Archiv für den Monat: April 2024

German Angst?

Eigentlich hatte ich mir vorgenommen, einen ruhigen Abend in meiner Stammkneipe zu genießen und mich auch beim Abendessen nicht stören zu lassen. Das lief auch gut an, bis die Runde der Stammgäste am Tresen sich zusammenfand. Ich hatte mir fest vorgenommen, in diesem Falle wegzuhören und mein Ohr nicht wieder der Diskussion am Tresen zu leihen. Doch bald war ich doch wieder dabei, die Debatte zu verfolgen, weil sie mich inhaltlich interessierte. Ich bekam nicht mit, wer welche Meinung vertrat, wollte ja auch gar nicht hinhören und -sehen, aber soviel hörte ich trotzdem:

„Also, dat wär ja ein Ding, mit dem Scholz mich positiv überraschen würde: Wenn die Ukrainer plötzlich mit ein paar Taurus-Marschflugkörpern den russischen Nachschub an die Front unterbrechen würden! Die aktuelle Lage im April 2024 gibt das her, es wäre ein starkes Zeichen für Umdenken des Kanzlers angesichts der veränderten Lage. Was würde passieren? Die Russen könnten ihre befürchtete Offensive auf Charkiv nicht wie geplant durchführen und müssten sie verschieben — und genau das braucht die Ukraine jetzt dringend, nämlich die Zeit, bis die endlich beschlossene Hilfe aus den USA vor Ort eintrifft. Ist ja gut, dass sich Scholz in Europa für weitere Lieferungen von Luftabwehrsystemen stark macht. Aber die Ukraine braucht zurzeit mehr. Und ich würde Scholz demnächst wieder wählen, wenn er diesen Schritt… “ —
„Nun stopp mal, das geht zu weit! Er hat Taurus nicht liefern wollen, und ein Großteil seiner Partei findet das gut, ich übrigens auch! Russland ist immerhin Atommacht, die darf man nicht leichtfertig reizen.“ —
„Moooment mal! Das ist ein sehr fragwürdiges Argument. Vor allem streut das die russische Propaganda immer wieder, weil es gerade in Deutschland Eindruck macht. Besonders in der SPD glaubt man, der eigene Markenkern in der Außenpolitik sei Willy Brandts Friedenspolitik. Kann man glauben, geschenkt! Das muss aber nicht im 21. Jahrhundert weiterhelfen. Im Kalten Krieg hatten wir eine in vieler Hinsicht andere Weltlage. Was damals gut lief, kann man nicht 1:1 auf heute übertragen. Und wir haben ja schon erfahren müssen, dass Russland heute nicht so handelt wie die Sowjetunion damals. Deswegen haben sich doch Viele getäuscht und sich von Russlands billigem Gas abhängig gemacht.“ —
„Das war doch unter Merkel von der CDU!“ —
„Ja, und wer saß mit am Kabinettstisch? Wir hatten die GroKo von CDU und SPD. Schon vergessen?“ —
„Hört auf damit, jetzt geht’s um heute und morgen! Allerdings sind in der SPD und anderswo noch nicht alle Friedenstauben aufgewacht und meinen immer noch, sie könnten verhandeln statt Kriegführung unterstützen. Dabei wollen sie nicht wirklich auf die militärischen Notwendigkeiten blicken — wohl auch, weil sie sich nur mit Friedensideen befassen, aber keinen Schimmer vom Verlauf und den möglichen Wendungen von Kriegen haben. Putin hat es ja klar gesagt: Bei der gegenwärtigen, für ihn aussichtsreichen Lage sieht er keinen Grund zu Verhandlunngen.“ —
„Eben, und daran könnten einige Taurus-Einschläge an den richtigen Stellen etwas ändern. Das heißt: Erst wenn die Lage aus Putins Sicht nicht mehr aussichtsreich ist, sondern ihm die Kontrolle auch über annektierte Gebiete entgleitet, erst dann können wir mit Verhandlungsbereitschaft rechnen. Dann nämlich hätte Putin Angst, noch mehr zu verlieren, und würde sich beeilen, das Erreichte zu sichern — bevor er womöglich weggeputscht wird. Darum geht es doch.“ —
„Das sehe ich auch so. Und ich bezweifele, dass Putins Umfeld ihm allein den Roten Knopf überlassen wird, um Atomwaffen einzusetzen. Russland würde sich politisch weitgehend isolieren, vor allem von China.“ —
„Da ist was dran. Übrigens hat der Iran schon mal US-Militäreinrichtungen im Mittleren Osten angegriffen, obwohl die USA eine starke Atommacht sind. Und, haben die USA einen Atomwaffen-Einsatz auch nur angedroht? Haben sie nicht. Bei uns tun aber Einige so, als säße Putin mit nervösem Finger am Roten Knopf im Kreml. Das kommt vor allem von Leuten wie Sarah Putinknecht.“ —
„Die schüren die German Angst, wie das im Ausland oft spöttisch heißt. Putin gefällt das. Der alte Geheimdienst-Fuchs weiß genau, wie man Leute einschüchtern und in Angst versetzen kann. Nur muss das Opfer auch mitspielen und sich einschüchtern lassen. Wirklich Angst haben müssen doch die Leute, die Putin offen kritisiert haben und im Gefängnis landen, oder ins Ausland fliehen. Sie sind nirgendwo sicher.“

Ich hatte meine Zeche bezahlt und verließ das Lokal, während am Tresen Einer eine Runde gab, und alle sich zuprosteten und weiter friedlich im Gespräch blieben. Das war das Sympathische an dieser Runde: Selbst wenn sie verschiedener Meinung waren und sich stritten, waren sie sich einig darin, hier nur Meinungen und Argumente auszutauschen und niemanden persönlich für seine Meinung anzufeinden. Und deshalb trafen sie dort immer wieder zusammen und genossen einen angeregten Abend.

W. R.


Miteinander reden

Auch politische Talkshows im Fernsehen können zur Information und Meinungsbildung beitragen. Man hört verschiedene Argumente und Ansichten zu einem Thema, man hört Informationen in Zusammenhänge gestellt, man kann sich ein differenzierteres Bild machen — inklusive der strittigen Punkte.
Doch sind es zwei Dinge, die mich nerven können:
1. PolitikerInnen in der Talkrunde tragen kontroverse Standpunkte vor, wollen aber (besonders in Wahlkampfzeiten) die VertreterInnen anderer Standpunkte nicht ausreden lassen und sie daran hindern, ihre Position schlüssig darzulegen.
2. ModeratorInnen von Talkshows fallen ihren Talk-Gästen häufig oder sogar ständig ins Wort und lassen sie kaum einen Satz beenden, geschweige denn einen Gedanken ausführen. Diese (in meinen Augen) Unart grassiert inzwischen besonders dann, wenn ein Politiker oder eine Politikerin interviewt wird und der/die ModeratorIn sich besonders kritisch zeigen will oder — mehr noch — der Person gegenüber unbedingt unbeabsichtigte Äußerungen und Enthüllungen entlocken will (indem er/sie ihm/ihr die klaren Gedanken verwirbeln und vorbereitete Statements zum Entgleisen bringen will). Das mag sinnvoll sein, um die Wiederholung schon oft gehörter Worthülsen und Parolen zu unterbinden. Aber es nervt, wenn ich als Zuhörer wissen will, wie diese Person ihre Ansicht begründet, und ich gereizt sehe, dass das ständig torpediert wird.
In beiden Fällen (1. und 2.) frage ich mich: Wozu schaue ich überhaupt diese Sendung? Das Zuhören ist anstrengend, bringt mir aber nicht den erhofften Mehrwert an Information. Folge: Ich finde es nicht schade, solch eine Sendung zu verpassen. Ich kann meine Zeit und Aufmerksamkeit sinnvoller einsetzen.

Schade, denn auch politische Talkshows können dazu beitragen, die Debattenkultur in diesem Lande als Vorbilder mitzugestalten, etwa indem sie zeigen, dass man einen Gesprächspartner und keinen bösen Feind gegenüber sitzen hat, dass man zuhört, ehe man dem Gegenüber widerspricht und die eigene Meinung sagt; indem man vorführt, dass miteinander reden als ein gemeinsames Gespräch geführt werden kann und nicht in polemisches Gezänk ausarten muss.

Übrigens schaue ich Polit-Talks nicht regelmäßig, und nicht alle. Vor einiger Zeit gewann ich den Eindruck, dass Markus Lanz (im ZDF) mit seinem oben unter 2. beschriebenen Verhalten auf andere ModeratorInnen abgefärbt hat, z. B. Maischberger (im Ersten), die fast ständig dazwischen redet und in meinen Augen damit ihrer eigenen Sendung schadet. Will ich mehr Hintergrund-Information zu politischen Themen, dann schaue ich mir lieber am Sonntagmittag den Presseclub im Ersten an.
W. R.