IN einer Zeit der wissenschaftlichen Erkenntnisse und der Informationsflut sollte es doch kaum noch Zweifel, Unsicherheit oder verschiedene Meinungen über Fakten geben – denkt der unbefangene Beobachter.
Unsere Welt hingegen sieht anders aus. Nicht nur die Überschwemmung des Internets und seiner „social media“ mit allen denkbaren Meinungsäußerungen und Fake News beeinflussen die Gehirnwindungen unserer ZeitgenossInnen. Hinzu kommt noch die Gewissheit vieler Menschen, dass das einmal als Fakt gesetzte nicht in Frage gestellt werden könne.
In dieser scheinbaren Gewissheit bestritten viele Historiker, dass es bei den Wikingern weibliche Krieger gegeben haben könnte. Erst vor kurzem ergaben DNA-Tests aber unwiderlegbar: Die in einigen Kriegergräbern ehrenhaft bestatteten Kämpfer waren weiblichen Geschlechts.
In dieser scheinbaren Gewissheit entschied z.B. ein Kapitän: Die Leuchtraketen, die die Titanic in der Ferne in die Nacht schoss, müssten das Feuerwerk eines Bordfestes sein, denn gerade dieses „unsinkbare“ Wunderwerk der Technik könne doch gar nicht in Seenot geraten. Und so eilte er nicht zur Hilfe, sondern dampfte weiter auf seinem Kurs.
In dieser scheinbaren Gewissheit wollte der Großteil der Fachwelt der Ärztin nicht glauben, die Ende Januar 2020 in Bayern zu der Erkenntnis kam: An Covid 19 erkrankte PatientInnen können ganz symptomfrei viele Menschen anstecken, bevor auffällt, dass sie nicht gesund sind: https://www.tagesschau.de/inland/gesellschaft/rothe-coronavirus-101.html
Welche Schlüsse sollen wir nun aus diesen und anderen Beispielen ziehen? Erst einmal wollen Menschen an Gewissheiten festhalten, weil diese in ihrem Weltbild Ankerpunkte sind. Daran ist nichts Schlechtes. Es kann aber von Nachteil sein, wenn sie neue Erkenntnisse, die alte in Frage stellen, von vorneherein ablehnen, ohne sie zu prüfen.
Dasselbe gilt natürlich auch für die Flut von Fake News in den diversen Kanälen und Foren im Internet. Wer da alles Fantastische glaubt, weil ihm die seriösen Nachrichten madig gemacht wurden, dem ist leider kaum zu helfen.
Mir tun diese Irrgläubigen echt leid, denn sie haben das Vertrauen in die ernstzunehmenden Nachrichtenmedien verloren, sie lassen sich von Schlagworten wie „Lügenpresse“ oder (vornehmer) „Mainstream-Medien“ beeindrucken – und folgen lieber dubiosen Quellen, sozusagen vom Regen in die Traufe. Während früher hierzulande z.B. ein gewisses Boulevard-Blatt einen schlechten Ruf in puncto journalistischer Sorgfalt hatte, geistern heute im Internet zahlreiche „Nachrichten-Quellen“ herum, die dieses Blatt in puncto Falschmeldungen oder Tatsachenverdrehungen weit überholen.
Diese Sumpfblüten des schrankenlosen Online-Postens gedeihen einzig auf dem Boden des ungeprüften Veröffentlichens ohne Verantwortung. Das ist kein Informieren mehr, das ist zum größeren Teil nur ständiger Kampf um Aufmerksamkeit durch Klick-Zahlen. Das Auffälligste, Skandalöseste, Schlimmste generiert die meisten Klicks und verbreitet sich am weitesten. Das wissen wir ja inzwischen. Das Geschäftsmodell der social media setzt darauf, mit diesem Prinzip die größten Einnahmen zu erzielen. Es geht dabei eben nicht um glaubhafte Nachrichten oder gar um Wahrheit. Das müssten wir alle(?) aber inzwischen wissen.
Darum scheint einstweilen in dieser Welt zu gelten:
Du lebst in einer Welt von Fakten, Nachrichten, Behauptungen und Fake News, die du glaubst. Deine Welt besteht aus dem, was du glaubst – und nicht aus dem, was ist.
Diesen Unterschied muss man sich klarmachen: Meine Wahrnehmung von dem, was ich sehe, höre, und meine Deutung dieser Wahrnehmung, das ist nicht identisch mit objektiver Wahrnehmung, somit ist mein Bild der Welt nicht identisch mit der real existierenden Welt.
Darum brauchen wir, um uns einigermaßen verzerrungsfrei zu informieren, die Profis der Medien, also Journalisten, die darin geschult sind, nicht jeden Mist und jedes Gerücht für wahr zu halten, sondern zu prüfen, wer da etwas behauptet oder meldet, und was wirklich dran ist an der Meldung. Die Profis, die länger im Geschäft sind, lassen sich dabei nicht von ihren persönlichen Gefühlen oder Sympathien leiten, sondern von sachlichen Kriterien. Das macht einen wichtigen Unterschied zu alldem Gedöns, das Leute in den „social media“ posten.
Von daher verstehe ich die Leute nicht, die sagen: Ich lese keine Zeitung, ich informiere mich nicht aus den Nachrichten im Radio und Fernsehen, ich habe etwas Schnelleres, Günstigeres und Besseres: Ich informiere mich „im Internet“. Wenn man nachfragt, wo im Internet, dann kriegt man von Manchen zu hören: Jaa, z.B. bei RT (RussiaToday) und bei so YouTube-Kanälen…
Diese Leute wissen oft gar nicht, wem sie da in Wahrheit zuhören, glauben, folgen. Ganz abstrus wird es für meine Ohren, wenn jemand behauptet (bzw. nachplappert), die gängigen Medien seien alle gekauft oder würden ihre Weisungen direkt aus dem Kanzleramt erhalten – dann aber blauäugig bei RT die Wahrheit erwartet, einem von der russischen Regierung finanzierten Sender, der auch ein deutsches Programm sendet.
Es ist leider so: Viele Leute hierzulande haben nicht gelernt, Nachrichten, Texte, Äußerungen kritisch zu hören und zu lesen. Und es fehlt oft auch an politischer Bildung, um Nachrichten einzuordnen und zu verstehen. (Mehr dazu siehe Blog-Beitrag „Ein wenig mehr Bildung“ vom 13.11.2020)
W. R.