Archiv für den Monat: August 2023

Eiertanz

AM Tresen in meiner Stammkneipe kommt mal wieder ein Stammgast in Fahrt (den wir schon kennen):

„Schon wieder haben wir in Deutschland diesen Eiertanz, ganz unnötiig, wie ich finde. Erst waren es „schwere Waffen“, dann Kampfpanzer, nun die Marschflugkörper „Taurus“ mit größerer Reichweite.
Jupp, schnell ein Kölsch!
Wir haben immer noch im Westen etliche Friedensbewegte aus der Zeit vor vier Jahrzehnten, die weder die Zeichen der Zeit erkennen noch begreifen, dass wir in einer ganz anderen Zeit und Weltlage leben als Anfang der 1980er Jahre. „Frieden schaffen ohne Waffen“ war ein schöner Spruch, bei dem mir allerdings schon damals im Hinblick auf manche Weltregionen Zweifel kamen.
Ach ja, vergessen wir nicht: Heute haben wir ein vereinigtes Deutschland, wir haben da auch Leute im Osten, die anders aufgewachsen sind, wo die offizielle Freundschaft mit der Sowjetunion hochgehalten wurde. Wenn die heute noch eine etwas andere Haltung zu Russland haben, ist das ja kein Wunder. Aber auch bei uns im Westen hat man ja die Russen ab 1989 nicht mehr als Feinde gesehen, Gorbatschow war beliebt, wir verdankten auch ihm die friedliche Revolution ohne Eingreifen militärischer Kräfte.

Auf Gorbi! Prost! — Jupp, noch eins!

Ach, Freunde, es hätte alles schöner sein können, wenn Putin nicht an die Macht gekommen wäre und immer autoritärer und antidemokratischer regiert hätte. Und dazu wurde er immer aggressiver, erst in Tschetschenien, wo jeder Widerstand hemmungslos gekillt und ausgemerzt wurde, dann auch in verschiedenen Randbezirken im Süden der ehemaligen Sowjetunion, dann zur Unterstützung des grausigen Assad in Syrien, und dann auf der Krim und in der Ost-Ukraine.

Ja, Jupp, noch eins.

Machen wir uns nix vor, Leute, der Ukraine-Krieg begann zwar offiziell am 24. Februar 2022, aber im Osten der Ukraine war schon seit 2014 Krieg. Und da betätigten sich auch schon die Privat-Söldner von Prigoschin (alias die „Wagner-Truppe“).

Viele Leute verkünden bei uns im Westen: Die Ukraine verteidigt nicht nur ihr Land, sondern auch die Werte der Demokratie und Europas. Da verstehe ich umso weniger diesen Eiertanz um schwerere oder wirkungsvollere Waffen. Entweder wollen wir, dass die Ukraine Erfolg hat, oder… was denn? Soll Putin die Oberhand gewinnen, sollen — nebenbei erwähnt — noch mehr Flüchtlinge kommen und unsere Aufnahmekapazitäten überfordern? Soll die Ukraine langfristig ausbluten? Soll Putin weitere Länder angreifen?

Die Kritiker der Waffenlieferungen machen sich anscheinend nicht klar, welche Optionen überhaupt auf dem Tisch liegen. Und sie scheinen vor lauter Pazifismus wenig Kenntnisse über das Militärische gesammelt zu haben. Krieg verläuft nach eigenen Regeln und kann nicht einfach dadurch gestoppt werden, dass ein paar Leute von der Seitenlinie aus nach Verhandlungen und mehr diplomatischen Bemühungen rufen. Das Getreideabkommen schien ein Beweis zu sein, dass Verhandlungen möglich sind — es ist aber auch ein Beweis dafür, dass Putin sich einen Dreck um den Hunger in der Welt schert und das Abkommen Mitte Juli nicht verlängert hat, einzig um der Ukraine damit zu schaden.

Jupp, schnell noch eins, ich rede mich sonst in Rage!

Also, liebe Leute, wir müssen die Sachen liefern, die die Ukraine dringend braucht. Denn sie hat nicht unbegrenzt Soldaten und Zeit, und mit jedem Kriegstag fliegen russische Raketen und Drohnen in ukrainische Städte. Wie lange soll das noch so weiter gehen? Hört auf mit Spitzfindigkeiten wie „Die Ukraine darf nicht verlieren“, es gibt nur eine vernünftige Option, nämlich „Die Ukraine muss gewinnen“. Bringt Putin endlich militärisch in die Bredouille, dann kommt er an den Verhandlungstisch! Hough, ich habe gesprochen. Bis nächstens, Freunde!

(aus dem Gedächtnis aufgezeichnet am Abend des 12.08.2023 von W. R.)

P.S. Liebe Pazifisten, ich darf daran erinnern, dass ein Krieg nur verhindert werden kann, bevor er anfängt. Im Fall der Ukraine bringt das jetzt nichts mehr. Aber wenn man als Historiker zurückblickt, muss man sagen: Als niemand aufstand und der Ukraine zur Seite sprang, der Putin gerade die Krim stahl und einen schwelenden Krieg in der Ostukraine inszenierte — was musste Putin daraus schließen? Wie Hitler 1938 dachte er: Die westlichen Demokratien sind zögerlich und schwach, ihre Staatslenker Weicheier… Zwar verhandelte er das Minsker Abkommen, dachte aber ähnlich wie Hitler nach dem Münchner Abkommen: Bitte schön, Ihr Friedentauben und Weicheier, ich mache trotzdem weiter, was ich will…

Ihr wisst hoffentlich Bescheid darüber, wie das 1938 und danach lief. Wenn nicht, schlagt im Geschichtsbuch nach.

Wer sich genauer über die Jahre vor dem Ukraine-Krieg informieren möchte, kann z.B. diese Links anklicken: Geschichte des Russland-Ukraine-Konflikts: Stationen seit 2014 | BR24 — und/oder Acht Fragen zum Krieg in der Ukraine | Hintergrund aktuell | bpb.de

Update am 04.09.2023: Olaf Scholz stellt sich nach einem Sturz beim Joggen dem Fotografen und scherzt (?)…