Archiv des Autors: Wolfgang Reinert

Der Dealmaker — ein Versager?

WER wundert sich über Donald Trump und seine Reden und Dekrete seit der 2. Amtseinführung? Im Grunde macht er konsequenter als zuvor weiter, wo er in seiner 1. Amtszeit nicht weiter gekommen war.
Ich persönlich machte mir schon vor seiner ersten Amtseinführung keine Illusionen über seinen Charakter, und wer will, kann frühere Blog-Beiträge aus jener Zeit nachlesen. Besonders aktuell ist: „Putins Freund…“ vom 3. März 2022, nach dem Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine (24.02.2022).

Als Symptome für Trumps Wesen und seine Absichten nenne ich hier nur zwei Dinge: 1. Beim Einzug ins Weiße Haus im Januar 2017 ließ er die Vorhänge im Oval Office, dem offiziellen Arbeitszimmer des Präsidenten, austauschen: statt in eher gedeckten Tönen nun goldfarben. Sofort assoziierte ich damit den goldenen Prunk absolutistischer Herrscher der Vergangenheit.
In der Gegenwart fand und findet man viel Gold-Prunk allerdings auch im Kreml. Inzwischen schwant mir, dass auch das kein Zufall ist. Trump hat schon seit Jahren (1987ff.) eine besondere Beziehung zu herrschenden Kreisen Russlands, und er bewundert W. Putin (nach eigenen Worten).
Wer von Trumps jüngsten Auslassungen über Putin, den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine und Präsident Selensky überrascht ist, der hat vergessen oder ignoriert, dass Trump zu Beginn des russischen Angriffs (24. Februar 2022) Putin als „Genie“ bezeichnete. Alles klar, oder?
Trump ist entweder vom KGB und Putin fasziniert oder — wer weiß? — bei irgendwas während eines Besuchs in Moskau gefilmt worden und damit erpressbar. Oder hat jemand eine andere Erklärung für sein Verhalten, das weder politisch klug noch mit der bisherigen Außenpolitik der USA in Einklang zu bringen ist?

Außerdem straft Trump sein Selbstlob als großer Dealmaker Lügen, wenn er Putin die Erfüllung von dessen Wünschen verheißt, schon bevor Verhandlungen über das Ende des Krieges gegen die Ukraine überhaupt begonnen haben. Trump verhält sich (man traut sich kaum, es laut zu sagen:) wie ein Agent Moskaus. Und schon bei seinem sehr deutlichen Wahlsieg im November letzten Jahres fragte ich mich, ob da außer dem Stimmenkauf von E. Musk noch andere unlautere Mittel von unbekannter Seite nachgeholfen haben könnten.

Ich hätte Trump als guten Dealmaker akzeptiert, wenn sich herausgestellt hätte: Trump wollte mit Lockangeboten Putin an den Verhandlungstisch bringen, um ihn dann zu einem Teil-Rückzug zu bewegen und mit der Drohung zu konfrontieren, andernfalls die Ukraine weiter zu unterstützen und Russland mit weiteren Sanktionen zu strafen. Doch danach sieht es nicht aus. Man kann deshalb aus westlicher Sicht nur feststellen: Trump als Verhandlungsführer ist ein Versager.
Trump agiert auch in seiner 2. Präsidentschaft ungeniert wie ein Lügenbaron, wie seine jüngsten Äußerungen über den Ukrainekrieg und Präsident Selensky deutlich machen. Die Wahrheit interessiert Trump überhaupt nicht — es sei denn, sie könnte seinen Geschäften nutzen.

Gerade Letzteres muss man auch seinen WählerInnen in den USA anlasten, denn die wussten genau, wen sie wählten. Wenn sie demnächst enttäuscht von „ihrem“ Präsidenten sind, müssen sie sich an die eigenen Nase fassen. Aber für Einsicht ist es dann zu spät, Trump schafft rigoros Fakten und mischt die internationale Politik wie auch das politische System der USA auf. Wer profitiert davon? Die Ölmilliardäre, die seit Jahrzehnten die Klimaleugner-Kampagnen finanzieren und die Pläne für Trumps 2. Amtszeit ausgearbeitet haben, weil sie weiter wie bisher unsere Erde verheizen wollen (genau wie Putin). Und, ach ja, natürlich Elon Musk, der sich da hineingedrängt hat und als angeblicher Kämpfer für die Meinungsfreiheit rechtsradikale Parteien und Gruppen in aller Welt fördert (wie Putin). Man hat schon Kostproben seines radikalen, aber teils inkompetenten Wirkens auf die US-Bundesbehörden sehen können.

Ihr glaubt doch nicht im Ernst, dass die Wahlempfehlung von E. Musk für die AfD unserem Land nützen könnte? Uns rettet nur eins: eine starke demokratisch geprägte Regierung und ein Europa, dass sich ganz schnell zusammenrauft und durch Geschlossenheit sein schwächelndes Gewicht in der Weltpolitik stärkt. Make Europe great again! Und vergesst den Blödsinn vom „Europa der Vaterländer“ — das ist 19. Jahrhundert! Opas Nationalismus ist total out.

Heute gilt für alle Staaten Europas: Allein machen sie Dich ein! Jetzt, wo sich mit China, Russland und den USA drei große Mächte gegen die Demokratie stellen und die internationale Zusammenarbeit zerstören, kann man nur noch durch Zusammenhalt gegensteuern und sich behaupten.

W. R.

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24.02.25Neues zu Trump 2 (oder vielleicht sollte man sagen: Trump-Musk): Donald Trump und die Wissenschaft: Drehen wir den Brain Drain doch um! – DER SPIEGEL Neu ist daran nicht Trumps feindliche Haltung gegenüber der Wissenschaft, sondern sein Frontalangriff auf alles, was sich der Wahrheit verpflichtet fühlt und Fakten benennt. Der Schaden für das Land wird bald sichtbar werden. —

Was fehlt

ES ist Wahlkampf zur vorgezogenen Bundestagswahl (23.02.25) — mit einem zeitweise beherrschenden Thema: Gewaltkriminalität und Anschläge von Männern nichtdeutscher Herkunft — aber verzerrt zum Thema von Migration allgemein und deren Begrenzung.
Anstatt die Zusammenarbeit von Behörden innerhalb Deutschlands und ihre Verbesserung als Problem zu identifizieren, wird laut „Grenzen dicht!“ und nach mehr Abschiebungen gerufen.
Immer wieder werden Hinweise weggewischt, die sachlich Abschiebungshindernisse benennen; einige Politiker täuschen vor, man müsse nur den Willen haben, dann könne man auch mit der Brechstange mehr tun. Das hört sich für einige WählerInnen gut an, und die sollen dazu bewegt werden, ihr Kreuz auf dem Wahlzettel bei den lauten Abschiebeforderern zu machen.
Nach der Wahl wird man dann bald hören, dass das doch nicht so einfach geht, aber Geduld, wir bleiben dran… AUSSER: Es kämen die nach Trumps Manier Herzlosen, rassistischen Radikalen an die Macht, die sowieso nicht viel vom Rechtsstaat halten und grundsätzlich die Demokratie verachten, die sich am Prinzip der Menschenrechte orientiert.
Außerdem gibt es Leute, die das im Grundgesetz eh schon eingeschränkte Asylrecht ganz in Frage stellen und Ausreisepflichtige unbegrenzt einsperren wollen, bis man (irgendwann) doch noch einen Weg findet, sie abzuschieben.

So geht’s nicht! Das ist eine schleichende Trumpisierung des Wahlkampfes. Außerdem hat das Gerede schädliche Nebenwirkungen: Gerade die gut hier angekommenen, integrierten, sich mit Deutschland identifizierenden Menschen „mit Migrationshintergrund“ werden verunsichert. Mehr noch: Die einheimischen Deutschen werden verunsichert, manche sehen schon jeden „ausländisch“ aussehenden Menschen schief an und halten ihn für einen potentiellen „Gefährder“.

Überhaupt, diese hochgejazzte „Migrationsdebatte“ — in Talkshows hört man aus Politikermund öfter was von „illegaler Migration“, die man unterbinden oder zumindest einschränken will. Bei den unbedarften wie bei den weniger gut informierten BürgerInnen bleibt womöglich hängen: „Migration — illegal.“ Und schon wird, was Trump hetzerisch aussprach, auch hier unterschwellig gestreut: Schaut doch mal, wer von den Migranten überhaupt auf Dauer hierbleiben soll — oder darf. Viele sind doch gar keine deutschen Bürger, sondern womöglich illegal hier… und von da ist es nicht mehr weit zur AfD-Parole „Remigration“.

Kurz gesagt: Das Bespielen dieses Themas (im Zusammenhang mit Anschlägen!) zahlt sich weniger für die Unionsparteien, die SPD oder die FDP aus, sondern… Ihr wisst schon!

Und wer es nicht schon vor dem Auftritt von J.D. Vance auf der Münchener Sicherheitskonferenz wusste, weiß es jetzt: Trump und sein Knallchargen-Team haben ein sehr seltsames Verständnis von Demokratie. Deshalb greifen sie auch unverhohlen in die Wahlkämpfe in Europa ein — was wir bisher nur von Autokraten weiter östlich kannten…

Und was in unserem Wahlkampf bisher ganz fehlt, zumindest aber bei manchen Parteien völlig zu kurz kommt: die Themen, für die sich viele BürgerInnen auch interessieren, nämlich Themen, die ihren Alltag und ihre nahe Zukunft direkt betreffen: Lebenshaltungskosten (Mieten!); Altersvorsorge bei wenig Rente; Klimaschutz (der zur Zeit ausgeblendet wird — bis zur nächsten Naturkatastrophe); Bildung, marode Infrastruktur, und Einiges mehr.

W. R.

Nachtrag am 21.02.25: Es schockt mich doch ein wenig, wenn ich in einem Zeitungsartikel* lese, dass viele türkischstämmige männliche Wähler sagen, sie wollten ihr Kreuz bei der AfD setzen. Manche scheint der Old-School-Männlichkeitskult zu beeindrucken, andere fühlen sich beim autoritären „Durchgreifen“ wohl, das sie von Erdogan kennen. Viele meinen, sie seien von der Rechtsaußen-Parole „Remigration“ nicht betroffen, das sei nur auf kriminelle und illegale Migranten gemünzt (Na, wenn sie sich da nicht selbst was vormachen…)

Wieder einmal kommt mir der Verdacht, dass bei etlichen MitbürgerInnen (auch deutschstämmiger Herkunft) ein Mangel an Kenntnis darüber herrscht, was DEMOKRATIE eigentlich bedeutet. Menschenskind, nur Wahlen zu veranstalten ist bloß ein Teil dessen, was zu einer Demokratie gehört. Dazu kommen Gewaltenteilung und deren gegenseitige Kontrolle, eine unabhängige Justiz, wirklich freie Wahlen, und Schutz von Minderheiten (damit sie nicht von einer Mehrheit unterdrückt und entrechtet werden). Näheres siehe Grundgesetz, Art. 1 ff.

* Kölner Stadt-Anzeiger, 21.02.2025, S. 26 „AfD-Wähler trotz Migrationshintergrund“

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Der 27. Januar

DER 27. Januar ist der Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus. Warum braucht es diesen Gedenktag? Weil das NS-Regime auf Menschen keine Rücksicht nahm und für seine Wahnvorstellungen über Berge von Leichen ging. Man kann keinen Schlusstrich ziehen und zur Tagesordnung übergehen, wenn man vermeiden will, dass sich ein ähnlich verbrecherisches Regime noch einmal in Mitteleuropa etabliert.
Darum interessieren wir uns für Geschichte: Wir wollen wissen, was unsere Vorfahren Gutes und Schlechtes getan haben, wie wir vermeiden können, Fehler unserer Vorfahren zu wiederholen, und wie wir ihre positiven Seiten zum Vorbild nehmen können.
Wir haben es beim Thema Nationalsozialismus teilweise mit Leuten zu tun, die versuchen, die öffentliche Meinung mit Lügen und Verfälschungen zu beeinflussen. Sie leugnen oder verharmlosen die verbrecherische Seite der Nazi-Rassenideologie, sie leugnen oder verharmlosen die Verbrechen des Nazi-Regimes. Warum tun sie das? Sie wollen uns weismachen, dass die Weltanschauung der Nazis doch nicht schlecht sei, und versuchen ein Bild zu verbreiten, in dem Vieles gut und richtig gewesen sei, was Hitler und seine Gefolgsleute veranlasst haben.
Damit wollen sie erreichen, dass die Nazi-Vorstellungen von Rasse, imperialistischer Aggressivität gegen andere Staaten, und Versklavung und Vernichtung „minderwertiger“ Menschen und Völker wieder hoffähig werden, dass diese menschenfeindlichen Ansichten als „normal“ neben anderen Ansichten gestellt werden, und im nächsten Schritt wieder Leitvorstellung zu neuem Krieg gegen die Menschlichkeit werden.
Also Vorsicht: Holocaust-Leugner und -Verharmloser äußern nicht eine Meinung, die man im Rahmen der Meinungsfreiheit dulden sollte. Es geht ihnen nicht um die freie Meinungsäußerung, es geht ihnen um die Vergiftung der Meinungsbildung in der Gesellschaft durch menschenfeindliche Ansichten. Tatsachen zu leugnen ist keine Meinung, es ist Verfälschung der Wahrheit, also Lüge.
Um diese zu verschleiern, setzen die Verfälscher allerlei Verschwörungsfantasien in die Welt, die nicht nur der Ablenkung von den wirklichen Verhältnissen dienen, sondern auch Verwirrung stiften und unsere Unterscheidung von Wahr und Falsch durcheinander bringen sollen.
Wir haben erst neulich erlebt, wie in den USA die seriösen Medien, eine Säule der Demokratie und der Kontrolle der Mächtigen, von einem ins Präsidentenamt gekommenen Großmaul beschimpft wurden („you are fake news!“) — das waren Zeitungen, die investigativ den Politikern auf die Finger schauten (Sowas ist einem Donald Trump prinzipell ein Dorn im Auge) und z.B. damals den Watergate-Skandal aufdeckten, der kriminelle Machenschaften eines Präsidenten publik machte.
Wir sehen ja, wie autoritäre Machthaber und Diktatoren immer die Meinungsfreiheit einschränken und die Medien unter Kontrolle bringen wollen, sodann auch die unabhängige Justiz.
Darum ist die Gewaltenteilung und die gegenseitige Kontrolle der Instanzen in einem Staat von grundlegender Bedeutung. Das sollte nicht gering geschätzt werden.
Daher ist das Gelaber mancher Leute vom „starrken Mannn,“ der mal aufräumen und für Ordnung sorgen sollte, ein dummes Gerede ohne Nachdenken. Stattdessen sollten sich alle BürgerInnen darüber klar sein, dass eine starke Zivilgesellschaft alle Menschen schützt, vor allem gegen staatliche Willkür. Eine solche Zivilgesellschaft macht sich für Meinungsfreiheit stark, und sie übt Toleranz gegenüber Andersdenkenden sowie anderen Lebensentwürfen (außer sie sind antisozial ausgerichtet).
Die Erfahrungen der Nazi-Diktatur und des Holocaust haben zur Ausarbeitung unserer Verfassung geführt, dem Grundgesetz. Es orientiert sich am übergeordneten Prinzip der allgemeinen Menschenrechte. Und diese gelten allgemein für Alle. Also Vorsicht: Wer dieses Leitprinzip in Frage stellt, der meint es nicht gut mit allen Menschen, sondern führt Böses im Schilde. Böses, das heißt: Er will sein machtpolitisches Süppchen kochen, indem er die Freiheit der BürgerInnen einschränkt und ihnen vorschreiben will, wie sie zu leben haben und was sie denken sollen.

All das hängt miteinander zusammen. Wenn wir an den Holocaust erinnern, werfen wir automatisch auch die Frage auf: Wie konnte es dazu kommen? Eine starke, freiheitliche Zivilgesellschaft hätte das nicht zugelassen. Aber eine starke Machtkonzentration im Staate ermöglicht eben auch monströse Verbrechen gegen die Menschlichkeit.

W. R.

P.S. Diese Mail ging am Abend noch an die CDU-Zentrale in Berlin:

Guten Tag,

die Ankündigung von Herrn Merz, seinen Antrag im Bundestag ggf. mit den Stimmen der AfD durchzubringen, löst auch bei mir Entsetzen aus.

Außerdem vermisse ich konkrete, praktische Folgerungen aus Anschlägen wie in Berlin (Breitscheid-Platz) und den letzten beiden Aufregern. Für mich wäre eine dringende Baustelle, die Zusammenarbeit und den Informationsaustausch zwischen den deutschen Behörden zu verbessern. Das vermisse ich seit Jahren! Das scheint mir kein Thema der Parteipolitik zu sein, da muss jede Regierung ran. Das erwarte ich als Bürger, der Sicherheitsfragen nicht mit Stammtischparolen angeht. „Grenzen dicht“ ist nicht DIE Lösung, wie alle Informierten wissen.

Mit freundlichen Grüßen

Wolfgang Reinert

Nachbemerkung am 02.02.2025: Die Messerattacken und Anschläge mit Fahrzeugen, über die man sich in den letzten Jahren zu Recht aufregte, wurden von Personen verübt, die bereits jahrelang im Lande waren. Die spontanen Reaktionen einiger Politiker, jetzt müssten die Grenzen dicht gemacht und ausreisepflichtige Personen radikal oder zumindest zügiger abgeschoben werden, waren keine Vorschläge, die diese Anschläge verhindert hätten. Denn in den meisten Fällen waren die Täter vorher schon den Behörden aufgefallen, in einigen Fällen (z.B. Anis Amri, der Täter vom Breitscheidplatz) in mehreren Bundesländern. Die Informationen zu Amri wurden aber nicht zusammmengeführt, sodass die zuletzt zuständigen Behörden jeweils nur mangelhaft über Amri Bescheid wussten. Ähnlich lief es im Falle des Messerstechers, der jüngst auf eine Kindergartengruppe losging. Das Problem des teils mangelhaften Informationsaustausches zwischen Behörden verschiedener Bundesländer, aber auch innerhalb eines Bundeslandes, ist schon länger bekannt. Wer meint, den Messerstecher hätte man durch Zurückweisung an der deutschen Grenze stoppen können, macht sich die Sache zu einfach, und außerdem ignoriert er die o.g. Probleme, die oft wirksame Maßnahmen innerhalb des Landes ausbremsen.

Aber wir sind leider im Wahlkampf, und da werden gern Emotionen angesprochen und Stammtische bedient, um Stimmen zu mobilisieren — egal, ob mit falschen Versprechen. Es scheint sogar eher so, dass simple, emotionale Botschaften mehr Wahlerfolg bringen als durchdachte, vernünftige Lösungsvorschläge. Wäre es anders, läge die AfD (zumindest in Umfragen) nicht bei 20%, und die CDU mit Kanzlerkandidat Merz würde nicht ähnliche Forderungen vertreten, um Stimmen vom rechten Rand zurückzuholen.

Es ist schon beklagenswert, dass in demokratischen Wahlen in einigen Ländern diejenigen Zulauf bekommen, die radikal-emotionale Forderungen propagieren — Forderungen wohlgemerkt, die nicht nur moralischen Grundsätzen der Demokratie widersprechen, sondern auch (innerhalb der EU) europäischem Recht. Verstärkt werden dadurch fremdenfeindliche Einstellungen und rassistische Ressentiments. Und das wiederum (siehe Brexit und seine Folgen) zeigt, dass diese Forderungen alles andere als patriotisch sind, sondern dem Land schaden. Das wissen auch Leute, die ihren Verstand gebrauchen und nicht nur darmgesteuert sind. Aber anscheinend sind z.B. TikTok-Nutzer so sehr an schnelles Konsumieren und Weiterwischen gewöhnt, dass sie verlernen, innezuhalten und mal ihren Verstand einzuschalten. So zerstören auch social media die politische Debattenkultur, und Viele meinen, in der Politik brauchte es kein Nachdenken, weil ja die knalligen Parolen alles klar machten. —

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Die den Mund voll nehmen…

Damit hatte ich schon gerechnet: Am Tresen war der Stammtisch versammelt und hatte nur ein Thema: Trump. Und der Erregungspegel war hoch.
„Ich habe die Inaugurationsfeier im Fernsehen geguckt. Die große Show. Melanias scharfer Hut!“
„Wie, das war alles, was du daran erwähnenswert findest?“
„Ja, was hast du erwartet? Es war der Pomp mit religiöser Weihe, wenn ein Präsident von god’s own country ins Amt eingeführt wird.“
„Also bitte, das war doch eine Entgleisung erster Klasse! Andere Präsidenten haben nach dem Wahlkampf davon gesprochen, das Land wieder zusammenzuführen. Trump dagegen redete genauso weiter, wie er im Wahlkampf geredet hatte. Er putzte die Vorgängerregierung runter, die als Gäste dabeisaßen, und nahm den Mund voll wie kein Präsident vor ihm, wenn ich das richtig sehe.“
„Ja, ich finde das auch daneben. Ich hätte Verständnis dafür gehabt, wenn Biden und Harris aufgestanden wären und die Feier verlassen hätten.“
„Aber auch das hätte einen Trump nicht gestört. Er setzt doch dauernd auf Provokationen und Ausfälle. Er ist und bleibt der Rüpel, den wir schon vor Jahren kennengelernt haben.“
„Und jetzt können sich alle warm anziehen. Auch viele seiner Wähler werden sich noch umgucken, was aus ihren Hoffnungen wird. Ein goldenes Zeitalter bricht an! Ha-ha. Boris Johnson in Großbritannien hat eine goldene Zukunft versprochen, als er den Brexit vorantrieb. Und was hat Britannien bekommen? Die Probleme, vor denen Leute aus der Wirtschaft gewarnt hatten. Und eine verschärfte Krise des Gesundheitssystems.“
„Genau! So läuft das bei den Populisten: Sie plädieren für nationalen Egoismus mit einer Prise Rassismus und Fremdenfeindlichkeit, und nach dem Rausch der Machtübernahme kommt der große Kater: Der nationalen Wirtschaft fehlen plötzlich ausländische Arbeitskräfte, der Warenaustausch gerät ins Stocken, und erst dann dämmert Vielen, dass sie in die falsche Richtung marschiert sind.“
„Genau. Und außenpolitisch können sie auch keine bedeutende Rolle spielen und müssen sich an eine fremde Macht heranschleimen.“
„Ich habe sogar den Verdacht, dass Trump genau das Gegenteil von dem erreichen wird, was auf seiner roten Kappe steht, nämlich: Statt „great again“ wird dieses Amerika Einiges an Respekt und Bedeutung in der Welt einbüßen.“
„Ich sage immer: An ihren Taten sollt ihr sie erkennen. Trump hat sofort alle begnadigt und freigelassen, die am Sturm auf das Capitol beteiligt waren und deshalb verurteilt wurden. Damit zeigt er allen den Stinkefinger, die noch Respekt für die demokratischen Regeln und Institutionen einfordern. Für Trump ist Demokratie, wenn er Wahlen gewinnt, andernfalls war es Betrug.“
„Das ist das Traurige: Er macht Demokratie lächerlich, er führt die Justiz vor, er wirft sich zum Herrscher über dem Gesetz auf. Und niemand hat ihn gestoppt, solange es ging. Dabei war klar, was er wollte.“
„Und unsere Rechtsaußen hierzulande wanzen sich an Trump ran. Das wollen Patrioten sein! Lächerlich. Wenn man sie machen lässt, verkaufen sie Deutschland an Putin und Trump und möchten von Gnaden dieser zwielichtigen Figuren bei uns die Macht übernehmen. Mir kommt es hoch!“
Als ich das hörte, kam es mir auch hoch. Ich eilte zur Toilette und erbrach mein Abendessen. Dann, als ich wieder einigermaßen stabil auf meinen Beinen stand, ging ich hinaus und atmete tief durch. Ich blickte zum Himmel, doch der war bewölkt. Vielleicht hätte ich sonst die Planetenkonstellation sehen können, die sich dieser Tage am Himmel zeigte. Davon wusste ich aus den Medien. Vielleicht ist das demnächst auch nicht mehr wahr, ging es mir durch den Kopf, wenn die social media zugunsten der absoluten Meinungsfreiheit per Algorithmus die Behauptungen obenan stellen, dass diese Planeten-Reihung eine Ehrenbezeigung des Universums für Trump und Musk sei, alle anderslautenden Aussagen von Astronomen dagegen nur Fake News…
Auch das ist nun denkbar geworden. —
W. R.

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Nicht gedankenlos sabbeln

NUN haben sie das „Unwort des Jahres“ ernannt: BIODEUTSCH. Das Wort, heißt es, werde oft gedankenlos benutzt, und ist schon in die Alltagssprache eingedrungen.
Wer nicht so gedankenlos sabbeln will, der fragt sich jetzt: Was genau soll das eigentlich heißen: biodeutsch? Und schon tun sich Fragezeichen auf: Steht „bio“ hier für biologisch? Dann fragt man sich doch gleich: Kann „deutsch“ sein etwas Biologisches sein? Nee, bestimmt nicht! Denn deutsch ist eine Staatsangehörigkeit, ist eine Bezeichnung für einen Menschen mit deutschem Pass.
Das wollen aber die völkisch orientierten Rechten nicht so stehen lassen. Sie erfinden das Wort „Passdeutscher“ für einen Menschen, der die deutsche Staatsangehörigkeit erworben hat, aber in ihrer Sichtweise trotzdem „nicht dazu gehört“, also kein richtiger Deutscher ist, wie sie meinen.
Wer richtig dazugehört, also voll deutsch ist, muss demnach nicht nur hier geboren, aufgewachsen, sozialisiert sein, er/sie soll auch Generationen (bio-)deutscher Vorfahren haben. Aber da muss der völkisch Denkende (bzw. Fühlende) schon ein paar ungute Gefühle bzw. Bedenken unterdrücken, wenn er/sie ein bisschen Ahnung von der deutschen Geschichte hat. Will man da so genau wissen, wie weit zurück die Vorfahren „biodeutsch“ gewesen sind? Denn: Das deutsche Volk war schon immer nicht so ganz scharf definierbar, wenn es um „Blut“ (d.h. Abstammung) und Herkunft geht. Das zeigt sich nicht nur an den Grenzen des deutschen Staatsgebietes im 19. und 20. Jahrhundert, die mehrfach geändert wurden. Wir hatten auch Migration innerhalb des Staatsgebietes und von außen herein sowie von innen hinaus. Da war also im Laufe der Zeit eine gewisse Fluktuation. Das „deutsche Volk“ war also kein starrer Block mit immerwährender Mitgliedschaft und Ausschluss aller Anderen. Konnte es auch gar nicht sein, denn Deutschland (jetzt mal undefiniert) lag und liegt in Mitteleuropa. Schon deshalb gab und gibt es Austausch von Handelsgütern, Arbeitskräften, technischen Errungenschaften, Ideen, kulturellen Neuerungen, usw.
Ein grundlegender, ja fataler Irrtum der Rassisten, der Nazis alter und neuer Couleur, der Nationalisten lag und liegt darin, diesen Austausch mit Misstrauen zu beäugen und stattdessen Abschottung, Abgrenzung, und Ablehnung aller Einflüsse „von außen“ zu fordern. Dahinter steht die wirklichkeitsfremde Auffassung, man könne und müsse ein reindeutsches Wesen erhalten und pflegen, denn dieses sei das beste der Welt und allem Anderen überlegen. Rassisten glauben, man müsse ein reindeutsches „Blut“ erhalten und sogar züchten…
Das ist bizarr, wenn man bedenkt, dass Mendels Grundsätze der Vererbungslehre schon lange vor den Nazis bekannt waren, dass man auch wusste, dass es biologisch gerade keinen Sinn macht, sowas wie Inzucht anzustreben, weil das eher zu Degeneration führt.
Das gilt übrigens entsprechend auch für das Kultur- und Geistesleben der Nation. Beispiel: Die „deutschen Dome“, in der Vergangenheit gern mal als besondere Leistungen deutscher Kultur bezeichnet, waren in Wirklichkeit Ergebnisse europäischen Kultur-Austausches. Die gotischen Dome z.B. wurden zuerst in Frankreich geplant und erbaut, dann wurde der gotische Baustil in anderen Ländern Europas aufgegriffen. Egal, welche Beispiele man heranzieht: Immer wieder haben kulturelle Neuerungen aus einem Land Einfluss auf andere Länder ausgeübt, und das nicht zum Schaden dieser anderen. Meist haben Regionen sich wechselseitig kulturell befruchtet und damit bereichert. Was, bitte, sollte denn da Abgrenzung und Abschottung bringen?
Übrigens, um auf den Ausgangspunkt zurückzukommen: „Deutsch“ ist ein Begriff, der historisch auf die Sprache der Menschen zurückgeht, die im Mittelalter im deutschen Sprachraum lebten — mit all seinen Varianten und Dialekten. „Deutschland“ ist also eher das Gebiet, in dem (fast) alle Einwohner deutsch sprechen. Da ist die Abstammung nicht entscheidend, sondern der vorrangige Gebrauch dieser Sprache.
Wenn ich erlebe, dass etliche Menschen „mit Migrationshintergrund“ die deutsche Sprache perfekt beherrschen und alltäglich gebrauchen, also in ihr zu Hause sind, dann frage ich mich, wozu einige Leute eigentlich unbedingt von „Biodeutschen“ reden wollen. Seltsam klingt das vor allem aus dem Munde von Leuten, die die deutsche Sprache keineswegs immer so gut beherrschen. Aber das müsste ja nicht stören, wenn diese Deutschen das Herz auf dem richtigen Fleck hätten, wenn sie einen moralischen Kompass besitzen würden, der dem Menschen als Mensch begegnet. Und wenn sie Menschen nicht sofort in Schubladen steckten, sondern erstmal schauen würden, wen sie vor sich haben. Aber wer nicht genauer hinschauen, sondern lieber die Menschen schon auf den ersten flüchtigen Blick beurteilen und sortieren will, wer sie schnell in Schubladen schiebt, der landet auch schnell bei Fremdenfeindlichkeit und Abschottung. Und genau das bringt uns eben nicht weiter, im Gegenteil, wie oben ausgeführt. Mit anderen Worten: Fremdenfeindlich sein ist unpatriotisch.

W. R.


Größenwahn

Wusstet Ihr schon, dass unser Bundespräsident F. W. Steinmeier ein „antidemokratischer Tyrann“ ist? Da muss man erstmal drauf kommen, da staunen selbst hartgesottene Faktenverdreher bei der AfD.
Welcher Spinner sagt sowas? Ja, wer? Der selbsternannte Pate antidemokratischer Parteien und Gruppierungen, Elon Musk, auf seinem Kanal X.
Ja Moment mal, ich dachte, dieser Pate sei seit vielen Jahren Wladimir Putin! Und jetzt dieser Milliardär aus den USA, der sich mit Geld und Geldmacht in die Politik einmischt — nicht nur in den USA, sondern auch in Europa.
Nur: Man kann ja Geld im Überfluss haben, aber mit solchem Stuss kann er sich kein Ansehen als Politiker erkaufen, im Gegenteil: Er disqualifiziert sich.
Vielleicht merkt er das selbst gar nicht, weil er sich wie Trump mit Jasagern umgibt und glaubt, er könne sich jede noch so absurde Behauptung leisten als der große Musk, ähnlich wie sein Buddy Trump. Der haut auch jede Menge Stuss raus, ohne rot zu werden.
Man möchte fast hoffen, dass sich solche Leute an ihrem Größenwahn verschlucken und es ihnen die Sprache verschlägt, zumindest für einige Zeit. Jou, schöne Vorstellung!

W. R.

P.S. Nun hat sich auch Alice Weidel bei Musk angesteckt, und der Stuss-Bazillus lässt sie sagen, dass Adolf Hitler ein Kommunist war. Da ist nichts mehr zu kommentieren, da kann man nur noch weghören und abschalten. Habe schon bessere Comedy-Beiträge gehört! —

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Wunschzettel 2

DEN Wunschzettel von neulich habe ich nur in wenigen Punkten zitiert. Aber ich sehe, dass ich doch noch über zwei weitere Wünsche sprechen muss. Muss? Ja, da besteht dringender Mitteilungs- und auch Handlungsbedarf.
1. Der Prozess um die Vergewaltigung von Gisèle Pelicot ist gerade zu Ende gegangen, 51 Männer wurden verurteilt. Ihr habt es sicher über die Medien mitbekommen. Was für ein Abgrund an Menschenverachtung ist da sichtbar geworden! Und leider ist das die Spitze eines Eisberges: Krimineller, organisierter Missbrauch von Frauen ist weiter verbreitet, als sich die Meisten von uns vorstellen konnten. Das Internet macht möglich, dass das international vernetzt stattfindet, dass da eine große Zahl von Männern mitmachen.
Man hat ja schon vor einiger Zeit gehört, dass es im Internet Hassforen gibt, in denen Männer sich aggressiv und menschenverachtend über Frauen auslassen und schlimmste Fantasien austauschen… Auch hier zeigt sich, dass Worten irgendwann Taten folgen können. Das alles ist Ausdruck einer grundsätzlich frauenfeindlichen Haltung, die die Männerherrschaft über Frauen stärken und zementieren will. Das beginnt bekanntlich schon mit scheinbar harmlosen, abfälligen Bemerkungen über Frauen und geht weiter mit alltäglicher Herabwürdigung und Geringschätzung von Menschen weiblichen Geschlechts.
Dazu konnte man schon im BlogBeitrag „Auf Augenhöhe“ vom 21.10.24 Einiges lesen. Es geht hier ganz grundsätzlich um ein Verständnis von „Männlichkeit“, das geprägt ist von Gewalt und von Unterdrückung und Ausbeutung Schwächerer. Es ist übrigens auch kein Zufall, dass in Putins Russland diese Art Männlichkeit wieder propagiert und heroisiert wurde, auch von Putins persönlich (siehe offizielle Fotos: Putin sportlich, mit nacktem Oberkörper reitend, etc.). Es ist kein Zufall, dass bei uns auch die AfD ein solch antiquiertes Männlichkeitsbild wieder aufleben lässt (Krah auf TikTok: „Wenn du ein Mann bist …“ — und dann folgt Macho-Bullshit.) Die AfD ist dafür bekannt, dass sie auf altbekannte Muster baut und damit auf Dummenfang geht (Motto: Das Altvertraute überzeugt die Verunsicherten), dass sie alles Moderne anzweifelt und verächtlich macht, dass sie die Gegenwart schlechtredet und Sehnsucht nach einer „Guten-alten-Zeit“ erzeugen und nutzen will. Das hat sie sich bei der Nazi-Propaganda abgeschaut und bei Trumps Wahlkampfstrategie. So, damit wisst Ihr auch, was Euch blüht, wenn Ihr mit der AfD liebäugelt oder sie gar wählt.

2. Im Wahlkampf meint ein Herr Friedrich Merz, Kanzlerkandidat der CDU, er könne einen Herrn Robert Habeck von den Grünen (derzeit Wirtschaftsminister und Vizekanzler) verächtlich oder gar lächerlich machen, indem er ihn einen Kinderbuchautor nennt. Das ist Habeck unter anderem, aber was Merz meint, ist zumindest in meinen Augen ein fatales Eigentor. Denn es zeigt eine Haltung, die nicht viel für Kinder übrig hat, weder Verständnis noch Aufmerksamkeit. Dies ist eine Haltung, die symptomatisch ist für die offensichtlichen Versäumnisse in diesem Land im Bereich Bildung, insbesondere was die frühkindliche Erziehung und Bildung betrifft. Deutschland zeigt sich als wenig kinderfreundlich, was schon beim Thema „Kitas“ anfängt.

In letzter Zeit spricht sich herum, wie wichtig es sowohl für die Kinder als auch für unser Bildungssystem und (aufgemerkt, Herr Merz und Andere!) für die Wirtschaft und den Wohlstand unseres Landes ist, dass Kinder schon in den Kitas (Kindertagesstätten, früher als Kindergärten bekannt) gefördert werden. Dabei leisten die Erzieherinnen und Erzieher einen sehr wichtigen Beitrag, ihr Auftrag ist nicht bloß Kinder zu verwahren, wie schlecht Informierte glauben, sie unterstützen vielmehr die Persönlichkeitsentwicklung, sie fördern eine Bildung in umfassendem Sinne. Konkret heißt das z.B., dass Kinder lernen, sich in einer Gemeinschaft angemessen zu verhalten, und (ganz wichtig!) mit Anderen verbal und verträglich zu kommunizieren. Das kann eine Kita zu einem großen Teil leisten — wenn sie personell und materiell angemessen ausgestattet ist.

Aber an Letzterem hat es in Deutschland in letzter Zeit an vielen Stellen gemangelt. Und wenn die Kinder in die Schule kommen, erleben sie z.T. wieder Mangelsituationen in personeller wie materieller Hinsicht. Seit der ersten PISA-Studie, also seit gut zwei Jahrzehnten, hören wir Fensterreden von PolitikerInnen, in denen Bildung als ganz wichtig bezeichnet wird. Und dass sie priorisiert werden muss. Das schlug sich bisher aber kaum in realen Auswirkungen nieder. Eher sprachen Fachleute in den letzten Jahren schon von einer Bildungskatastrophe, die auf Deutschland zurollt. Und auch davon, dass dieses Land sich das gar nicht erlauben darf, wenn es nicht international im Wettbewerb zurückfallen soll.

Danke, Herr Merz, dass Sie mich daran erinnert haben: Herr Habeck ist qualifiziert, auch die Bedürfnisse von Kindern in der Politik mit Verstand und Empathie zu berücksichtigen. Wenn mehr PolitikerInnen sich für die Belange von Kindern interessieren, kann dieses Land in der Bildung noch aufholen, und dann kann es langfristig das nötige Bildungsniveau halten bzw. erreichen.

Das nötige Bildungsniveau? Das ist eines nicht nur für Eliten und ein oberes Viertel der Gesellschaft, während ein Großteil nicht richtig schreiben und sinnentnehmend lesen kann. Schon vor etwa 60 Jahren erkannte man auch in Deutschland, dass Wirtschaft und Gesellschaft mehr helle Köpfe brauchen, dass das Begabungs- und Bildungspotential in der Bevölkerung breiter ausgeschöpft werden müsse, um auf mehr gut ausgebildete Menschen zurückgreifen zu können. Das führte damals zu einer Bildungsreform und u.a. der Einführung der Gesamtschule (zunächst als Versuch). Heutzutage kommt es mir so vor, als habe sich eine Akzeptanz von sozialer Schieflage eingeschlichen, als nehme man mangelnde Chancengleichheit im Bildungssystem nicht mehr als Skandal wahr. Wie kann dieser Zustand verbessert werden? Bestimmt nicht dadurch, dass man Bildungsausgaben je nach Kassenlage gestaltet statt mit Weitblick. Zu diesen Ausgaben gehören u.a. Bau und Instandhaltung von Kita- und Schulgebäuden, Bereitstellung des nötigen Fachpersonals, usw.

Es scheint in den Köpfen vieler deutscher PolitikerInnen und Verwaltungsmenschen die seltsame Vorstellung zu herrschen, dass Bildung und Kultur nicht so wichtig seien und ggf. die Ausgaben und Zuschüsse gekürzt und zusammengespart werden können. Hinzu kommt noch die Programmierung vieler PolitikerInnen auf Legislaturperioden und die jeweils nächste Wahl, sodass für sie Themen eine wichtige Rolle spielen, mit denen man Wahlen gewinnen kann. Denn auch WählerInnen vergessen oft, dass Ausgaben für Kinder und Heranwachsende nicht nur diesen zugute kommen, sondern der ganzen Gesellschaft, der Wirtschaft, dem ganzen Land (wie oben erwähnt).

Daher steht auf meinem Wunschzettel, dass mehr Menschen in diesem Land einsehen, wie wichtig ein funktionierendes, ein gutes Bildungssystem ist. Und dass wir da investieren müssen. „Kinder sind unsere Zukunft,“ wird oft nur so dahingesagt. Die Bildung und Ausbildung unserer Kinder ist tatsächlich für die Zukunft des ganzen Landes von Bedeutung. Dazu gehört, dass man Kinder auch gegen Armut absichert, damit sie sich auf das Lernen konzentrieren können. *

W. R.

  • *Ausführlicher dazu siehe „Ist Armut strafbar?“ vom 10.08.2024

Wunschzettel

MEIN Wunschzettel für Weihnachten ist lang, daher zitiere ich hier nur wenige Punkte.

Zuerst einmal wünsche ich, dass PolitikerInnen bei uns in Deutschland sich nicht entblöden, überhastet aus Allem Kapital zu schlagen, was gerade in der Welt passiert. Konkret: Machthaber Assad war gerade erst nach Moskau geflohen, da posaunten hier ein paar Hänsel und Gretel, die syrischen Flüchtlinge in Deutschland sollten nun SOFORT in ihre Heimat zurückkehren — da es ja nun keinen Fluchtgrund mehr gebe.
Für wie blöde und uninformiert halten diese Figuren uns eigentlich? Auch ich habe zwar keinen umfassenden, perfekten Überblick über die Lage in Syrien nach dem Umsturz, die weitere Entwicklung ist im Fluss, aber ich kann mir gut vorstellen, dass da Putins und Assads Bomben bis zuletzt noch viel kaputt gemacht haben, was Menschen als Behausung diente. Wo sollen die Rückkehrer wohnen, wovon sollen sie leben? Das ist doch alles ungeklärt. Ich würde an Stelle eines geflüchteten Syrers, besonders mit Familie, den Teufel tun und gleich meine Sachen packen.
Und als angestammter Deutscher würde ich erst recht sagen: Moment mal, Ihr populistischen Dummschwätzer, Ihr wollt doch nicht etwa, dass die vielen Ärzte und andere Fachkräfte von jetzt auf gleich unser Land verlassen!! Bei uns steht doch so Manches kurz vor dem Kollaps, weil Personal fehlt!
Echt jetzt, ich fasse es kaum: Da gehen in den Köpfen einiger WahlkämpferInnen die Pferde durch!
So, das Thema „politische Dummschwätzerei“ stand weit oben auf meinem Zettel: Ich wünsche mir erheblich weniger davon. Das sollten auch die Dummschwätzer einsehen: Ihr blamiert Euch! Solche Luschen, die schneller reden, als sie denken können, die kann ich doch nicht wählen!
Und da wir gerade Syrien erwähnten: Anstatt dummes Zeug zu schwätzen, sollten PolitikerInnen zur Vernunft kommen und überlegen, was sich da in Syrien auch Schlimmes entwickeln kann. Was denn, fragt Ihr, alle freuen sich doch? Nee, schaut mal in die Kurden-Gebiete, da stoßen Erdogans Truppen bzw. von ihm unterstützte islamistische Milizen vor und vertreiben für Erdogan dort ansässige Kurden. Und wer macht was dagegen? Da wird von türkischen Bomben alles kaputtgemacht, was Menschen dort zum Leben brauchen. Folge? Könnt Ihr Euch doch denken, oder?
Glaubt ja nicht, dass wir hier weniger Kriegsflüchtlinge haben werden, wenn das so weitergeht — übrigens auch in der Ukraine, wo Putin gerade ganz gezielt und mit voller Wucht Heizkraftwerke zerstört. Warum das? Der Winter hat begonnen… Wie bei Putin üblich, wird Krieg nicht nach internationalen Regeln geführt, sondern ohne Rücksicht auf die Zivilbevölkerung, ob (wie bis Anfang Dezember) in Syrien oder (weiterhin) in der Ukraine. Wartet noch eine Weile, dann müsst Ihr Euch womöglich Eure Friedensträume vollständig in die Haare schmieren.


Und da komme ich zu einem weiteren Punkt, den ich fast schon nicht mehr auf den Wunschzettel zu schreiben wage: FRIEDE AUF ERDEN, wie es so schön in der Weihnachtsbotschaft heißt. Wir haben leider nicht mehr die „Zeit, in der das Wünschen noch geholfen hat“, wie es im Märchen heißt. Friede ist machbar, ja, aber dazu müssen erst die Voraussetzungen geschaffen werden. Im Alltagsleben ebenso wie in der großen Politik ist es bei verhärteten Fronten kaum möglich, Leute einfach an den Verhandlungstisch zu rufen und friedlich einen Konflikt beizulegen. Das geht oft nur mit harter Arbeit, mit Vermittlung neutraler Dritter, und mit dem hartnäckigen Bearbeiten Uneinsichtiger, denen man klarmachen muss, dass sie durch Verhandlungen auch etwas gewinnen können.
Im Fall Russland, oder besser: im Fall des Putin-Regimes lasse ich mir jedenfalls keinen Sand in die Augen streuen, auch nicht von Sahra Putinknecht, die uns seit Jahren einreden will, dass die Sanktionen gegen Russland nichts brächten, dass man Russland nicht besiegen könne, dass man gegen eine Atommacht nur kuschen könne, usw. Ich neige vielmehr dazu, Nachrichten Glauben zu schenken, dass Russlands Wirtschaft in Schieflage ist, dass seine Staatsfinanzen durch Militärausgaben stark belastet sind, dass Putin nicht genug Soldaten hat und deshalb Kanonenfutter aus Nordkorea bestellt hat, dass er außerdem Syrien fallenlassen musste, um sich auf die Ukraine konzentrieren zu können… In meiner Sicht gibt es Anzeichen, dass Putins Regime nicht so erfolgreich ist und nicht so fest im Sattel sitzt, wie von Vielen behauptet wird. Daher ist sein Hauptgeschäft, den Kritikern im eigenen Land wie auch den Unterstützern der Ukraine in Europa Angst zu machen und ständig mit noch mehr Gewalt zu drohen.


Es hat in der Geschichte schon manche überraschende Wendung gegeben. Nicht nur der Sturz Assads in Syrien kam für die Welt überraschend. Die Überraschung aber ist weniger groß, wenn man sieht, dass schon einige Regime in der Geschichte über Nacht zusammenfielen, die lange als übermächtiger Koloss galten, aber nur auf Gewalt und Terror gebaut waren. Das macht Hoffnung. Bertolt Brecht schrieb dazu ein Lied, das Lied von der Moldau: „Am Grunde der Moldau, da wandern die Steine…“ Ihr kennt es vielleicht. Da heißt es unter Anderem: „… Das Große bleibt groß nicht, und klein nicht das Kleine.“ Brecht schrieb es 1943 im Exil, in der finsteren Zeit des Zweiten Weltkriegs…

W.R.

Visionen

AM Tresen ging es hoch her: Die Stammtisch-Runde stritt über die aktuelle Politik:
„Wie der Kanzler den Finanzminister rauswarf, das war unwürdig!“
„Quatsch! Das war das einzig Richtige. Ich bin kein Scholz-Fan, aber da hat er mir seit Langem mal richtig gut gefallen. Das war authentisch, wie er sich den Frust über die FDP in der Koalition von der Seele geredet hat. Hätte er vielleicht schon früher tun sollen, als die FDP einen wochenlang ausgehandelten Kompromiss kurz nach der Verkündung wieder in Frage stellte. So kann man keine Politik machen, es sei denn, man will den Bruch der Koalition provozieren.“
„Das war aber ein schlechter Zeitpunkt, wo gerade Trump die Wahl in den USA gewonnen hatte!“
„Es war höchste Zeit! Und daran sieht man doch, dass der Kanzler mit sehr viel Geduld versucht hat, die Ampel-Koalition zusammenzuhalten. Dem zum Trotz hat die FDP noch einen draufgelegt mit ihrem jüngsten Verhalten…“
„… und verliert keine Zeit, sich direkt der Union an den Hals zu werfen, auch mit der Forderung nach sofortigen Neuwahlen.“
„Eben. Dabei wusste jeder aufgeklärte Zeitgenosse, dass Neuwahlen gar nicht SOFORT stattfinden können. Das braucht eine Mindest-Vorlaufzeit, damit es überhaupt ordentlich organisiert werden kann. Das hatten die Populisten aber gar nicht auf dem Schirm.“ „Wollten sie auch nicht, weil sie dem Volk nach dem Munde reden. Außerdem wollten sie Scholz daran hindern, seine Umfragewerte zu verbessern.“
„Hör mir auf mit Umfragen! Das sieht man ja gerade wieder in den USA, wie zuverlässig die sind. Von wegen Kopf-an-Kopf-Rennen! Trump hat spektakulär gewonnen. Schlimmer konnte es kaum kommen.“

„Und die EU streitet wie eh und je, keiner will nationale Interessen zurückstellen — aus Angst vor Wahlerfolgen rechter Populisten. Wir haben keine europäische Außenpolitik, auch keine gemeinsame Verteidigung und Rüstung, und das, obwohl seit Jahren klar ist, dass ein uneiniges Europa zwischen China und den USA nix zu melden hat. Auch nicht gegenüber Putins Russland. Zum Haareraufen!“

„Und AfD und BSW sorgen dafür, dass vor allem Putin sich die Hände reiben kann…“

„Erst recht, seit Trump zusammen mit Elon Musk sich warm läuft für eine Regierung der Groß-Kapitalisten, Verschwörungsmythen-Fans, Rassisten, Frauenhasser, Justiz-Feinde… Da ist alles Negative versammelt. In früheren Jahrhunderten hätten viele Leute gesagt: Das ist der Beginn der Herrschaft des Antichristen. Er verführt immer mehr Menschen dazu, das Trennende und Zerstörende zu befeuern und sich von Menschlichkeit, Versöhnung und Friedfertigkeit abzuwenden. Das zog schon mit Putin am Horizont herauf, aber Viele wollten die Anzeichen nicht sehen.“

„Jetzt werd mal nicht komisch mit Deinem Antichrist und so, wir leben doch nicht im Mittelalter!“

„Bist Du Dir da so sicher? Vieles sieht nach der Rückkehr alter Ideen aus, nicht nur die AfD will die Zeit weit zurückdrehen. Und nun will das auch noch der mächtigste Mann der Welt.“

„Trump, meinst Du?“

„Ich weiß nicht, ob das nicht bald Elon Musk sein wird. Der scheint davon zu träumen, König der Welt zu werden.“

„Gar nicht so weit hergeholt — wenn der alte Trump dement wird oder unzurechnungsfähig, was er vielleicht schon in Ansätzen ist, dann hört er womöglich nur noch auf seinen Kumpel Elon …“ —

Au weia, was für schlimme Visionen! Mir reichte es, ich trank mein Bier aus und verließ schnell das Lokal. Draußen war trübes November-Wetter: kein Stern, nur von den Lichtern der Stadt aufgehellter Wolkenteppich. Ein Düsenflugzeug übertönte den Verkehrslärm.

W. R. (keine KI*)

* Anm. v. 03.12.24: Warum dieser Hinweis? Ganz einfach: Wer kann noch sicher sagen, was im Netz original geschaffen wurde, und was mit KI künstlich gefakt oder geklont wurde? Mehr dazu z.B. hier >Künstliche Intelligenz: Cate Blanchett äußert Besorgnis über den Einfluss von KI – DER SPIEGEL

Köln-Notizen Nov. ’24

DIE Investoren und die Manhattan-Fans lassen nicht locker: Schon in den frühen Nuller-Jahren gab es einen Anlauf von Investoren und Manhattan-begeisterten Stadtpolitikern, in Köln Wolkenkratzer hochzuziehen und damit das Stadtpanorama (in ihren Augen) zu verweltstädtischen, dabei aber die prägende Wirkung des Kölner Doms mit Hochhaussilhouetten zuzuballern. Das wurde damals verhindert, auch mit der Drohung der Unesco, den Dom von der Liste des Weltkulturerbes zu streichen. Letzteres wäre konsequent gewesen, wenn Köln selbst gezeigt hätte, dass es seine Identität und das deutschlandweit beliebteste Wahrzeichen nicht mehr wertgeschätzt hätte.
Eine Folge des damaligen Streits war, dass Köln 2007 ein Höhenkonzept für die Bebauung beschloss, um künftig aus dem Rahmen fallende Bauplanungen schon im Vorfeld begrenzen zu können.
Dennoch versuchten immer mal wieder Bauherren, Ausnahmen von dieser Begrenzung zu erwirken. Aktuell ist es ein geplantes 50 m hohes Gebäude am „Weltstadthaus“ an der Schildergasse, das die Gemüter erregt. Das Vorhaben stößt auf Protest, auch vom Pfarrer der nahen Antoniterkirche. In einem Bericht des Kölner Stadt-Anzeigers vom 7.11.24 beschwert er sich: Viele Auflagen waren bei Bauten rund um die Antoniterkirche zu beachten, nicht nur wegen des Höhenkonzeptes, auch wegen des benachbarten Weltstadthauses. Und nun dies!
Zudem: Würde diese Höhenausnahme zugelassen, gäbe es wahrscheinlich einen Dammbruch, weitere Bauherren stünden Schlange…
Im Kern geht es den Bauherren bzw. Investoren natürlich um die Rendite pro qm. Daher wollen sie auf teurem Baugrund möglichst viel umbauten Raum schaffen, also in die Höhe bauen. Das ist die finanzielle Seite.
Die andere Seite ist grundsätzlich, ob sich ein Bauvorhaben a) ins Gesamtbild der Umgebung einfügt oder störend heraussticht, und b) ob es sich mit dem Denkmalschutz verträgt und Rücksicht auf die Substanz und optische Wirkung vorhandener Denkmäler nimmt.

Ausführlich habe ich den Streit der Nuller-Jahre schon 2013 im Buch „Die Beatus-Chronik“, S. 120-123, kommentiert und eingeordnet. – – –

Anderes Thema: In den Köln-Notizen#18 vom 12.2.15 war bereits von der Sessionseröffnung des Kölner Karnevals und von Goethes „Qualitätssiegel“ die Rede. Nach den Erfahrungen der vergangenen zwei Jahre im Bereich Zülpicher Straße und auf der „Ausweichfläche“ Uni-Wiesen muss man einräumen: Der Kölner Karneval, von Goethe vor ca. 100 Jahren zum Kulturgut geadelt, könnte seinen Ruf einbüßen und wie vor einem Jahrhundert wieder zum reinen Besäufnis mit Sittenlosigkeit herabsinken, wenn weiterhin Massen von jungen Leuten nach Köln strömen, um sich dort vollaufen und gehen zu lassen. – – –

W. R.