Archiv für den Monat: November 2024

Visionen

AM Tresen ging es hoch her: Die Stammtisch-Runde stritt über die aktuelle Politik:
„Wie der Kanzler den Finanzminister rauswarf, das war unwürdig!“
„Quatsch! Das war das einzig Richtige. Ich bin kein Scholz-Fan, aber da hat er mir seit Langen mal richtig gut gefallen. Das war authentisch, wie er sich den Frust über die FDP in der Koalition von der Seele geredet hat. Hätte er vielleicht schon früher tun sollen, als die FDP einen wochenlang ausgehandelten Kompromiss kurz nach der Verkündung wieder in Frage stellte. So kann man keine Politik machen, es sei denn, man will den Bruch der Koalition provozieren.“
„Das war aber ein schlechter Zeitpunkt, wo gerade Trump die Wahl in den USA gewonnen hatte!“
„Es war höchste Zeit! Und daran sieht man doch, dass der Kanzler mit sehr viel Geduld versucht hat, die Ampel-Koalition zusammenzuhalten. Dem zum Trotz hat die FDP noch einen draufgelegt mit ihrem jüngsten Verhalten…“
„… und verliert keine Zeit, sich direkt der Union an den Hals zu werfen, auch mit der Forderung nach sofortigen Neuwahlen.“
„Eben. Dabei wusste jeder aufgeklärte Zeitgenosse, dass Neuwahlen gar nicht SOFORT stattfinden können. Das braucht eine Mindest-Vorlaufzeit, damit es überhaupt ordentlich organisiert werden kann. Das hatten die Populisten aber gar nicht auf dem Schirm.“ „Wollten sie auch nicht, weil sie dem Volk nach dem Munde reden. Außerdem wollten sie Scholz daran hindern, seine Umfragewerte zu verbessern.“
„Hör mir auf mit Umfragen! Das sieht man ja gerade wieder in den USA, wie zuverlässig die sind. Von wegen Kopf-an-Kopf-Rennen! Trump hat spektakulär gewonnen. Schlimmer konnte es kaum kommen.“

„Und die EU streitet wie eh und je, keiner will nationale Interessen zurückstellen — aus Angst vor Wahlerfolgen rechter Populisten. Wir haben keine europäische Außenpolitik, auch keine gemeinsame Verteidigung und Rüstung, und das, obwohl seit Jahren klar ist, dass ein uneiniges Europa zwischen China und den USA nix zu melden hat. Auch nicht gegenüber Putins Russland. Zum Haareraufen!“

„Und AfD und BSW sorgen dafür, dass vor allem Putin sich die Hände reiben kann…“

„Erst recht, nachdem Trump zusammen mit Elon Musk sich warm laufen für eine Regierung der Groß-Kapitalisten, Verschwörungsmythen-Fans, Rassisten, Frauenhasser, Justiz-Feinde… Da ist alles Negative versammelt. In früheren Jahrhunderten hätten viele Leute gesagt: Das ist der Beginn der Herrschaft des Antichristen. Er verführt immer mehr Menschen dazu, das Trennende und Zertörende zu befeuern und sich von Menschlichkeit, Versöhnung und Friedfertigkeit abzuwenden. Das zog schon mit Putin am Horizont herauf, aber Viele wollten die Anzeichen nicht sehen.“

„Jetzt werd mal nicht komisch mit Deinem Antichrist und so, wir leben doch nicht im Mittelalter!“

„Bist Du Dir da so sicher? Vieles sieht nach der Rückkehr alter Ideen aus, nicht nur die AfD will die Zeit weit zurückdrehen. Und nun will das auch noch der mächtigste Mann der Welt.“

„Trump, meinst Du?“

„Ich weiß nicht, ob das nicht bald Elon Musk sein wird. Der scheint davon zu träumen, König der Welt zu werden.“

„Gar nicht so weit hergeholt — wenn der alte Trump dement wird oder unzurechnungsfähig, was er vielleicht schon in Ansätzen ist, dann hört er womöglich nur noch auf seinen Kumpel Elon …“ —

Au weia, was für schlimme Visionen! Mir reichte es, ich trank mein Bier aus und verließ schnell das Lokal. Draußen war trübes November-Wetter: kein Stern, nur von den Lichtern der Stadt aufgehellter Wolkenteppich. Ein Düsenflugzeug übertönte den Verkehrslärm.

W. R.

Köln-Notizen Nov. ’24

DIE Investoren und die Manhattan-Fans lassen nicht locker: Schon in den frühen Nuller-Jahren gab es einen Anlauf von Investoren und Manhattan-begeisterten Stadtpolitikern, in Köln Wolkenkratzer hochzuziehen und damit das Stadtpanorama (in ihren Augen) zu verweltstädtischen, dabei aber die prägende Wirkung des Kölner Doms mit Hochhaussilhouetten zuzuballern. Das wurde damals verhindert, auch mit der Drohung der Unesco, den Dom von der Liste des Weltkulturerbes zu streichen. Letzteres wäre konsequent gewesen, wenn Köln selbst gezeigt hätte, dass es seine Identität und das deutschlandweit beliebteste Wahrzeichen nicht mehr wertgeschätzt hätte.
Eine Folge des damaligen Streits war, dass Köln 2007 ein Höhenkonzept für die Bebauung beschloss, um künftig aus dem Rahmen fallende Bauplanungen schon im Vorfeld begrenzen zu können.
Dennoch versuchten immer mal wieder Bauherren, Ausnahmen von dieser Begrenzung zu erwirken. Aktuell ist es ein geplantes 50 m hohes Gebäude am „Weltstadthaus“ an der Schildergasse, das die Gemüter erregt. Das Vorhaben stößt auf Protest, auch vom Pfarrer der nahen Antoniterkirche. In einem Bericht des Kölner Stadt-Anzeigers vom 7.11.24 beschwert er sich: Viele Auflagen waren bei Bauten rund um die Antoniterkirche zu beachten, nicht nur wegen des Höhenkonzeptes, auch wegen des benachbarten Weltstadthauses. Und nun dies!
Zudem: Würde diese Höhenausnahme zugelassen, gäbe es wahrscheinlich einen Dammbruch, weitere Bauherren stünden Schlange…
Im Kern geht es den Bauherren bzw. Investoren natürlich um die Rendite pro qm. Daher wollen sie auf teurem Baugrund möglichst viel umbauten Raum schaffen, also in die Höhe bauen. Das ist die finanzielle Seite.
Die andere Seite ist grundsätzlich, ob sich ein Bauvorhaben a) ins Gesamtbild der Umgebung einfügt oder störend heraussticht, und b) ob es sich mit dem Denkmalschutz verträgt und Rücksicht auf die Substanz und optische Wirkung vorhandener Denkmäler nimmt.

Ausführlich habe ich den Streit der Nuller-Jahre schon 2013 im Buch „Die Beatus-Chronik“, S. 120-123, kommentiert und eingeordnet. – – –

Anderes Thema: In den Köln-Notizen#18 vom 12.2.15 war bereits von der Sessionseröffnung des Kölner Karnevals und von Goethes „Qualitätssiegel“ die Rede. Nach den Erfahrungen der vergangenen zwei Jahre im Bereich Zülpicher Straße und auf der „Ausweichfläche“ Uni-Wiesen muss man einräumen: Der Kölner Karneval, von Goethe vor ca. 100 Jahre zum Kulturgut geadelt, könnte seinen Ruf einbüßen und wie vor einem Jahrhundert wieder zum reinen Besäufnis mit Sittenlosigkeit herabsinken, wenn weiterhin Massen von jungen Leuten nach Köln strömen, um sich dort vollaufen und gehen zu lassen. – – –

W. R.