? Und was blüht dann den von Russland beherrschten Menschen in der Ukraine? Und wer soll dann die vielen neu ankommenden Flüchtlinge aus der Ukraine versorgen?

Denken, nicht nur gefühlsduselig nicken beim Ruf nach Frieden! Ist das so schwer?

Erstmal nachdenken.

Muss mal eben noch die Welt retten — im Zeitalter des Social-Media-Wischens hat wohl manch Eine oder Einer den Überblick verloren und etwas geliket oder unterstützt, was sich bei näherem Hinsehen (und Nachdenken) als einseitige Parteinahme entpuppt. Das freut natürlich diejenigen, die eine Kampagne gestartet und Deine Stimme so leicht eingeheimst haben. Du kannst dein Votum auch nicht mehr einfach zurücknehmen, es ist schon registriert und verwertet als Teil „breiter Zustimmung“.
Erstmal Nachdenken, das ist anscheinend bei Vielen nicht populär. Es geht offenbar eher darum, „dabei“ zu sein, sich emotional mitreißen zu lassen und sich in einem Strom mitschwimmend stärker zu fühlen. Oder was?
Als Spiritus Rector der Freien Universität Frechen habe ich dazu eine dezidierte Meinung und vertrete diese nicht solitär, sondern weiß mich im Einklang mit vielen Menschen auch jenseits unseres Clubs, Menschen, die ihren Verstand nicht in Ruhestellung schicken, wenn ihre Stellungnahme angefragt wird.
Eine UNIVERSITÄT ist nach landläufiger Auffassung ein Ort des Wissens, des Denkens, der Kommunikation über Wissen, des Diskurses und auch des Disputs zwischen verschiedenen Meinungen. Es hat mich befremdet zu sehen, dass nun auch noch an der Kölner Universität ein Protestcamp entstanden ist, in dem bisher eine überschaubare Zahl von Menschen (die z.T. gar nicht hier studieren) eine propalästinensische und zugleich antiisraelische Kampagne unterstützen.
Mit Kopfschütteln habe ich bereits die Vorgänge in mehreren US-amerikanischen Universitäten zur Kenntnis genommen, bei denen es nicht mehr um Diskurs und Disput geht, sondern um Aktionen, die Druck aufbauen und Aufsehen erregen sollen. Der Erregungszustand vieler TeilnehmerInnen lässt sie handgreiflich und manchmal gewalttätig werden, wenn sie etwa jüdische Studierende angreifen und vom Campus fernhalten. Das hat nichts mehr mit dem Charakter einer Universität zu tun, vielmehr geht das in Richtung Meinungsterror und darf nicht toleriert werden, weder in den USA noch bei uns.
Worum geht es eigentlich in der Sache? Sachlich daneben sind auf jeden Fall einseitige Schuldzuweisungen und holzschnittartige Vereinfachungen der Lage im Nahen Osten wie der langen Geschichte des Konflikts. An Emotionalisierungen besteht und bestand in der Vergangenheit kein Mangel.
Leider hat das immer wieder zu Gewaltausbrüchen geführt, Scharfmacher und Hetzer hatten und haben in der Region leichtes Spiel. Seit im Hintergrund auch noch das Regime in Teheran mitmischt, ist es nicht besser geworden. Hamas, Hisbollah und Huthis sind verlängerte Arme Teherans und betreiben das Geschäft des Scharfmachens und des Hintertreibens aller Bemühungen um friedliche Lösungen. Hinzu kommt leider als Spiegelbild dieser Scharfmacherei eine rechtsradikale Regierung unter Netanjahu in Israel, die sowohl antidemokratische Ziele verfolgt als auch die Zweistaatenlösung bekämpft. Wer das zum Vorwand antiisraelischer Kampagnen und antisemitistischer Hetze nimmt, verfälscht die Wahrnehmung der Realität, da bekanntlich auch in Israel ein großer Teil der Bevölkerung gegen die Politik der Regierung Netanjahu ist und das in vielen großen Demonstrationen kundtut.
Apropos Zweistaatenlösung: Teheran und seine o.g. verlängerten Arme fordern die Vernichtung des Staates Israel — egal, wer dort das Sagen hat — und verbreiten die Parole „From the river to the sea“, gemeint ist Vernichtung und Vertreibung zugunsten eines pälästinensischen Staates.
Unglücklicherweise haben etliche Menschen in Europa diese Parole aufgegriffen. Tut mir leid, Greta, damit hast dich aus der positiven Bewegung „Fridays for Future“ herauskatapultiert und zur Influencerin der antijüdischen Kampagne gemacht. Ich unterstelle, dass du in einer schwachen Minute dem eingangs beschriebenen Social-Media-Effekt anheimgefallen bist und dich hast einspannen lassen…
Was die Hamas mit ihren ins Netz gestellten Videos am 7. Oktober 2023 selbst vorgeführt hat, spricht schon eine klare Sprache: Niedermetzeln und Entführung zahlreicher unbewaffneter Menschen wird hier stolz als Heldentaten gezeigt. Das ist Selbstlob für Verbrechen. Und sie bildet sich offenbar ein, das als Werbung für sich im Netz verbreiten zu können. Das erinnert doch stark an den IS und seine Präsenz im Netz (Videos zur Gewaltverherrlichung, gefilmte Greueltaten), und es legt den Schluss nahe, dass Hamas und IS Brüder im Geiste sind. Über wehrlose Menschen herzufallen soll Heldentum sein? Metzeleien und extreme Gewalt vor allem gegen Frauen? Da werden alle Maßstäbe auf den Kopf gestellt! Da herrscht eine extrem frauenfeindliche, gewalttätige Gesinnung, die versucht, sich einen religiösen Heiligenschein aufzusetzen.
Wie hassverblendet ticken Menschen, die daraufhin spontan in Berlin auf die Straße gingen und feierten? Geht’s noch?
Und an den Universitäten wollen offenbar einige Studierende zeigen, dass bei ihnen Hass über Verstand geht und aufgeputschte moralische Empörung über intellektuelle Denkarbeit. Wie anders soll man diese Aktionen denn verstehen?
Die ganze Scharfmacherei, die nun auch noch aus dem Nahen Osten zu uns herübergetragen werden soll — entspringt sie womöglich (bei cooler Betrachtung) zu einem großen Teil einer Macho-Haltung mit lauten, gewaltbereiten Zügen, wo die sich aufspielenden Männer alles bestimmen wollen und Rufe nach Frieden als Schwäche abtun? Ist doch auffällig, dass vom Mittelmeer bis an den Hindukusch meist frauenfeindliche Regime das Sagen haben, und je radikaler die religiöse Ausrichtung, desto frauenfeindlicher reden und handeln diese Glaubensextremisten. Im Unterschied zum Islam ist der Islamismus eine Abart des Glaubens, dem es vor allem um die vorislamische Männerherrschaft geht. Darum legen sie die religiöse Überlieferung in einem einseitig-radikalen Sinne aus, und das entspricht nach meiner Beobachtung durchaus nicht der Haltung und dem Verhalten des Propheten.

Wenn Gewalt weitgehend als „männlich“ verstanden wird, dann wird die Welt wohl kaum friedlicher werden, solange das Machotum weltweit verbreitet ist. Und die Frauen? Sollen sie — trotz aller Bekenntnisse zu den Menschenrechten — weiterhin für Viele als Menschen zweiter Klasse gelten? Dazu ein denkwürdiger Beitrag hier >TikTok – Bär oder Mann: Auf wen allein im Wald lieber treffen? – DER SPIEGEL

Viel Spaß beim Denken!

S. R.

P.S.: War obiger Beitrag einseitig? Ich denke: Nein, denn es dürfte doch selbstverständlich sein, dass die täglichen Nachrichtenbilder aus dem Gaza-Streifen entsetzlich und kaum zu ertragen sind und es keiner ausdrücklichen Erwähnung bedarf, dass die Kriegführung in diesem dichtbesiedelten Gebiet nicht hinnehmbar ist (genau wie in der Ukraine). Der Gipfel des Zynismus ist, dass die Hamas die Reaktion der israelischen Führung auf den Hamas-Überfall vom 7.10.23 von Vorneherein eingeplant hat. Frage: Welche Seite nimmt dort am wenigsten Rücksicht auf die Zivilbevölkerung? (Nicht vorschnell antworten, erst überlegen!)

Mehr zum Thema siehe Blog-Beitrag vom 18.12.23 „Narren in der Mehrheit“, und besonders den Nachtrag darunter vom 08.03.24 (Weltfrauentag). —

Nachtrag vom 30.07.2024: Worüber reden wir eigentlich, was heißt Machismo / Männlichkeitswahn konkret? Dazu informiert z.B. dieser Beitrag: WHO-Bericht: Ein Viertel aller Frauen erlebt Gewalt in Beziehungen vor ihrem 20. Geburtstag – DER SPIEGEL

Dazu weitere aktuelle Ergänzungen im August 2024:

Großbritannien will Frauenfeindlichkeit als Form des Extremismus werten – DER SPIEGEL

Am derzeit finstersten Pol der Frauenfeindlichkeit, in Afghanistan, haben die im August 2021 wieder an die Macht gekommenen Taliban weitere Gesetze gegen Frauen erlassen. Man glaubt es kaum, den Frauen wird dort so ziemlich alles verboten, was menschliche Existenz von der eines Haus- bzw. Nutztieres unterscheidet. Nicht einmal singen oder laut reden dürfen sie. Klingt irre? Die meinen das aber ernst! Da ist weiterer Kommentar überflüssig. —

Siehe auch den Beitrag „Gottes Wille?“ vom 28.08.2024. —

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German Angst?

Eigentlich hatte ich mir vorgenommen, einen ruhigen Abend in meiner Stammkneipe zu genießen und mich auch beim Abendessen nicht stören zu lassen. Das lief auch gut an, bis die Runde der Stammgäste am Tresen sich zusammenfand. Ich hatte mir fest vorgenommen, in diesem Falle wegzuhören und mein Ohr nicht wieder der Diskussion am Tresen zu leihen. Doch bald war ich doch wieder dabei, die Debatte zu verfolgen, weil sie mich inhaltlich interessierte. Ich bekam nicht mit, wer welche Meinung vertrat, wollte ja auch gar nicht hinhören und -sehen, aber soviel hörte ich trotzdem:

„Also, dat wär ja ein Ding, mit dem Scholz mich positiv überraschen würde: Wenn die Ukrainer plötzlich mit ein paar Taurus-Marschflugkörpern den russischen Nachschub an die Front unterbrechen würden! Die aktuelle Lage im April 2024 gibt das her, es wäre ein starkes Zeichen für Umdenken des Kanzlers angesichts der veränderten Lage. Was würde passieren? Die Russen könnten ihre befürchtete Offensive auf Charkiv nicht wie geplant durchführen und müssten sie verschieben — und genau das braucht die Ukraine jetzt dringend, nämlich die Zeit, bis die endlich beschlossene Hilfe aus den USA vor Ort eintrifft. Ist ja gut, dass sich Scholz in Europa für weitere Lieferungen von Luftabwehrsystemen stark macht. Aber die Ukraine braucht zurzeit mehr. Und ich würde Scholz demnächst wieder wählen, wenn er diesen Schritt… “ —
„Nun stopp mal, das geht zu weit! Er hat Taurus nicht liefern wollen, und ein Großteil seiner Partei findet das gut, ich übrigens auch! Russland ist immerhin Atommacht, die darf man nicht leichtfertig reizen.“ —
„Moooment mal! Das ist ein sehr fragwürdiges Argument. Vor allem streut das die russische Propaganda immer wieder, weil es gerade in Deutschland Eindruck macht. Besonders in der SPD glaubt man, der eigene Markenkern in der Außenpolitik sei Willy Brandts Friedenspolitik. Kann man glauben, geschenkt! Das muss aber nicht im 21. Jahrhundert weiterhelfen. Im Kalten Krieg hatten wir eine in vieler Hinsicht andere Weltlage. Was damals gut lief, kann man nicht 1:1 auf heute übertragen. Und wir haben ja schon erfahren müssen, dass Russland heute nicht so handelt wie die Sowjetunion damals. Deswegen haben sich doch Viele getäuscht und sich von Russlands billigem Gas abhängig gemacht.“ —
„Das war doch unter Merkel von der CDU!“ —
„Ja, und wer saß mit am Kabinettstisch? Wir hatten die GroKo von CDU und SPD. Schon vergessen?“ —
„Hört auf damit, jetzt geht’s um heute und morgen! Allerdings sind in der SPD und anderswo noch nicht alle Friedenstauben aufgewacht und meinen immer noch, sie könnten verhandeln statt Kriegführung unterstützen. Dabei wollen sie nicht wirklich auf die militärischen Notwendigkeiten blicken — wohl auch, weil sie sich nur mit Friedensideen befassen, aber keinen Schimmer vom Verlauf und den möglichen Wendungen von Kriegen haben. Putin hat es ja klar gesagt: Bei der gegenwärtigen, für ihn aussichtsreichen Lage sieht er keinen Grund zu Verhandlunngen.“ —
„Eben, und daran könnten einige Taurus-Einschläge an den richtigen Stellen etwas ändern. Das heißt: Erst wenn die Lage aus Putins Sicht nicht mehr aussichtsreich ist, sondern ihm die Kontrolle auch über annektierte Gebiete entgleitet, erst dann können wir mit Verhandlungsbereitschaft rechnen. Dann nämlich hätte Putin Angst, noch mehr zu verlieren, und würde sich beeilen, das Erreichte zu sichern — bevor er womöglich weggeputscht wird. Darum geht es doch.“ —
„Das sehe ich auch so. Und ich bezweifele, dass Putins Umfeld ihm allein den Roten Knopf überlassen wird, um Atomwaffen einzusetzen. Russland würde sich politisch weitgehend isolieren, vor allem von China.“ —
„Da ist was dran. Übrigens hat der Iran schon mal US-Militäreinrichtungen im Mittleren Osten angegriffen, obwohl die USA eine starke Atommacht sind. Und, haben die USA einen Atomwaffen-Einsatz auch nur angedroht? Haben sie nicht. Bei uns tun aber Einige so, als säße Putin mit nervösem Finger am Roten Knopf im Kreml. Das kommt vor allem von Leuten wie Sarah Putinknecht.“ —
„Die schüren die German Angst, wie das im Ausland oft spöttisch heißt. Putin gefällt das. Der alte Geheimdienst-Fuchs weiß genau, wie man Leute einschüchtern und in Angst versetzen kann. Nur muss das Opfer auch mitspielen und sich einschüchtern lassen. Wirklich Angst haben müssen doch die Leute, die Putin offen kritisiert haben und im Gefängnis landen, oder ins Ausland fliehen. Sie sind nirgendwo sicher.“

Ich hatte meine Zeche bezahlt und verließ das Lokal, während am Tresen Einer eine Runde gab, und alle sich zuprosteten und weiter friedlich im Gespräch blieben. Das war das Sympathische an dieser Runde: Selbst wenn sie verschiedener Meinung waren und sich stritten, waren sie sich einig darin, hier nur Meinungen und Argumente auszutauschen und niemanden persönlich für seine Meinung anzufeinden. Und deshalb trafen sie dort immer wieder zusammen und genossen einen angeregten Abend.

W. R.


Miteinander reden

Auch politische Talkshows im Fernsehen können zur Information und Meinungsbildung beitragen. Man hört verschiedene Argumente und Ansichten zu einem Thema, man hört Informationen in Zusammenhänge gestellt, man kann sich ein differenzierteres Bild machen — inklusive der strittigen Punkte.
Doch sind es zwei Dinge, die mich nerven können:
1. PolitikerInnen in der Talkrunde tragen kontroverse Standpunkte vor, wollen aber (besonders in Wahlkampfzeiten) die VertreterInnen anderer Standpunkte nicht ausreden lassen und sie daran hindern, ihre Position schlüssig darzulegen.
2. ModeratorInnen von Talkshows fallen ihren Talk-Gästen häufig oder sogar ständig ins Wort und lassen sie kaum einen Satz beenden, geschweige denn einen Gedanken ausführen. Diese (in meinen Augen) Unart grassiert inzwischen besonders dann, wenn ein Politiker oder eine Politikerin interviewt wird und der/die ModeratorIn sich besonders kritisch zeigen will oder — mehr noch — der Person gegenüber unbedingt unbeabsichtigte Äußerungen und Enthüllungen entlocken will (indem er/sie ihm/ihr die klaren Gedanken verwirbeln und vorbereitete Statements zum Entgleisen bringen will). Das mag sinnvoll sein, um die Wiederholung schon oft gehörter Worthülsen und Parolen zu unterbinden. Aber es nervt, wenn ich als Zuhörer wissen will, wie diese Person ihre Ansicht begründet, und ich gereizt sehe, dass das ständig torpediert wird.
In beiden Fällen (1. und 2.) frage ich mich: Wozu schaue ich überhaupt diese Sendung? Das Zuhören ist anstrengend, bringt mir aber nicht den erhofften Mehrwert an Information. Folge: Ich finde es nicht schade, solch eine Sendung zu verpassen. Ich kann meine Zeit und Aufmerksamkeit sinnvoller einsetzen.

Schade, denn auch politische Talkshows können dazu beitragen, die Debattenkultur in diesem Lande als Vorbilder mitzugestalten, etwa indem sie zeigen, dass man einen Gesprächspartner und keinen bösen Feind gegenüber sitzen hat, dass man zuhört, ehe man dem Gegenüber widerspricht und die eigene Meinung sagt; indem man vorführt, dass miteinander reden als ein gemeinsames Gespräch geführt werden kann und nicht in polemisches Gezänk ausarten muss.

Übrigens schaue ich Polit-Talks nicht regelmäßig, und nicht alle. Vor einiger Zeit gewann ich den Eindruck, dass Markus Lanz (im ZDF) mit seinem oben unter 2. beschriebenen Verhalten auf andere ModeratorInnen abgefärbt hat, z. B. Maischberger (im Ersten), die fast ständig dazwischen redet und in meinen Augen damit ihrer eigenen Sendung schadet. Will ich mehr Hintergrund-Information zu politischen Themen, dann schaue ich mir lieber am Sonntagmittag den Presseclub im Ersten an.
W. R.

Eine schlüssige Strategie?

Mal wieder stand die übliche Gruppe um den halbrunden Tresen herum und kam ins Debattieren. Jupp hörte gleichmütig mit, hielt sich aber heraus und konzentrierte sich auf den unmittelbaren Nachschub, wenn sich Gläser leerten. Er war eben ein erfahrener Wirt und Gastgeber.
Ein Streitgespräch nahm gerade Fahrt auf.
„Nee, Tünn, dat seh ich janz anders,“ ereiferte sich Heiner, „der Kanzler macht et richtig: Kein Taurus in die Ukraine, dat es zu jefährlich! Nachher schießen die dem Putin seine Lieblingsbrücke an der Krim kaputt, und dann dreht der womöglich durch un sacht: ‚Jetzt reicht’s, jetzt mach ich die mit ein paar kleinen Atomwaffen platt, un dann sitze ich im Kreml un lass die Unterhändler zu mir kommen und um Frieden winseln.“
„Nee, Heiner, dat es reine Spekulation. Aber ich finde, dat läuft sowieso falsch bei uns. Putin weiß immer schon vorweg, wat wir vorhaben, bevor et bei uns in den Nachrichten kommt un in der Zeitung steht. Aber zu allererst sagen ihm schon seine Spione und die abgehörten Gespräche von Führungsoffizieren, was bei uns geplant wird.“
„Deswegen;“ schaltete sich Karl-Heinz ein, „würde ich als Kanzler sowieso zweigleisig fahren. Auf der einen Seite würde ich so reden wie Scholz, damit die Pazifisten in meiner Partei beruhigt sind, und auf der anderen Seite würde ich unter strengster Geheimhaltung den Einsatz von Taurus-Marschflugkörpern von ukrainischen Spezialisten trainieren lassen, schon seit Monaten.“
„Du willst also, dass der Kanzler die Öffentlichkeit belügt;“ polterte Heiner dazwischen.
„Mensch, Heiner, darum geht’s doch gar nicht.“
„Und worum dann?“ erregte sich Heiner noch lauter.
„Komm mal ein bisschen runter! Es geht doch nicht um Befindlichkeiten von uns friedensverwöhnten Deutschen. Es geht darum, wie es auch Scholz gesagt hat: Die Ukraine darf diesen Krieg nicht verlieren. Und derzeit sieht es nicht so gut für sie aus. Der Ukraine geht die Munition aus, dabei hatten westliche Staaten viel mehr versprochen, als in letzter Zeit angekommen ist.“
„Daran ist doch der Kanzler nicht allein schuld,“ warf Tünn ein.
Karl-Heinz ließ sich nicht beirren. „Die Lage ist jetzt, wie sie ist. Die Russen haben keine Nachschub-Probleme, solange sehr viel über die Kertsch-Brücke herangebracht wird. Dadurch entsteht an der Front eine russische Überlegenheit, die viele ukrainische Opfer kostet. Die Zerstörung der Kertsch-Brücke oder wenigstens ihre nachhaltige Beschädigung würde einen russischen Vormarsch verhindern oder verlangsamen. Die Ukrainer würden Zeit gewinnen, der Westen könnte mehr Munition und Luftabwehr liefern…“
„Die Brücke ist aber auch Putins Prestigeobjekt, mit dem er sich gebrüstet hat. Er könnte doch ausrasten und, wie Heiner schon sagte, …“
„Jetzt hört mal auf mit Euren Spekulationen, Ihr Sandkastenstrategen! Redet nich dauernd vom Militär, redet lieber von Friedensverhandlungen…“
„… die nicht stattfinden,“ warf Karl-Heinz ein. „Putin hat vot Kurzem selbst gesagt, dass er keinen Grund für Verhandlungen sieht. Ja, warum denn auch? Er wittert Morgenluft und hofft auf eine Niederlage der Ukraine, und weil er alles tun wird, um Trump ins Weiße Haus zu hieven, und weil der Westen derzeit zuwenig an die Ukraine liefert, und weil bei uns immer noch Rücksicht auf Friedenstauben genommen wird. Wer wünscht sich keinen Frieden! Aber was ist das für eine Anmaßung, den Ukrainern nahezulegen: Nun gebt doch noch was ab von Eurem Land, dann ist Ruhe. Wofür haben die denn schon über zwei Jahre gekämpft?“
„Da hat der Karl-Heinz nen Punkt!“ meinte Heiner. Es sind doch wir und andere Europäer, die ihre Ruhe wieder haben wollen. Aber denken wir mal nach: Diese Ruhe, in der wir uns vor dem Februar 2022 wähnten, die ist eine Illusion, auf jeden Fall für die Zukunft. Putin muss sich schlapp gelacht haben, als wir unsere Bundeswehr heruntergespart haben…“
„… und dazu die Wehrpflicht de facto abgeschafft!“ rief Tünn dazwischen.
„Ja, schlimm,“ meinte Karl-Heinz, „aber das ist Geschichte. Wir sollten aus der Geschichte lernen, aber möglichst das Richtige. Jetzt ist die Lage so, dass Putin gewinnen könnte. Ich glaube, dass sich Viele immer noch nicht klar darüber sind, was das bedeutet.“
„Geeenau!“ meldete sich Gerhard genannt Gerry zu Wort. „Ich weiß zwar nicht, ob unsere Freiheit am Hindukusch verteidigt wurde, aber ich bin mir schon viel sicherer, dass sie in der Ukraine verteidigt wird.
Wie man jetzt hörte, fehlte uns in Afghanistan eine schlüssige Strategie, und teilweise auch die passende Ausrüstung für unsere Soldaten. Und heute? Wir unterstützen die Ukraine mit Ausrüstung und viel Geld, um den Staat am Leben zu erhalten. Aber wenn es darum geht, dass die Russen aus dem Land gedrängt werden, dann hören wir hier so manches Herumgeeiere. Von Anfang an sagte Scholz zwar, die Ukraine darf den Krieg nicht verlieren, aber er sagte nie, sie müsse den Krieg gewinnen. Das ist mir immer aufgestoßen, und ich habe mich gefragt: Warum sagt er es so und nicht anders? Nimmt er auf Putin Rücksicht, auf seine pazifistischen Landsleute, oder auf wen? Bestimmt denn Putin allein, wann wir als Kriegspartei gelten?“
„Und wenn Macron den Einsatz von Bodentruppen nicht ausschließt — ja wenn schon, das sind erst mal nur Worte, die aber Putin sagen: Wir schließen nicht aus, dass wir das mal tun könnten. Mehr nicht. Scholz aber sprang direkt darauf zu und schloss das kategorisch aus, weil wir nicht Kriegspartei werden wollen.“

So ging das Gespräch am Tresen noch eine Weile weiter, während ich mein Essen bekam und es genoss: Grünkohl bürgerlich, d.h. vermischt mit Kartoffelstückchen, dazu Mettwürstchen, daneben stellte die Bedienung ein frisch gezapftes Kölsch. Und ich vergaß für eine Weile, dass die Russen derzeit eine politische Spezialoperation schlucken müssen, die sie „Wahl“ nennen sollen, und dass sie seit über zwei Jahren einer militärischen Spezialoperation applaudieren sollen, die sie nicht „Krieg“ nennen dürfen…

W. R.

Update am 23.03.24: Kaum hat Putin die „Wahl“ gewonnen und sich als Sieger feiern lassen, hört man aus Moskau gestern: Man darf die „militärische Spezialoperation“ gegen die Ukraine jetzt auch „Krieg“ nennen. Das kann nur bedeuten, dass Putin nun glaubt, es nütze ihm mehr, offen von Krieg zu sprechen, weil damit weitere (unpopuläre) Einberufungswellen besser der Bevölkerung plausibel gemacht werden können.

Die russische Bevölkerung ist zwar nicht blöd, aber stark eingenebelt von der Propaganda der Staatsmedien. Alternative Informationsquellen sind den meisten Russen kaum bekannt oder zugänglich. Deshalb behauptet Putin unverfroren Dinge, an denen auch „normale“ Russen zweifeln mögen, z.B. dass die Spur der Attentäter vom Konzertsaal in Richtung Ukraine führe. (Allen Russen ist die voraufgegangene Serie von Anschlägen islamistischer Attentäter bekannt, die meist aus Tschetschenien kamen.)

Das zeigt mir: 1. Putin ist besessen von seinem Krieg gegen die Ukraine, 2. Putin interessiert sich nicht für Menschen, sondern allein für die Festigung seiner Macht — denn gerade dieses Attentat, für das eine IS-Gruppe die Verantwortung reklamiert, zeigt, dass er und sein Geheimdienst nicht alles im Griff haben, und das trotz Vorwarnung. Aber ich sage nur: Erzähl‘ mir was Neues über Putin, das ist doch nur sein übliches Verhalten.