Archiv des Autors: Wolfgang Reinert

Des sog I dir…!

Der Urbayer spricht...

Sepp, der Urbayer, spricht…

Des sog I dir: Unser beliebtes bayrisches Rumpelstilzchen schafft es tatsächlich wieder in die Negativschlagzeilen! Er und seine CSU wettern gegen Merkels Flüchtlingspolitik. Damit nicht genug, setzt er dem übervollen Fass noch die Krone auf: Er will Viktor Orban aus Ungarn zu einer Klausurtagung seiner Landtagsfraktion einladen. Wäre es nicht Horst Seehofer, man würde es kaum glauben. Aber es scheint ihm wirklich ernst zu sein: Die Medienberichte über 1ebhunderte bayrische BürgerInnen, die in München Hbf. einlaufende Züge mit Flüchtlingen begrüßen und sie sogar mit Beifall empfangen – das geht ihm entschieden zu weit, das sendet ja ein falsches Signal in die Welt! „Willkommenskultur“ kann er gar nicht hören! Neiiiin, halt, halt, die anständigen Bayern sind doch gegen Flüchtlinge, und sie sind in der Mehrheit!! So wie in Ungarn, wo sein Bruder im Geiste regiert. Der erklärt im Fernsehen, dass „illegaler Grenzübertritt ein Verbrechen“ sei (und … sollt Ihr im Kopf ergänzen: … schon deshalb alle Flüchtlinge Kriminelle seien). Viktor kennt sich eben aus mit Rechtspopulismus, und Horst will ihn einladen, um von ihm noch was zu lernen.

Was uns nur noch fehlt: Seehofer lädt die berüchtigte Kamerafrau, die Flüchtlingskinder tritt,  (>Kommentar zur ungarischen Kamerafrau: Bild für die Folgen ungarischer Hetzpolitik | Politik – Kölner Stadt-Anzeiger) nach München ein und spendiert ihr eine Sause auf dem Oktoberfest – inklusive Selfie mit dem bayrischen Ministerpräsidenten, das per Facebook verbreitet wird, um das „wahre, bodenständige“ Bayern zu zeigen, das solidarisch mit den besonders „bodenständigen“ Ungarn ist.

Wenn das so weitergeht, wird man bald fordern, dass Ungarn und Bayern aus der EU ausgeschlossen werden — zumindest auf Zeit, bis sie zur Besinnung kommen bzw. ihre Regierungen aufhören, Fremdenfeindlichkeit und Rassismus zu befeuern. Als Urbayer muss ich sagen: Mir ist unser schönes Bayern zu schade, um es so in Verruf bringen zu lassen, wie es derzeit Rumpelstilzchen mit seiner Rumpeltruppe versucht. Des sog I dir!

Vroni, noch eine Maß, bitt schön! Ich muss mir die Politik schön saufen.

Ja Moment amoal, fast hätt ich vergessen zu erwähnen: Nicht nur Bayern und Ungarn sind es, viele europäische Länder tragen zur Blamage Europas vor der Welt bei, weil sie zuwenig oder gar keine Flüchtlinge aufnehmen wollen. Aber das ist auch noch nicht alles: Man hört, dass die UN von den Geberländern zuwenig Geld bekommen, um die Flüchtlingslager um Syrien mit genug Nahrung zu versorgen. Das treibt die Menschen erst recht zur Verzweiflung und auf den Weg nach Europa. Ja was denn sonst?

I moan, es ist ein Unding, wie Regierungen reihenweise das Problem vor sich herschieben – und es damit noch schlimmer machen. Wer, wenn nicht unsere Regierungen, hat denn Botschaften im Ausland und Geheimdienste etc., die ihnen frühzeitig mitteilen können, was da als „Flüchtlingswelle“ anrollt? Sapperment, seit wann haben wir denn ertrinkende Flüchtlinge auf überladenen Nussschalen im Mittelmeer? Doch nicht erst seit einer Woche oder einem Monat! Host mi? Des sog I dir: Das kollektive Versagen in Europa hat daraus erst eine „Flüchtlingskrise“ gemacht.

Und wo wir schon mal beim Abwatschen sind: Auch die steinreichen Öl-Scheichs mischen mit, die schieben den Terrorbanden Geld zu, damit sie Syrien ins Chaos stürzen. Mei, und da gibt’s trotzdem jede Menge Touristen, die an den Golf fliegen, die gelackten Riesen-Hochhäuser anhimmeln und staunen, was man mit viel Geld alles machen kann. I sog dir was: Das würde mir im Traum nicht einfallen!

Vielleicht fahre ich doch noch nach München und begrüße Flüchtlinge am Bahnhof. So als „Statement“, wie das heutzutage heißt. Im Klartext: Mir san mir, aber Unmenschen, des san mir net! Prosit!

Sepp

13g+

Verspielt die EU die Europäische Idee?

Eu2Alle reden vom „Grexit“. Schon das Wort klingt schrecklich, und die Lage ist – mit oder ohne Grexit – für die meisten Griechen ja auch schrecklich. In unseren Medien werden sie bedauert, und meist wird auf ihre derzeitige Regierung geschimpft: Die wollen nicht nach unseren Regeln spielen! Entsprechend ist das Echo in Umfragen unter Deutschen: Eine Mehrheit will den Griechen nicht weiter entgegenkommen. Als ob wir Bürger in Deutschland überhaupt gefragt würden! In Umfragen zu politischen Fragen hört man ja sowieso meist das Echo der Medien, oder woher sollten die Leute andere Informationen haben, die sie zu einer anderen Meinung tendieren ließen? Und erklärt mir mal, ob es überhaupt um „unser Geld“ geht, oder was sonst dahintersteckt. Da blickt doch keiner wirklich durch. Ebenso dürfte es den Griechen gehen, die am 5. Juli mit Ja oder Nein abstimmen sollen, aber die Fragestellung auf dem Stimmzettel in ihrer Bedeutung und möglichen Tragweite kaum verstehen. Wie auch? Selbst die Experten wissen (angeblich oder tatsächlich) nicht, wie es nach dem Referendum weiter geht, oder sie haben keine einhellige Meinung.

Die ganze Dauerbeschallung mit Griechenland und Grexit-Gefahr in den Medien nervt. Man kann darüber fast vergessen, dass Europa noch andere Baustellen hat und wahrlich weitere, drängende Probleme. Europa als „Wertegemeinschaft“ steht auch nicht gut da vor der übrigen Welt. Die EU macht den Eindruck, dass ihre höchsten Werte materieller Natur seien, und moralische Werte würden mal hochgehängt, mal verdrängt – je nach Opportunität. Und meist je nach nationalem Egoismus – als ob man für ein geeintes Europa sein und zugleich Nationalegoismus praktizieren könnte (der meist auch noch innenpolitischer Taktik entspringt, um in nationalen Wahlen die Stimmen der geistig ein Jahrhundert Zurückgebliebenen zu fangen).

Übrigens: Wer auf die derzeitige griechische Regierung schimpft, der sollte mal kurz auf ein anderes südliches Land schauen, das auch eine weiß-blaue Flagge hisst. Da hat sich vielleicht sogar der griechische Ministerpräsident Tsipras Anregungen geholt: beim bayrischen Ministerpräsidenten Seehofer. Der kann ungestraft das politische Rumpelstilzchen spielen und mit bayrischem Egoismus Wählerstimmen fangen, und niemand fordert oder befürchtet bisher den „Baxit“, den Austritt Bayerns aus der Bundesrepublik, aus der EU (auf die gerade in Bayerns CSU gern geschimpft wird), oder aus dem Euro.

Viele Leute fordern, Europa müsse demokratischer werden, d.h. die Bürger sollten mehr Mitsprache erhalten. Was daraus werden kann, haben wir vor Jahren erlebt, als in ein paar Ländern über den Entwurf einer europäischen Verfassung abgestimmt wurde. Auch in Deutschland scheuten sich Politiker nicht, in einer Europawahl(!) auf Wahlplakate zu drucken, die Wähler sollten mit ihrer Stimme der Regierung in Berlin einen „Denkzettel“ geben. Es handelte sich um eine Partei, die als demokratisch galt, und die ihre Abgeordneten sowohl im Bundestag als auch im Europaparlament sitzen hatte. Innenpolitik war ihnen wichtiger, als den Wählern den Sinn dieser Wahl klar zu machen und ein Ziel für Europa zu formulieren. Der fatale Eindruck auf die Wähler: Europa ist uns (der FDP) scheißegal, das übliche parteipolitische Hickhack wichtiger.

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Die europäische Idee – was war das noch?

Viele, die sich ähnlich verhielten, haben in mehreren europäischen Ländern dafür gesorgt, dass nationale Interessen in den Vordergrund rückten und die EU zunehmend als Bürokratie-Monster mit Regelungswut gesehen wurde. (Es wurden aber gern EU-Gelder gefordert und sehr gern angenommen.) Darunter litt auch die europäische Idee. Diese wünscht, auf den Punkt gebracht, vor allem friedliche Einigung statt Konflikte zwischen den Nationen. Immerhin hat Europa nach dem Zweiten Weltkrieg zum ersten Mal in seiner Geschichte mehrere Jahrzehnte ohne Krieg erlebt — bis zum Zerfall Jugoslawiens in den 1990er Jahren.

Europa kann nur reformiert und geeint werden, wenn es gelingt, die nationalen Egoismen einzudämmen und die gemeinsamen Interessen wieder in den Blick zu nehmen. Dazu braucht es aber auch starke Politiker-Persönlichkeiten mit humanen Visionen und der Fähigkeit, die Menschen mitzunehmen, besser noch: sie dafür zu begeistern. Umgekehrt braucht es auch politische Strömungen „von unten“, die von ihren Politikern Engagement für ein friedliches „gemeinsames Haus“ aller Europäer fordern. Fatal für alle Betroffenen (vor allem in dieser globalisierten Welt) wäre es, die Hoffnung auf eine friedliche Europa-Föderation zu begraben und nur noch nationalegoistisch weiterzuwursteln.

Derzeit blamiert sich die EU vor der Welt mit der Unfähigkeit der nationalen Regierungen, sich auf einen Verteilerschlüssel für die Flüchtlinge zu einigen. Das ist symptomatisch für das Verhalten auch in anderen Fragen. Die EU verspielt damit viel Prestige, und schlimmer noch, moralische Glaubwürdigkeit.

W. R.

Nachtrag am 6.7.2015: Die Griechen haben im Referendum gestern mit 61,3% Nein zum unsozialen Härtesparen (alias Austeritätspolitik) gesagt und damit nur konsequent bestätigt, warum sie die Regierung Tsipras von einem halben Jahr ins Amt gewählt hatten.

Nun haben die demokratischen Politiker Europas auf der anderen Seite des Verhandlungstisches in Brüssel ein Problem: Dieses deutliche demokratische Votum der Griechen kann man nicht ignorieren. Wenn man jetzt stur auf den alten Bedingungen beharrt, muss man sich vorhalten lassen, dass man den Willen des griechischen Volkes geringschätzt. Ein Schuft, wer böse dabei denkt, die Regierungschefs wollten das griechische Volk für sein Wahlverhalten bestrafen (nachdem es nicht gelungen ist, ihm seine Links-Regierung madig zu machen) und es nun am knausernden Geldautomaten zappeln lassen (koste es die Ärmeren, was es wolle).

Nein, man hat ja schon verlautet, man werde auch nach einem Staatsbankrott Griechenlands (ja sogar nach einem Grexit) seiner notleidenden Bevölkerung helfen müssen. Für die Griechen wird das, wenn man es so sehen will, eine weitere Demütigung,: Erst werden sie pauschal als faul und korrupt beschimpft, dann arm gespart, und dann an einen europäischen Almosen-Tropf gehängt. Oder wie soll das aussehen?

Man darf gespannt sein, wie die Regierenden Europas diesen Schlamassel bereinigen – an dem nicht allein die Griechen schuld sind. Das Griechenland-Problem den Finanz-Experten zu überlassen hat nicht aus dem Dilemma herausgeführt, wie man sieht. Aber ohne deren Rat Geldpolitik zu machen geht auch nicht, das zeigt zumindest die Vergangenheit: Wie sonst konnte die Einführung des Euro mit den deutlich sichtbar gewordenen Mängeln stattfinden?

Der einfache Bürger darf nur zuschauen und hoffen, dass er nicht am Ende noch eine hohe Zeche zahlen muss (wie jetzt schon die große Mehrheit der Griechen).

Hinweis: Auf >Clio / 5. „Krise, Fortschritt, Vision“ geht W. R. ausführlich und in historischer Perspektive auf die Europa-Thematik und Nationalismus ein.

Nachtrag am 28.07.2015: Wer immer noch glaubt, die Krise sei nur eine Griechenlands, und der Euro sei okay, und man könne so weitermachen wie bisher, der möge sich darauf hinweisen lassen, welche Sprengkraft die aktuelle Krise für die EU entfalten könnte: Kommentar zur Griechenland-Krise: Eine europäische Regierung ist Europas einzige Chance – Sonntag – Welt – Tagesspiegel

Wohlfühlen ohne Diät?

270Welt-Anti-Diät-Tag 6. Mai! Was fällt Einem dazu ein? Erstmal den letzten Schoko-Hasen verputzen, der von Ostern noch übrig ist. Mampf, schleck! Und dann? Mal sehen, vielleicht zum Abendbrot noch ein paar zusätzliche Kalorien aus dem Weinglas über den Gaumen rinnen lassen.
Nun gibt es auch Weltgegenden, wo diese Frage sinnlos ist: Da ist man froh, wenn man Tage erlebt, an denen man überhaupt genug Nahrung aufnehmen kann, um die Mindest-Kalorienzahl zu erreichen. Da hätte man gern mal das Luxusproblem, sich beim Essen einschränken zu müssen.
Aber wozu ein Anti-Diät-Tag? Der soll wohl ein Statement gegen das zwanghafte Sichschlankhungern sein, ein Zeichen gegen den Wahn vieler Leute, ihre körperliche Erscheinung durch Diät und künstliches Hungern optimieren zu müssen.
Da schießt im Eifer aber auch manch Einer über’s Ziel hinaus: Einige Leute wettern in den Medien z.B. gegen Heidi Klums Fernsehshow „Germany’s Next Top Model“, weil ihre Models einem Figur-Terror unterworfen würden und den jugendlichen Zuschauerinnen suggerieren würden, sie müssten alle so aussehen wie diese Models.
Nachdem ich ein paar Sequenzen dieser Show gesehen habe, kann ich diese wütende Kritik kaum nachvollziehen. Hier geht es doch eindeutig um eine Einführung in den Model-Business, und Heidi Klum wie ihre Mit-Juroren betonen oft genug, dass sie die „Mädels“ auf den harten Model-Alltag vorbereiten wollen. Wenn eine Zuschauerin also nicht ganz gezielt auf eine Model-Karriere hinarbeitet, braucht sie diese Models auch nicht als zwingende Figur-Vorbilder zu sehen.
Eine Kritik am Schlankheitswahn im Allgemeinen ist ja durchaus berechtigt – aber für diesen ist Heidi Klum nicht verantwortlich. Man muss vielmehr breiter ansetzen und junge Mädchen darauf hinweisen, dass sie ihr Selbstwertgefühl nicht in erster Linie, zumindest nicht nur an ihrer Figur festmachen sollten. Dabei nicht zu vergessen: Auch die jungen Männer sollten von ihren blöden Bemerkungen über weibliche Figuren Abstand nehmen und sich weltmännisch zeigen! Männer mit Hirn und Erfahrung wissen es nämlich besser: Um eine „Granate“ im Bett zu sein, muss eine Frau nicht eine „Topmodel“-Figur haben, sondern eher andere Qualitäten. Welche? Ja, das wüsstet Ihr gern, Ihr grünen Jungs! Wenn Ihr Euch mal richtig informiert, statt irgendwelchen Porno-Seiten im Internet zu glauben, dann seid Ihr bald schlauer. Für den Anfang, z.B. hier >Sex: Frauen sind im Bett selbstbewusster als früher – SPIEGEL ONLINE
Und überhaupt: Lernt genauer hingucken, hinhören, und nachdenken, dann seht Ihr bald besser hinter die Kulissen von Werbung und Glitzer-Shows. Lasst Euch keinen Bären aufbinden, fragt Euch lieber: Wer hat welches Interesse daran, mir diese Bilder zu zeigen — und welches Frauenbild wird da eigentlich vermittelt? Was hat das mit der Wirklichkeit im Allgemeinen und mit meiner persönlichen Lebenswelt im Besonderen zu tun? (Das gilt nicht nur für dieses Thema!)119

Zum Thema Essen und Diäten nur noch dies: Informiert Euch über eine sinnvolle Ernährung, über gesunde Essensgewohnkeiten, lernt überflüssige und überzuckerte Kalorienbomben zu meiden, etc. Vielleicht kommt Ihr dann ganz ohne sogenannte Diät von selbst auf Euer Wohlfühlgewicht… und hört auf, Euch verrückt machen zu lassen und von einer Diät-Mode zur nächsten zu hecheln.

Also, nehmt Platz an einer appetitlichen Kaffeetafel und genießt jeden Bissen!

Und, Mädels, wenn Ihr Euer Erscheinungsbild verbessern wollt: Setzt nicht nur beim Thema „Figur“ an. Guckt mal ab und zu im Fernsehen „Shopping Queen“ und hört mal genau hin, wenn Guido Maria Kretschmer seine Bemerkungen macht. Da ist so mancher Tipp dabei, wie frau auch so, wie sie ist, ihr Erscheinungsbild optimieren kann, etwa indem sie Kleidungssünden vermeidet und sich in Farbe, Farbzusammenstellung und Proportion vorteilhafter präsentiert.

Das soll aber nicht heißen: Statt Diät halten nun shoppen gehen, bis der Arzt kommt (oder bis der Überziehungskredit ausgereizt ist). Und auch nicht: viel, aber nur billig kaufen — da kommen wir schon in das nächste Problemfeld, denn wir wissen ja, dass irgendwo auf dem Globus unterbezahlte Näherinnen unter miesen Bedingungen dafür schuften…

W. R.

13g+

Das Rheinland zu Preußen!

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Wappen der preußischen Rheinprovinz am Rathaus in Frechen

So wurde es in Wien am Konferenz- und Kartentisch ausgehandelt: Über die Köpfe der Bevölkerung hinweg, und entgegen den Ansprüchen vormaliger Territorialherren: Am 05. April 1815 übernahm Preußen das Rheinland, das zuvor unter Napoleon (linksrheinisch) zu Frankreich gehört hatte. Das ist genau 200 Jahre her – und darum, wie üblich, als runde Zahl Anlass zu Rückblicken in den Medien.
Warum soll einen das interessieren? Weil an Geschichte immer Fragen aus der Gegenwart gestellt werden. So wollen wir schon wissen, welche Folgen die Einrichtung der preußischen Rheinprovinz für das Rheinland hatte und noch hat. Und da kommt eine ganze Menge Stoff zusammen. mehr >Presseschau | Danke Berlin 2015
Wir haben hier schon mehrfach die Geschichte der linksrheinischen Gebiete und der Stadt Köln thematisiert, mit Schwerpunkt Mittelalter. Da ging es auch um die engen Grenzen des Kölner Territoriums ( >Mittelalter-Magazin: Kölns Raumproblem). Mit der Übernahme durch Preußen blieben die Möglichkeiten Kölns zur IMG_3897Ausdehnung bzw. Stadterweiterung zunächst weiterhin begrenzt: Köln wurde Festungsstadt mit Blick nach Westen (Frankreich!). Die mittelalterliche Stadtmauer (4. in der nebenstehenden Skizze) hatte kaum noch militärischen Wert und wurde nach 1880 weitgehend abgetragen. Um die „Neustadt“ vor den Ringen war bereits ein Gürtel aus kleinen Forts (5. in der Skizze) entstanden; nach dem Deutsch-Französischen Krieg (1870/71) zog man den Halbkreis weiter und legte den Militärring (6.) mit einem weitgespannten Gürtel von moderneren Forts an. Letztere wurden nach dem Ersten Weltkrieg weitgehend geschleift. Einige wenige sind noch erhalten und z.T. zu besichtigen. Das sind militärische Überreste26 aus der Preußenzeit (rechts im Bild: Fort Deckstein, Teil des Südflügels, Rückfront stadtseitig).
Zivilere Hinterlassenschaften aus dieser Zeit sind z.B. der Hauptbahnhof, die Hohenzollernbrücke und die Südbrücke, oder besser: Kölns Ausbau zum Eisenbahnknotenpunkt im Westen.
Und wie lange blieben Köln und das Rheinland preußisch? Bekanntlich übernahmen die alliierten Siegermächte am Ende des Zweiten Weltkriegs die Regierungsgewalt in Deutschland und setzten vorrangig die Zerschlagung Preußens ins Werk, weil ihnen Preußen als Inbegriff des Militarismus und des Strebens nach Vorherrschaft in Mitteleuropa galt. Beides wollten sie für Deutschland in Zukunft ausschließen. Doch bald nach 1945 gingen bekanntlich die Zielvorstellungen der Alliierten immer weiter auseinander, sodass einige Jahre später eine Remilitarisierung im geteilten Deutschland eingeleitet wurde (Bundeswehr, Nationale Volksarmee).
Die Bundeswehr wollte nicht allzu „preußisch“ sein und stellte das Ideal des „Bürgers in Uniform“ auf, d.h. die Bw sollte die Armee eines demokratischen Staates ohne den früher gewünschten „Kadavergehorsam“ sein. Die NVA orientierte sich ideologisch anders, hatte aber kein Problem damit, z.B. den preußischen Stechschritt bei Paraden zu exerzieren. Naja, zurück zum Rheinland: Hier blieb uns in den 1950er und 1960er Jahren noch an einigen Tankstellen die Marke „Rheinpreußen“ als historische Erinnerung erhalten. Ansonsten schauen in Köln und am Deutschen Eck in Koblenz (ehemals Provinzhauptstadt von Rheinpreußen) noch Preußenkönige vom hohen Ross ihrer Reiterdenkmäler auf uns herab.
Was können uns diese Denkmäler heute zu denken geben? Vielleicht „Sic transit gloria mundi“ (So vergeht der Ruhm der Welt) – und dass man am Ende, selbst auf hohem Ross, noch von Tauben bekleckert wird, die wie die Nachfahren der ehemaligen Untertanen den früher gewohnten Respekt vermissen lassen.

13g+

Köln-Notizen #18

51g-Goethe f. kölschen KarnevalPotzblitz! Goethe im Kölner Karneval!? Der SR der F.U.F. traute seinen Augen nicht, doch da schien er leibhaftig auf der Bühne zu stehen: In der TV-Liveübertragung vom Alter Markt in Köln, wo der Straßenkarneval traditionell auf Wieverfastelovend (Weiberfastnacht) eröffnet wird, spielten die Höhner, und der zweite Sänger neben dem Frontmann der Band war – oder sah aus wie – der Dichterfürst J.W.v.Goethe, in einem hellblauen Ausgehrock und mit Goethefrisur. Toll!
Und als ich die Tageszeitung aufschlage, fällt mir ein großer Artikel auf, der sich mit Goethes Beziehung zum Kölner Karneval beschäftigt. (Kölner Stadt-Anzeiger, 12.02.2015, Kultur/S. 23: „Dä Joethe – wie kütt mer an dä ran?“ von Wolfgang Oelsner)
Daraus ist zu entnehmen, dass Goethe seinerzeit den Organisatoren zuliebe, die sich bemühten, das Image von Saufgelagen durch einen Karneval mit Niveau zu ersetzen, lobende Worte über den „Cölner Mummenschanz“ fand – welcher damit dank der Expertise des „Kulturpapstes“ 1825 zum anerkannten Kulturgut avancierte. Ein mehr als gelungener PR-Coup! Und einer mit weitreichenden Folgen… Der rheinische Karneval kam nun erst richtig in Schwung, und aktuell schwingt er sich (auch Goethe sei Dank!) auf die Antragsliste zum immateriellen Weltkulturerbe, will sagen: Liste der Traditionen, die als würdig geschätzt werden, zum Erbe der Menschheit zu zählen.

SR 13g+

Köln-Notizen #17

51+r+blDas hat dem Image Kölns gut getan: Stell dir vor, die Pegida will vor erleuchteter Altstadt-Kulisse „das Volk“ aufbieten, und nur wenige gehen hin, dafür kommen zehnmal soviel Gegendemonstranten, und die Dombestrahlung wird abgeschaltet, und „Kögida“ verkrümelt sich ins Dunkel der Stadtgeschichte. So geschehen am Montag, 5.1.2015.

Endlich hat Köln mal wieder gut dagestanden als weltoffene Stadt, in der sich zumindest die meisten Menschen nicht ins Bockshorn jagen und vor den falschen Karren spannen lassen. Dumpfes Bauchgefühl allein ersetzt eben keinen politischen Verstand! Und die Welt wird nicht davon überschaubarer, dass man sich die Dinge einfach backt und sie in Gut und Böse einteilt.

Tut mir leid, Leute, die heutige Welt ist nun mal komplizierter, als man es in zwei kurzen Sätzen beschreiben kann. Und wenn man meint, mit der Deutschlandfahne in der Hand „Stille Nacht“ singen und behaupten, man sei das Volk, und alles, was nicht ins Weltbild passt, sei gelogen… Also nee, da fällt es einem schwer, das politisch ernst zu nehmen. Zu schade, dabei gäbe es schon Gründe, auf die Straße zu gehen. Man müsste sich aber vorher informieren, was Sache ist, wo man am besten ansetzt, und welche Forderungen Sinn machen.

Leider vermittelt diese „Pegida-Bewegung“ schon im Ansatz den Eindruck, dass es gar nicht um konkrete politische Forderungen geht, sondern eher um einen Auftrieb der Orientierungslosen. Da wird Stimmungsmache schon für Politik gehalten, dagegen sein ist alles – und dafür, ja wofür stehen diese Leute eigentlich? Wofür? Jetzt kommt mir nicht mit „Patrioten“ und dergleichen. Nationalistischer Dummschwätz, der im Ungefähren bleibt, ist eher verdächtig: Wer an Nationalismus appelliert, führt meist nichts Gutes im Schilde. Das müsste man wissen, wenn man ein bisschen Ahnung von Geschichte hat.

W. R.13g+

 

Köln-Notizen #16

50+sWas unbedingt einmal gesagt werden muss:

In Köln, am Alter Markt, steht ein Haus, das sich durch eine einzigartige Besonderheit auszeichnet: Oben an der Dachkante schwebt eine Figur, gestaltet von einem Künstler, die gutbürgerlich erzogenen Köln-Besuchern als unflätig oder gar obszön erscheinen könnte.

Wer die Kölner Altstadt gut kennt, weiß, was gemeint ist: Die Figur wird „Kallendresser“ genannt, und wie das abgebildete Foto zeigt, schwebt sie dort oben in hockender Stellung, mit ganz entblößtem Hintern. Der Name sagt, dass 19 Kall.dies jemand ist, der in die Dachkalle (=Dachrinne) sch… (sich stuhlgangmäßig erleichtert).

Von Stadtführern in Person wie in Form von handlichen Büchern werden verschiedene Geschichten über die Bedeutung dieser Figur erzählt – VERGESST diese blassen Fabeln! Alles Unfug und Verschleierung!

Zur Aufklärung der Bevölkerung und Förderung ihrer politischen Bildung (schließlich läuft das hier unter „Freie Universität Frechen“!) sei’s der Stadt und dem Erdkreis kundgetan: Der Kallendresser sendet in Wahrheit die bildliche Botschaft „Passt auf, Leute, von oben werdet Ihr meist beschissen!“

Das ist so klar und eindeutig, dass man sich fragen muss, wer all die Vernebelungsgeschichten warum erfunden hat. Aber das Denken wollen wir unseren BesucherInnen nicht abnehmen, wir tun schon viel dafür, sie zum genauen Hinsehen zu animieren und anzuleiten.

Dabei fällt mir noch ein Witz ein, den ich neulich gehört habe:

Ein hochgestellter Wirtschaftsmanager, ein Bildzeitungsleser und ein Asylbewerber sitzen an einem Tisch. Auf dem Tisch liegen 10 Kekse. Der Mann der Wirtschaft nimmt 9 Kekse weg. Dann sagt er zum Bildzeitungsleser: „Pass auf, der Asylant will dir den Keks wegnehmen!“

13g+

Frieden schaffen ohne Waffen?

1bM 1. September, dem Anti-Kriegstag und inzwischen Welt-Friedenstag, lese ich in der Zeitung, dass die Bundesregierung sich zu Waffenlieferungen an die Kurden im Nord-Irak entschlossen hat. Man hörte dieser Tage , dass laut Umfragen zwei Drittel der Deutschen gegen solche Waffenlieferungen seien.
Die Gegner verlauten: humanitäre Hilfe ja, Waffen nein. Und manche verweisen darauf: Waffen könnten „in falsche Hände geraten“, und außerdem gäbe es im Irak eh schon viel zuviele Waffen.
Wenn ich auf die Nachrichten aus dem Irak schaue und die berichtete militärische Lage, dann frage ich mich aber auch:
1. Kann nicht auch humanitäre Hilfe in falsche Hände geraten? Was ist, wenn IS-Banden die Flüchtlingstrecks und -lager überrennen und ihnen, denen sie 62-Vom Panzer überrollt, 1968eh den Tod wünschen, die gespendeten Lebensmittel und Medikamente wegnehmen?
2. Eigentlich kann es niemandem verborgen bleiben, dass die Flüchtlinge und die anderen vom Vormarsch der IS-Milizen bedrohten Menschen militärischen Schutz brauchen. Wer außer den kurdischen Peschmerga-Kämpfern kann Bodentruppen aufbieten, die sich dem IS entgegenstellen?
3. Wie kann also wirksame Hilfe aussehen? Die Peschmerga sind den IS-Leuten an moderner Ausrüstung unterlegen. Eine gute Kampfmoral hilft zwar, leidet aber unter Misserfolgen aufgrund fehlender Waffen.
4. Eine nur-humanitäre Hilfe kann unter diesen Umständen zur Symbolpolitik werden, die nur unser Gewissen beruhigt, praktisch aber den Notleidenden nicht hilft (ähnlich wie z.B. manch fehlgeleitete Entwicklungshilfe).
5. Was hilft überhaupt gegen Gewaltverbrecher, die in großen Scharen mit äußerster Brutalitat vorgehen, die große Mengen an Waffen und Geld und dazu noch den Schrecken vor ihrer Grausamkeit als Mittel einsetzen?

Mir scheint, es nützt uns nichts, mit hehren Prinzipien der Gewaltlosigkeit ins Himmelreich einziehen zu wollen, wenn wir das in dieser realen Welt mit einem Laissez-faire gegenüber den Gewalttätigen erkaufen. Es könnte sein, dass wir uns am Ende nicht im Himmel wiederfinden… denn: Der strenge Blick des Richters könnte auf die Verantwortung blicken und fragen: Was habt Ihr getan, um die Bedrohten zu retten? Hattet Ihr nicht die Möglichkeit dazu?

„Selig sind die Friedfertigen“ (vgl. unten den Beitrag „Beati Pacifici“ vom 13.08.2014) – ein guter Grundsatz, wo Frieden bewahrt oder herbeigeführt werden kann. Doch eine solche Situation ist derzeit im Nordirak nicht in Sicht: Dort ist eine Bande von Mordbuben unterwegs, die Gewalt und Tod verherrlichen und sich als großartige Männer fühlen, von denen viele glauben, dass ihnen obendrein noch eine Belohnung im Jenseits winke. Dieser Wahnsinn, in dem sie die Kreuzfahrer des Mittelalters noch zu übertreffen scheinen, hat Methode und ist weder mit moralischen Appellen noch mit Friedensangeboten zu stoppen.

Sollte man nicht in Zukunft auch für andere Krisen- und Kriegsgebiete überlegen, ob dort Friedfertigkeit allein eine De-Eskalation bewirken kann? Denn es kann sein, dass Friedfertigkeit von den Militanten nur als Zeichen der Schwäche und Ermutigung zu dreisterem Vorgehen verstanden wird. Richtig und wichtig ist immer, in jedem Einzelfall die Lage zu analysieren und gut nachzudenken, ehe man sich zu einer Form des Eingreifens, zum Abwarten oder Zuschauen entscheidet. Wer sich zum Wegschauen entscheidet, könnte selbst einmal in Not allein gelassen werden.

 W. R.

Beati Pacifici

76+Beati Pacifici“, so lautet in Latein eine der Seligpreisungen Jesu in der Bergpredigt: „Selig sind die Friedfertigen.“ Dazu findet man allgemeingültige Aussagen und Überlegungen in dieser Website auf >Clio. Doch aktuell muss man sich dazu positionieren, dass in einigen Teilen der Welt Gewalt, Krieg und Terror gegen Schwächere das Bild der Nachrichten bestimmen. Pazifismus schön und gut – wenn man es sich leisten kann, mit sauberen, unblutigen Händen zuzuschauen. Aber was ist, wenn man Gewalt und Mord zuschaut und womöglich in der Lage wäre, einzuschreiten und Leben zu retten?

Im privaten Bereich mag das jeder Mensch für sich allein entscheiden können (aber sich ggf. auch dem Vorwurf der „unterlassenen Hilfeleistung“ stellen müssen). Und wie sieht es in der internationalen Politik aus? Derzeit (Sommer 2014) erscheint die Welt als Tollhaus, zumindest dann, wenn man mitbekommt, welche Themen und Schauplätze die Nachrichten beherrschen. Krisenherde zuhauf:  Syrien, Ukraine, Libyen, Nigeria, Palästina, Irak,… und das sind noch längst nicht alle aktuellen Konflikregionen. Dort scheinen unzugängliche Hardliner, Kriegstreiber und Fanatiker die Bühne zu beherrschen.

Ein Tollhaus, wenn man bedenkt, dass Rezepte für ein friedliches Miteinander längst vorliegen. Doch wer hört z.B. auf die Friedensforscher, die solche Rezepte erforscht und entwickelt haben? Wo erst einmal die Emotionen aufgeputscht sind, dringt die Stimme der Vernunft nicht mehr durch.

Und Deutschland, bisher immer abseits stehend, und mit Hinweis auf seine jüngere Geschichte sehr zurückhaltend mit militärischer Beteiligung an internationalen Befriedungsaktionen, kann sich auf Dauer nicht so heraushalten wie bisher. Es gab schon militärische Beiträge in Afghanistan und anderswo, aber als Weltpolizisten und deren Helfer ließen wir gern Anderen den Vortritt.

Nun Irak: Plötzlich heißt es, ein Genozid an Jesiden und anderen Volksgruppen im Irak muss verhindert werden. Und andere Regierungen, die eingreifen, fragen auch die deutsche: Was könnt, was wollt ihr beitragen? Die innerdeutsche Debatte ist eröffnet. Dazu ein Beitrag: Hilfe für Kurden: Deutschlands planlose Irak-Politik – Andere Meinung – Meinung – Tagesspiegel

Diese Debatte kann niemanden unberührt lassen. Deutschland hat mit Waffenexporten schon viel Geld verdient. Soll es weiter seine Hände in61+ Unschuld waschen und sich nicht darum kümmern, was Andere mit diesen Waffen anstellen? Das ist Gesprächsstoff!

Man bedenke auch die Konsequenzen, wenn man im fernen Ausland militärisch eingreift. Man kann das von Fall zu Fall entscheiden, dabei aber auch Überraschungen erleben, weil nicht alles nach Plan verläuft. Schön, dass die Regierung Schröder sich 2002 entschieden hat, im Irak nicht mit einzumarschieren. Afghanistan war dann ein anderer Fall, oder? „Nichts ist gut in Afghanistan“, stellte nach einigen Jahren Margot Käßmann fest. Und wer möchte ihr, nach weiteren Jahren, da widersprechen?

US-Präsident Obama wollte die US-Soldaten aus dem Irak nach Hause holen und tat dies dann auch. Und jetzt? Der Irak ist ein politischer Scherbenhaufen, und die Gewaltbesessenen, die sich „Islamischer Staat“ nennen, nutzen das zu einer Offensive, der sich einheimische Kräfte nicht entgegenstellen können. Zuschauen ist falsch, Eingreifen womöglich auch, wenn nicht alles nach Plan läuft.

Nun diskutiert mal schön!

W. R. 13.08.2014

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Homo sapiens, bei Teilabschaltung seines hochgelobten Gehirns, sich gegenseitig abschlachtend

11. März – ein Gedenk- und Bedenktag

IMG_518111. März – wieder ein Gedenktag, alles Andere als ein Jubiläum: Vor drei Jahren ereignete sich die Katastrophe von Fukushima. Es war eine doppelte, eine sozusagen kombinierte Katastrophe. Erst ein selten starkes Erdbeben, gefolgt von einem ungeahnt wuchtigen Tsunami, der ganze Ortschaften an der Küste wegspülte und Schiffe weit weg von ihren Häfen im Lande absetzte – und damit noch nicht genug, hatten Erdbeben und Tsunami im Zusammenwirken die Stromversorgung des Atomkraftwerks (AKWs) von Fukushima gekappt, und während die Techniker des AKWs im Dunkeln tappten und falsche Messdaten über die Kühlung der Reaktoren registrierten, liefen diese heiß, sodass es schließlich in drei Reaktorblöcken zu Explosionen kam. Radioaktive Dämpfe traten aus, später lief verstrahltes Kühlwasser ins Meer.
Wer die Filmaufnahmen vom Tsunami sieht, glaubt sich in das unwirkliche Szenario eines Katastrophenfilms versetzt – doch die Aufnahmen bilden die Wirklichkeit vor Ort ab, man hört das Brausen und Gurgeln der Flutwelle, das Rufen und Schreien von Menschen, die sich nicht alle in höher gelegenes Gelände retten können…
Die hohe Zahl der Todesopfer, die Massen von unvermittelt obdach- und besitzlosen, traumatisierten Menschen, das alles sackt erst im Gefolge dieser Bilder ins Bewusstsein.
Hinzu kommen die immensen Auswirkungen und Folgeschäden des GAUs im AKW. Tausende Einwohner im Umkreis wurden wegen der Strahlung evakuiert, etliche davon erst mit Verspätung. Und die Fischerei an einem langen Küstenabschnitt kam zum Erliegen – nicht nur wegen der Zerstörungen in den Küstenorten und Fischereihäfen, sondern auch wegen der ins Meer laufenden, verstrahlten Wassermengen aus dem AKW-Gelände (Kühl-, Lösch- und Überschwemmungswasser).
Unsere AKWs sind sicher und auf dem technischen Stand der Zeit! Das hatten Politik und Atomwirtschaft Hand in Hand in Japan ständig verkündet, bis sie es selbst glaubten. Das wollten nun viele Japaner nicht mehr hinnehmen und verlangten weitreichende Konsequenzen.
Die sahen so aus: Wir, Regierung und Betreiberfirma Tepco, sitzen die erste Empörung mit ein paar öffentlichen Entschuldigungen aus, schalten erstmal alle AKWs ab, und nach etwas Zeit erklären wir, dass Japan gar nicht aus der Atomernergie aussteigen kann, dann fahren wir die AKWs wieder an.
Dabei zeigt sich bis heute, dass sie mit so einer Katastrophe heillos überfordert sind. Weder bekam Tepco sein havariertes AKW in den Griff, noch konnte die Regierung überzeugende Katastrophenpläne für die Zukunft vorlegen – kam sie doch schon mit der Bewältigung der Fukushima-Katastrophe nicht nach.
In der Region Fukushima liegen an vielen Sammelplätzen die Beutel mit vertrahlter Erde, die entwurzelten Menschen dürfen nicht in ihre Heimat zurück, leben z.T. immer noch in Notunterkünften und warten auf wirksame Unterstützung zur Normalisierung ihres Lebens, wenn es so etwas denn gibt (Das Trauma bleibt). An manchen Stellen hat man alles dekontaminiert, sagt man, und lässt die Evakuierten zurückkehren. Experten warnen dennoch. Man hat in der Region bereits Strahlenschäden an Tieren beobachtet, z.B. häufige Missbildungen an Schmetterlingen. Aktuelle Lage 2015: >Japans Atomkrise | Greenpeace – japans-atomkrise-09032015.pdf
Das Wort „Katastrophe“ klingt angesichts des Geschehens und der Folgen eher zu harmlos, um all das zusammenzufassen.

Und die Sicherheit? Alles Beteuern und Verharmlosen nach Katastrophen wie Tschernobyl (26. Aprl 1986) und Fukushima (2011), alle Ablenkung vom weltweit ungelösten Problem der Endlagerung von Atommüll (krass: Der Müll aus dem ehemaligen Salzbergwerk Asse muss aufwändig wieder herausgeholt werden) bedeutet nichts Anderes als die Feststellung: Auf offizielle Verlautbarungen ist kein Verlass, wir werden im Zweifel nur über das nicht mehr zu Verheimlichende informiert.

IMG_0632(zum Scharfstellen die Karikatur anklicken)

Radioaktive Strahlung ist zwar messbar, aber unsichtbar und geruchlos. Unsere Sinne (und anscheinend auch die der Tiere) sind nicht auf diese Gefahr eingestellt. Ich erinnere mich noch gut, wie verunsichert wir im Mai 1986 bei strahlendem Wetter nach draußen blickten und uns fragten, ob wir da draußen gefahrlos spazierengehen könnten, ob wir das Laub der Sträucher anfassen und uns auf eine Wiese setzen könnten, ohne mit verstrahltem Material in Berührung zu kommen. Der Wind hatte über Europa den strahlenden Auswurf des geschmolzenen Reaktors von Tschernobyl verteilt: Vielerorts waren frisch geerntete Lebensmittel unverkäuflich geworden und wurden vernichtet. In Bayern durften längere Zeit keine in der Natur gepflückten Pilze verzehrt werden.
Das war noch gar nichts gegen die Schäden an Leben und Gesundheit, die die Bevölkerung in Teilen der Ukraine und Weißrusslands erlitt.
Und gerade auch in Japan weiß man sehr genau, was Strahlungsschäden bedeuten: Bis heute leiden dort Menschen an den Folgen der Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki. Davon wurde aber ungern gesprochen, besonders nachdem japanische Regierungen das Land in der Energieversorgung auf Atomkurs festgelegt hatten.

Es geht beim Thema „Atomkraft“ (die positiv gefärbte Wortwahl sagt „Kernkraft“) nicht nur um die Gefahr großer Katastrophen, sondern auch um Gefahren unterhalb der Katastrophenschwelle. Große Energiekonzerne lassen sofort ein Rudel Experten von der Leine, die Gefahren dementieren oder herunterspielen, wenn jemand z.B. ein statistisch erhöhtes Krebsrisiko im Umfeld von Atomkraftwerken öffentlich macht: Da werden Messwerte angezweifelt, als zufällig oder fehlerhaft hingestellt und als nicht aussagekräftig abgetan. Zuverlässig sind dagegen nur die von den AKW-Betreibern veröffentlichten Messwerte, Aussagen und Statistiken. Na klar. Und wieder hören wir im Falle eines nicht vertuschbaren „Störfalles“ im AKW: „Für die Bevölkerung bestand zu keiner Zeit eine Gefahr.“

In Deutschland wird weiter nach einem sicheren Endlager für Atomabfall gesucht. In einigen Jahren wird nach Ausstiegsplan das letzte AKW abgeschaltet – wenn nicht noch einmal eine Kehrtwende der Politik dazwischenkommt. Der strahlende Müll bleibt. Auf Jahrhunderte…

-SR-

Aktueller Nachtrag am 11.03.2020: Jahrestag des Reaktorunglücks: Die Zeit wird knapp in Fukushima | tagesschau.de

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