NUN haben sie das „Unwort des Jahres“ ernannt: BIODEUTSCH. Das Wort, heißt es, werde oft gedankenlos benutzt, und ist schon in die Alltagssprache eingedrungen.
Wer nicht so gedankenlos sabbeln will, der fragt sich jetzt: Was genau soll das eigentlich heißen: biodeutsch? Und schon tun sich Fragezeichen auf: Steht „bio“ hier für biologisch? Dann fragt man sich doch gleich: Kann „deutsch“ sein etwas Biologisches sein? Nee, bestimmt nicht! Denn deutsch ist eine Staatsangehörigkeit, ist eine Bezeichnung für einen Menschen mit deutschem Pass.
Das wollen aber die völkisch orientierten Rechten nicht so stehen lassen. Sie erfinden das Wort „Passdeutscher“ für einen Menschen, der die deutsche Staatsangehörigkeit erworben hat, aber in ihrer Sichtweise trotzdem „nicht dazu gehört“, also kein richtiger Deutscher ist, wie sie meinen.
Wer richtig dazugehört, also voll deutsch ist, muss demnach nicht nur hier geboren, aufgewachsen, sozialisiert sein, er/sie soll auch Generationen (bio-)deutscher Vorfahren haben. Aber da muss der völkisch Denkende (bzw. Fühlende) schon ein paar ungute Gefühle bzw. Bedenken unterdrücken, wenn er/sie ein bisschen Ahnung von der deutschen Geschichte hat. Will man da so genau wissen, wie weit zurück die Vorfahren „biodeutsch“ gewesen sind? Denn: Das deutsche Volk war schon immer nicht so ganz scharf definierbar, wenn es um „Blut“ (d.h. Abstammung) und Herkunft geht. Das zeigt sich nicht nur an den Grenzen des deutschen Staatsgebietes im 19. und 20. Jahrhundert, die mehrfach geändert wurden. Wir hatten auch Migration innerhalb des Staatsgebietes und von außen herein sowie von innen hinaus. Da war also im Laufe der Zeit eine gewisse Fluktuation. Das „deutsche Volk“ war also kein starrer Block mit immerwährender Mitgliedschaft und Ausschluss aller Anderen. Konnte es auch gar nicht sein, denn Deutschland (jetzt mal undefiniert) lag und liegt in Mitteleuropa. Schon deshalb gab und gibt es Austausch von Handelsgütern, Arbeitskräften, technischen Errungenschaften, Ideen, kulturellen Neuerungen, usw.
Ein grundlegender, ja fataler Irrtum der Rassisten, der Nazis alter und neuer Couleur, der Nationalisten lag und liegt darin, diesen Austausch mit Misstrauen zu beäugen und stattdessen Abschottung, Abgrenzung, und Ablehnung aller Einflüsse „von außen“ zu fordern. Dahinter steht die wirklichkeitsfremde Auffassung, man könne und müsse ein reindeutsches Wesen erhalten und pflegen, denn dieses sei das beste der Welt und allem Anderen überlegen. Rassisten glauben, man müsse ein reindeutsches „Blut“ erhalten und sogar züchten…
Das ist bizarr, wenn man bedenkt, dass Mendels Grundsätze der Vererbungslehre schon lange vor den Nazis bekannt waren, dass man auch wusste, dass es biologisch gerade keinen Sinn macht, sowas wie Inzucht anzustreben, weil das eher zu Degeneration führt.
Das gilt übrigens entsprechend auch für das Kultur- und Geistesleben der Nation. Beispiel: Die „deutschen Dome“, in der Vergangenheit gern mal als besondere Leistungen deutscher Kultur bezeichnet, waren in Wirklichkeit Ergebnisse europäischen Kultur-Austausches. Die gotischen Dome z.B. wurden zuerst in Frankreich geplant und erbaut, dann wurde der gotische Baustil in anderen Ländern Europas aufgegriffen. Egal, welche Beispiele man heranzieht: Immer wieder haben kulturelle Neuerungen aus einem Land Einfluss auf andere Länder ausgeübt, und das nicht zum Schaden dieser anderen. Meist haben Regionen sich wechselseitig kulturell befruchtet und damit bereichert. Was, bitte, sollte denn da Abgrenzung und Abschottung bringen?
Übrigens, um auf den Ausgangspunkt zurückzukommen: „Deutsch“ ist ein Begriff, der historisch auf die Sprache der Menschen zurückgeht, die im Mittelalter im deutschen Sprachraum lebten — mit all seinen Varianten und Dialekten. „Deutschland“ ist also eher das Gebiet, in dem (fast) alle Einwohner deutsch sprechen. Da ist die Abstammung nicht entscheidend, sondern der vorrangige Gebrauch dieser Sprache.
Wenn ich erlebe, dass etliche Menschen „mit Migrationshintergrund“ die deutsche Sprache perfekt beherrschen und alltäglich gebrauchen, also in ihr zu Hause sind, dann frage ich mich, wozu einige Leute eigentlich unbedingt von „Biodeutschen“ reden wollen. Seltsam klingt das vor allem aus dem Munde von Leuten, die die deutsche Sprache keineswegs immer so gut beherrschen. Aber das müsste ja nicht stören, wenn diese Deutschen das Herz auf dem richtigen Fleck hätten, wenn sie einen moralischen Kompass besitzen würden, der dem Menschen als Mensch begegnet. Und wenn sie Menschen nicht sofort in Schubladen steckten, sondern erstmal schauen würden, wen sie vor sich haben. Aber wer nicht genauer hinschauen, sondern lieber die Menschen schon auf den ersten flüchtigen Blick beurteilen und sortieren will, wer sie schnell in Schubladen schiebt, der landet auch schnell bei Fremdenfeindlichkeit und Abschottung. Und genau das bringt uns eben nicht weiter, im Gegenteil, wie oben ausgeführt. Mit anderen Worten: Fremdenfeindlich sein ist unpatriotisch.
W. R.